Heimaturlaub - Joachim Geil

  • # Gebundene Ausgabe: 290 Seiten
    # Verlag: Steidl; Auflage: 1 (1. März 2010)
    # Sprache: Deutsch


    Kurzbeschreibung
    Eine Woche Heimaturlaub hat Leutnant Dieter Thomas, der im Sommer 1944 von der Ostfront kommt. In der pfälzischen Provinz lebt es sich beschaulich: Der Krieg scheint fern, man glaubt unerschütterlich an den »Endsieg«, im Freibad geht die Zeit dahin. Rasch hat Dieter ein Auge auf Heidi geworfen und Heidi auf ihn.
    Doch die Idylle bekommt Risse, denn Dieter wird von einer Erinnerung aus dem russischen Winter heimgesucht. Seine Romanze mit der hübschen Maschenka im Dorf »Malaja Irgendwas« endet mit einem brutalen Übergriff, und in Verzweiflung weiß Dieter nur einen Ausweg: seine Liebe durch einen Mord zu retten.
    Außen netter Bursche, innen eine verheerte Seele: Joachim Geil erkundet die verschwiegenen und unterdrückten Gefühle eines Menschen im Krieg. Er schildert die bodenlosen Ängste und inneren Konflikte, die sich keinen Weg bahnen dürfen. Heimaturlaub lässt niemanden unberührt - ein großer Roman über das persönliche Trauma Krieg.


    Über den Autor
    Joachim Geil, geb. 1970, lebt und arbeitet als Autor, Ausstellungskurator und freier Lektor in Köln. Er hat Hörspiele, Kurzgeschichten, zahlreiche Essays zur Kunst und eine Künstler-Monografie geschrieben.


    Meine Meinung


    "In einer Woche. In einer Woche, genau. Eine brennende Sekunde durchfährt seine Lunge wie ein Zug aus trockenem Tabak. In einer Woche sitzt er wieder im Zug. Nach Norden. In die Kaserne."


    Dieter Thomas, ein Panzer-Leutnant, besucht im Sommer 1944 seine Familie - er verbringt dort seinen Heimaturlaub. Dieter kämpft im Russlandfeldzug und erlebt dort schreckliche Dinge. In seinem Heimatdorf bekommen die Bewohner davon kaum etwas mit; alle dort glauben an den "Endsieg" und sehen ihren Dieter als den großen Helden. Überschattet wird der Heimaturlaub von dem bevorstehenden Tod des Großvaters, der im Sterben liegt, und von den immer wieder kehrenden Bildern und Erinnerungen, die Dieter aus dem Krieg mitgebracht hat.


    Der vierzigjährige Autor Joachim Geil beleuchtet diese zwiespältigen und zerrissenen Gefühle, unter denen Dieter leidet. In einer intensiven und dichten Sprache beschreibt er Dieters Heimaturlaub.


    Zitat

    "[...] da merkt er, dass die Nähe, die geliebte Nähe, die gesuchte Nähe zu all dem, was ihm lieb ist, was er liebt, zu dieser Familie, die er seit frühester Kindheit besucht, die seine Familie ist, die im Sommer seine Heimat ist, dass diese Nähe auch eng werden kann."


    Es kommt immer wieder zu schrecklichen Szenen innerhalb des Buches, wenn Dieter immer häufiger zwischen Phantasie und Realität schwankt; beinahe schon zwischen Wahn und Realität. In einem Moment hört er noch seiner Tant zu und im nächsten wird er von Erinnerungen überschwemmt und glaube, mit einer Axt auf sie einzuhacken. Diese Szenen nehmen im Laufe des Buches immer stärker zu.


    "Heimaturlaub" ist ein sehr interessanter Roman und ein beeindruckendes Debüt eines noch jungen Autors. Joachim Geil gelingt es sicherlich nicht immer, die Gefühle von Dieter angemessen zu schildern und dennoch hat er ein sehr intensives, sprachlich faszinierendes, Buch geschrieben, dass mich zum Nachdenken angeregt hat.


    9 Punkte.

  • Der Autor schafft es, dem Leser ein realistisches Bild dieser schlimmen Zeit 1944 zu zeigen. Wie die Menschen sprechen und sich verhalten, ist glaubhaft und nachvollziehbar.


    Im großen und ganzen ist der Roman normal zu lesen. Der Autor nutzt aber zunehmend auch einge außergewöhnliche Schreibtechniken, um den Stoff zu verdichten. Dazu gehört u.a. das schon von buzzaldrin erwähnte Wechseln der Wahrnehmungen des Protagonisten.

    Zitat

    ...wenn Dieter immer häufiger zwischen Phantasie und Realität schwankt; beinahe schon zwischen Wahn und Realität.

    Alltagsereignisse gehen in subjektive Wahnvorstellungen über. Das führt ganz langsam dazu, dass die Fasssade Dieters bröckelt. Seine grauenvollen Erlebnisse in Russland, an denen er fatalerweise beteiligt ist, drängen sich in seinen Erinnerungen im Heimaturlaub immer mehr in den Vordergrund. Die angemessene, saubere Beziehung zu Heidi aus dem Ort, wird durch das Trauma in empfindlichen Maße gestört.


    Dieter, der eigentlich immer an den Endsieg glaubte, wird auch zusätzlich noch durch die Äußerungen seines sterbenden Großvaters erschüttert, der ihn anfleht, sich von dem Glauben an Hitler zu lösen und sich durch Fahnenflucht zu retten.


    Die Entwicklung ist absolut folgerichtig. In nur 290 Seiten gelingt es Joachim Geil, das zerrissene Innenleben seines Protagonisten zu zeigen. Es gibt auch Grenzen. Dieter ist keine Sympathiefigur.
    Eine andere Rezension (FAZ) spricht neben viel Lob auch von Überzeichnung, die ich auch ansatzweise spüre. Aber in der Summe muss man dieses Debüt sehr loben. Man darf auch gespannt sein, was der Autor als nächstes schreiben wird.

  • Zitat

    Original von Herr Palomar
    Eine andere Rezension (FAZ) spricht neben viel Lob auch von Überzeichnung, die ich auch ansatzweise spüre. Aber in der Summe muss man dieses Debüt sehr loben. Man darf auch gespannt sein, was der Autor als nächstes schreiben wird.


    :write


    Das denke ich auch. Vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass es sich bei Joachim Geil um einen Debütanten handelt, kann man "Heimaturlaub" schon als ein sehr gelungenes Buch betrachten. Ich würde gerne noch weiteres von ihm lesen, aber im Moment scheint noch kein neues Buch angekündigt zu sein.