Sam

  • Das beste Pferd der Welt


    Sam trippelte unruhig von einem fuß auf den anderen, ich wiegte mit der Hüfte mit, fing jede seiner Bewegungen sanft ab und wisperte ihm beruhigende Worte ins Ohr. Die Kinnkette seiner Kandare klingelte leise als er seinen Kopf hin und her schlug. Wir standen vor einem großen Tor und warteten, das wir zu unserer Prüfung aufgerufen wurden.


    Hinter mir standen mein Trainer und mein Vater und beäugten uns kritisch. „Du bist lebensmüde mit dem Pferd darein zu gehen.“ Sagte mein Vater. Mein Trainer beobachtete nur und runzelte die Stirn, zog die Schultern hoch und schüttelte den Kopf, bevor er sich umdrehte und davon stiefelte.


    Da Tor öffnete sich. „Jane auf SAM“ dröhnte es aus der Lautsprecheranlage. Sammy erschrak und blieb zitternd stehen, nicht dazu zu bewegen auch nur einen Schritt zu tun. Ich schlug die hacken zusammen, schnalzte mit der Zunge. Redete ihm zu. Nichts passierte. Wieder ertönte die Aufforderung über den Lautsprecher. Ich beugte mich vor und pustete ihm leicht in seine zuckenden Ohren. Er schnaubte drehte seinen Kopf und sah mich unschlüssig an. Wieder schlug ich die Hacken zusammen. Sam machte einen Riesensatz nach vorne und im nächsten Moment segelten wir in die Reithalle. Ich roch den leicht modrigen Geruch von nassem Sand, hörte verhaltenes Kichern aus dem Publikum während ich meinen Zylinder vorsichtig gerade rückte.


    Meine Musik sprang an und die Muskeln des kleinen dunkelgrauen Pferdes unter mir spannten sich. Ich nahm die Zügel kürzer. Reckte meinen Hals und sah stolz gerade aus. Sams Hals wölbte sich im richtigen Winkel. Sein „Imponiermuskel“ schwoll an und er schmiß seine Beine mit so viel Schwung, daß ich auf meinem frisch gefetteten Sattel fast ins Rutschen gekommen wäre. Die Moldau rauschte durch die Lautsprecher und wir rauschten durch die Halle. Konzentriert ohne Fehler und stolz, als würden wir einen Grandprix reiten.


    Im Publikum erhaschte ich einen Blick auf meinen Vater, der mir während des Trainings mit Sam immer wieder gepredigt hatte, ich vergeudete meine Zeit und sein Geld. Er stand mit offenem Mund da und sah zu wie seine Tochter und ihr „zotteliger Araber“ durch die Halle schwebten. Sam war früher Trabrennen gelaufen. Klein, zierlich aber extrem muskulös war der kleine Apfelschimmel bei uns im Stall angekommen und kannte kein anderes Tempo als Trab. Monatelang war ich mit ihm spazieren geritten, hatte ihn longiert, ihn „gassi geführt“ während mich alle anderen belächelten und sagten „Aus dem Zossen wird nie ein richtiges Pferd, gibs auf, spann ihn vor ne Kutsche, das kann er.“ Aber das war mir nicht genug. Ich wußte, daß mehr in dem verängstigten rennenden kleinen Kerl steckte und außerdem paßte er von den Proportionen her perfekt zu mir. Er war das perfekte Dressurpferd für mich. Nur das, daß außer mir niemand glauben wollte.


    Er hatte mich so oft abgesetzt und war unzählige Runden mit mir gerannt ohne sich bremsen zu lassen. Er hatte sich mit anderen Pferden angelegt, obwohl ich auf ihm saß. Bis ich den Trick herausfand. Sam mußte allein in der Halle sein. Dann hatte er kein Rennfieber mehr, dann war er das beste Dressurpferd, daß man sich wünschen konnte. Also hatte ich trainiert, jede Nacht wenn in der Halle nichts los war, sah man mich und Sam dort drin verschwinden hörte klassische Musik und konnte doch nichts sehen, weil ich die Tür verschloss.


    Heute war der Tag es allen zu zeigen. Sam schwebte weiter durch die Halle. In der Prüfung waren wir schließlich auch alleine, keine Probleme also. Die Musik schwoll kurz an und stoppte gleichzeitig mit Sam. Grüßend senkte ich meinen Kopf und meine Hand. Ließ die Zügel lang und verließ hoch erhobenen Haupts mit Sam die Halle.


    Note 8,9 schallte es hinter mir aus den Lautsprechern, das bedeutet den 1. Platz für Sam.
    Ein Grinsen stahl sich auf mein Gesicht als sich zwei sehr zerknirschte Herren auf uns zu bewegten.
    Mein Vater und mein Trainer spuckten nahezu gleichzeitig auf den Boden und sagten im Chor: „Ok, du hast gewonnen, der kleine Zossen hat Potential.“
    Zwei Wochen später wurde Sam zu einem unvorstellbaren Preis verkauft...


    SAM wo bist du, du weltbestes Pferd?

  • Ach nein! Da krampft sich mir das Herz zusammen, bei dem Ende. :-(


    Trotzdem... die Geschichte macht Mut: Hab selber einen Traber und viele Teile der Geschichte kommen mir bekannt vor - außer dass meiner mir gehört und er so glücklicherweise nicht verkauft werden kann.

  • Hey BJ, mal eine etwas andere Geschichte, aber deswegen nicht weniger gut. Im Gegenteil. Sie hat mir sehr, sehr gut gefallen und macht Lust auf mehr. Irgendwann solltest Du mal ein wenig längere Kurzgeschichten schreiben... ;-)

    "Nicht wer Zeit hat, liest Bücher, sondern wer Lust hat, Bücher zu lesen, der liest, ob er viel Zeit hat oder wenig."

    - Ernst Reinhold Hauschka

    Zitat

  • Siri:
    Ich wünsch dir viel Glück und Geduld und vorallem Liebe für dieses Pferd. Ich bin oft Runde um Runde mehr oder weniger Hilflos im Sattel gehangen, war am Heulen und kurz vorm Aufgeben.... aber diese letzte Prüfung war eine L-Dressur und ich war so glücklich es geschafft zu haben.
    Ich habe viele *Problempferde* wieder reitbar gemacht, aber an keinem hab ich so gehangen wie an diesem kleinen Arbermuskelprotz...
    Es war herrlich mit ihm durch die Felder zu flitzen, während er immer wieder hüpfte wie ein Häschen, wenn er bemerkte, daß er ja auch galoppieren kann.


    *träum*


    Leider bin ich nun seit fast 5 Jahren nicht mehr richtig geritten, hab zwar hier und da mal unterricht gegeben, aber das Reiten fehlt mir so... nur ist leider die Zeit für ein eigenes Pferd nicht da und eine passende Reitbeteiligung sehr schwer zu finden.... :-(

  • Schöne Geschichte, BJ -- vor allem, wenn man erahnen kann, wieviel Mühe und Geduld hinter dem Gelingen einer solchen Partnerschaft steht.
    Und dann haben sie dir das Schätzchen auch noch weggenommen! :knuddel


    Zitat

    Original von Babyjane
    Leider bin ich nun seit fast 5 Jahren nicht mehr richtig geritten, hab zwar hier und da mal unterricht gegeben, aber das Reiten fehlt mir so... nur ist leider die Zeit für ein eigenes Pferd nicht da und eine passende Reitbeteiligung sehr schwer zu finden.... :-(


    Geht mir (fast) auch so (um Unterricht zu geben, hat es nicht gereicht). Bei mir ist allerdings noch viiiiiel länger her, und außerdem haben meine Finanzen sehr lange nicht mitgespielt.
    Aber ich hatte es auch immer mit den Problemfällen ... :grin

  • Zitat

    Original von Iris
    Aber ich hatte es auch immer mit den Problemfällen ... :grin


    Die machen ja auch viel mehr Spaß, als wenn man ein Pferdchen hat, daß die Prüfungen auch ohne einen laufen kann... :lache

  • Zitat

    Original von Babyjane
    Die machen ja auch viel mehr Spaß, als wenn man ein Pferdchen hat, daß die Prüfungen auch ohne einen laufen kann... :lache


    Spaß ist es weniger. Eher, daß sie einem ein Höchstmaß an Verantwortlichkeit und Einfühlungsvermögen abverlangen.


    Es gab da mal einen bissigen Welsh-Pony-Hengst, hart im Maul, bockstarres Rückgrat, Gänge wie ein Maschinengewehr ... bei mir war er nach ein paar Monaten frech, aber freundlich und sehr eifrig, aber die typischen Stallschnepfen schmiß er nach wie vor im hohen Bogen in den Torf! :lache

  • Zitat

    Original von Iris


    Spaß ist es weniger. Eher, daß sie einem ein Höchstmaß an Verantwortlichkeit und Einfühlungsvermögen abverlangen.


    Es gab da mal einen bissigen Welsh-Pony-Hengst, hart im Maul, bockstarres Rückgrat, Gänge wie ein Maschinengewehr ... bei mir war er nach ein paar Monaten frech, aber freundlich und sehr eifrig, aber die typischen Stallschnepfen schmiß er nach wie vor im hohen Bogen in den Torf! :lache


    Genau das mein ich.... Man kann sich so herrlich an den ungläubigen blicken der anderen erfreuen, wenn es bei einem selbst fluppt und bei ihnen nicht.


    Ich habe auch erst bei einem Pferd *versagt* da hab ich immer wieder versucht und gemacht und getan, aber er blieb stur, bissig und bockig. Das letzte Mal pfefferte er mich so hart gegen eine Wand, daß ich mit einer Prellung des Rückrades 4 Tage im Krankenhaus lag und aufgrund der Blutungen Querschnittsgelähmt war.... wir wußten alle es geht wieder weg sobald das Hämatom abgeschwollen ist... aber auf ihn hab ich mich nie wieder drauf gesetzt.
    Vielleicht bezeichnend, daß mein (Arschloch-)EX genauso heißt wie dieses Pferd. :lache

  • Also Jane, diese Geschichte ist sehr, sehr schön. Es ist sehr schön, wenn man etwas erreicht, daß einem niemand zutraut, und alle sagen, aus dem wird eh nichts. Aber wenn man es dann erreicht hat, das ist unbeschreiblich.

    Gruß Koala :wave


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    :lesend Das Licht der Welt von Daniel Wolf
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  • Hallo BJ


    Wieder mal eine sehr schöne Geschichte geschrieben.
    Erinnert mich an den Harry Potter mit seinem Seidenschnabel: (Ich hoffe, du hast den dritten schon gesehen.)
    Aber auch Dir liegt das Pferdeflüstern! :grin

    Gruss Hoffis :taenzchen
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    :lesend Der fünfte Tag - Jake Woodhouse
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  • Oh Ich reite seit meinem 6. Lebensjahr, mein Bruder besitzt 4 Pferde oder waren es drei.. ich bin da nicht mehr ganz auf dem neusten Stand... auf jeden Fall züchtet er ein bißchen herum....... aber da wir verschiedene Ansichten vom Reitsport haben, knallen wir da immer ziemlich aufeinander....und es ist zum Tabuthema geworden......es sei denn ich bin auf Krawall aus.

  • Liebe Jane,


    das ist bisher die einzige Deiner Geschichten, mit der ich nicht allzuviel anfangen kann - ganz einfach deswegen, weil ich mit Pferden nichts anfangen kann und so überhaupt keinen Draht dazu habe. Macht aber nix. Ich ergötze mich dafür an den anderen 395 (mindestens! ;-)) Geschichten von Dir. :-)

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Ich fand die Geschichte einfach toll, auch wenn ich das Ende nicht so toll fand, aber da kannst du ja nicht für. Im Gegenteil, du hast so viel Liebe und Ehrgeiz in die Arbeit mit Sam gesteckt, dass ich es ziemlich gemein finde, das er kurz darauf verkauft worden ist :fetch. An der Geschichte gefällt mir auch, dass sie einem zeigt, wie wichtig es ist an das was man tut zu glauben, auch wenn man immer wieder Rückschläge in kauf nehmen muss.


    Ich beneide dich richtig, dass du schon als Kind Reitunterricht gehabt hast. Ich habe mir das immer gewünscht, aber meine Eltern waren aus finanziellen Gründen dagegen. Heute kann ich es mir selbst auch nicht leisten. Vielleicht habe ich irgendwann mal Glück...