OT: Treasure Island 1881/82 als Fortsetzungsgeschichte, 1883 als Buch. Erste deutsche Übersetzung 1897
Jim Hawkins ist der Sohn des Wirts des ‚Admiral Benbow’, eines bescheidenen Landgasthauses einige Stunden Wegs von der Hafenstadt Bristol entfernt, aber noch in Küstennähe. Jim arbeitet im elterlichen Betrieb mit, sein Leben ist eher bescheiden und meist langweilig. Das Abenteuer, das er nicht einmal unbedingt hatte haben wollen, tritt in Gestalt des heruntergekommen Seemanns Billy Bones in sein Leben. Dieser quartiert sich im ‚Admiral Benbow’ ein. Seine Eltern sind nicht glücklich darüber, weil der Gast ein starker Trinker ist und recht gewalttätig auftreten kann, aber sie brauchen das Geld. Billy Bones, wird für Jim im Lauf der kommenden Monate gleichermaßen eine Quelle der Faszination, wie des Abscheus. Den Geschichten, die Bones zu erzählen weiß, vor allem, wenn er betrunken ist, kann er sich nicht entziehen, ihre Brutalität aber erschreckt ihn ebenso, wie die Menge an Rum, die Bones konsumiert. Neugierig, wie Jim ist, kommt er bald dahinter, daß sich Bones vor jemandem versteckt, vor dem er schreckliche Angst hat. Ehe der Junge es merkt, hat ihn Bones mit dieser Angst angesteckt.
Die Krankheit von Jims Vater und der allmähliche körperliche Verfall von Bones machen die Lage für Jim nicht leichter. Als sein Vater stirbt, übernimmt er den Gasthof, aber die Ankunft eines zweiten abgemusterten Seemanns bringt die Katastrophe. Bones stirbt an einem Schlaganfall, Jim und seine Mutter entkommen nur knapp einem mörderischen Überfall des Gasthauses. Allerdings haben sie vor ihrer Flucht aus Bones’ Seekiste ein Päckchen mitgenommen und der Inhalt des Päckchens ist nichts weniger als die Karte mit dem Fundort eines gewaltigen Schatzes.
Die Karte regt nicht nur Jims Phantasie, sondern auch die des örtlichen Squires, Mr. Trelawney, an, der den wilden Plan entwickelt, ein Schiff zu mieten und den Schatz zu heben. Nichts, was der vernünftige Landarzt, Dr. Livesey einwendet, kann ihn davon abbringen. Allerdings läßt sich auch Dr. Livesey von der Geschichte um den Piratenschatz anstecken und so finden sie sich bald darauf an Bord der ‚Hispaniola’ wieder. Der Squire ist zwar mit Geld, aber nicht unbedingt mit Klugheit gesegnet, und es stellt sich bald heraus, daß er bei der Auswahl der Mannschaft einen gewaltigen Fehler begangen hat. Sie sind kaum auf offnere See, als deutlich wird, daß tatsächlich zwei Parteien am Auffinden des Schatzes interessiert sind. Ein tödliches Katz - und - Mausspiel zwischen den Parteien beginnt, bei dem bis kurz vor dem Ende nicht klar wer, wer überhaupt noch mit dem Leben davonkommen wird.
Wenn man über Stevensons Klassiker der Klassiker sprechen will, weiß man gar nicht, was man zuerst loben soll. Daß es ein Roman-Erstling ist? Seinen perfekten Aufbau? Die atemberaubende Ökonomie, die überall sichtbar ist und ein Hauptgrund für die Spannung, die der Autor mit nur wenigen Sätzen gleich am Anfang aufgebaut hat und bis zum Schluß hält? Die knappe, präzise Sprache, die man beim Lesen sofort im Ohr hat, ebenso wie den Wind, den Wellenschlag, das Knarren der Holzplanken und das Geschrei der Seevögel? Die lebendigen Personen? Den Umstand, daß man sie in kürzester Zeit mit einer Innigkeit liebt und haßt, die ihresgleichen sucht?
Die Raffinesse des Handlungsablaufs, ein taktgenauer Mechanismus, der mit erschreckender Unerbittlichkeit abläuft, die Winkelzüge und Überraschungen, die das Ganze zugleich ur-menschlich machen, weil hier feinste psychologische Abläufe vorgeführt werden? Klugheit und Leichtsinn liegen eng nebeneinander, Übermut führt stracks in Todesgefahr und vorn dort aus ebenso schnell in echtes Heldentum, Gut führt zu Böse und wieder zurück. Es geht deutlich um Werte, Tugenden sogar, so richtig altmodisch. Zugleich wird das am Alter des Romans gemessen ganz modern diskutiert, mittels einer ganz wunderbaren Schöpfung, der schillernden Gestalt des einbeinigen (!) Bösewichts John Silver, den Stevenson mit einem besonderen Kunstgriff am Ende heraushebt und seine staunende LeserInnenschaft mit einem unlösbaren moralischen Problem zurückläßt. Der Schatz des Titels findet sich in diesem Roman an ganz unvermuteten Stellen.
Als Erzählung in einem Jugendmagazin veröffentlicht, mit einem jugendlichen Erzähler und ein richtiggehender Entwicklungsroman, ist die Geschichte tatsächlich düster, brutal und unheimlich. Armut und Alkoholismus sind ebenso Themen, wie leichtsinnige Abenteuerlust, Aberglaube bis hin zum Atheismus und Geldgier. Das Leben auf See ist an keiner Stelle romantisiert, noch ist es die englische Gesellschaft des England im nicht näher definierten 18. Jahrhundert. Im Gegenteil geraten klassische Führungsfiguren, wie etwa der Squire, stark in die Kritik. Ebenso prekär aber ist die Stellung der gewählten Führer, wie John Silver sehr genau weiß, während Captain Smollett erleben muß, wie es sich anfühlt, zwischen die Fronten zu geraten. Jim, der jugendliche Protagonist, wird vor Probleme gestellt, die man heute in Jugendbücher häufiger vermeidet als vorführt. Stevensons ‚Schatzinsel’ ist alles andere als ein einfacher Abenteuerroman.
So schlicht er daherkommt, zeigt er doch bei jeder Lektüre neue Facetten, es ist ein Buch, das man, auch wenn man es genau zu kennen glaubt, doch jedesmal wieder liest, wie beim erstenmal. Was sonst macht einen Klassiker aus?
Es gibt zahlreiche Ausgaben dieses Romans, illustrierte und nicht-illustrierte. Wer eine aussucht, hat es nicht leicht, man sollte jedoch unbedingt darauf achten, eine ungekürzte und nicht ‚für die Jugend bearbeitete’ oder eine ‚überarbeitete’ Ausgabe zu kaufen. Die neueste, mit ganz neuen Illustrationen ist die unten verlinkte.