Literarische Weltreise: Ghana
Schwarzafrikanische Frauenliteratur im Kleinverlag, das Ganze auch noch mit sehr, ähm, folkloristischem Cover? Das hörte sich für mich nach sehr viel Engagement und Idealismus an, nicht unbedingt aber nach einem guten Buch. Aber Überraschung! Die Gesichtslosen von Amma Darko ist ein richtig gutes Buch!
Erzählt wird die Geschichte von Fofo, einem Straßenmädchen, dass sich in Sodom und Gomorrha, dem berüchtigsten Slum von Accra, durchschlägt. Nach einem missglückten Taschendiebstahl stößt sie auf Kabria; eine Frau der ghanaesischen Mittelschicht, die in einer gemeinnützigen Organisation arbeitet und sich Fofos annimmt. Deren Lage verschärft sich nämlich dramatisch, als eine Leiche hinter einem Kiosk des Slums gefunden wird, was dem Roman zusätzlich eine spannende Krimihandlung hinzufügt.
Ein Buch, das damit beginnt, dass zwei Straßenkinder einen ruhigen Kackplatz suchen, habe ich wohl noch nie gelesen. Nichts hätte eindringlicher die Sorgen eines Lebens auf der Straße veranschaulichen können in dem ein so profan erscheinendes Problem die ganze Misere eines solchen Lebens deutlich macht. Überhaupt ist die Schilderung des Überlebenskampfes in einem Slum von einer solchen Sachlichkeit, aber auch von einem leisen Humor geprägt, dass keine noch so dramatische Darstellung eindringlicher wäre.
Doch neben diesem Dasein im Slum, das so dem entspricht was, wir für die Normalität in Afrika halten, gibt es dort noch eine ganz andere Seite, die einer bescheidenen Mittelschicht, die auch für europäische Verhältnisse ein ganz normales Leben führt (auch wenn Kabrias alter Käfer Creamy ihr wahrscheinlich überdurchschnittlich viel Ärger bereitet), arbeiten geht, ihre Kinder zur Schule schickt und der die Zustände im Slum so fremd sind wie uns.
Klar, die Autorin hat eine Botschaft, die manchmal ein wenig zu deutlich zwischen den Zeilen hervorlugt. Sie will das Elend der Slumbewohner zeigen, die Ungerechtigkeit, den Wahnsinn krimineller Banden und korrupter Verwaltung. Und sie setzt sich für die afrikanischen Frauen ein, die Männer kommen bei ihr nicht allzu gut weg, sind ihre männlichen Protagonisten doch meist weinerliche Machos oder brutale Schläger.
Trotzdem ist der Roman kein Afrikanische-Frauen-Problem-Buch. Darko erzählt die Geschichte ganz ohne nach Mitleid zu heischen, sondern indem sie ihre Helden als ganz normale Menschen darstellt. So hatte ich den Eindruck, einen authentischen, spannenden und immer wieder überraschenden Einblick in die ghanaesische Gesellschaft zu erhalten.
Aber unabhängig davon ist dieser Roman sprachlich ansprechend, spannend und teilweise wunderbar komisch und eine klare Empfehlung auch für Menschen, die mit Westafrika eigentlich nichts am Hut haben.