Zum Buch
Zwei Monate nach dem - offiziellen - Ende des Krieges reist die tunesische Journalistin und Menschenrechtsaktivistin Sihem Bensedrine auf abenteuerlichen Wegen in den Irak. Sie will ihre Freundin Nazera wiederfinden, eine irakische Ingenieurin, die ihr zwölf Jahre zuvor die Augen über das Regime Saddam Husseins geöffnet hatte. Nazera bleibt unauffindbar, doch für Sihem Bensedrine ist sie das Gegenüber, mit der sie in einer Art innerem Dialog ihre Eindrücke teilt.
Was westlichen Berichterstattern verschlossen bleibt, erfährt die arabische Journalistin im Gespräch mit der Bevölkerung. Erst durch die "Befreiung" wird für sie sichtbar, wie sehr die irakische Gesellschaft durch eine 24-jährige Diktatur zerstört wurde, welche Spuren bitterste Not, systematische Unterdrückung und erzwungene Kollaboration in den Köpfen hinterlassen haben. Und wie sehr die Arroganz und Ignoranz der Besatzer nicht nur die Würde der "Befreiten" beschädigt, sondern Wut und Angst vor neuer Knechtschaft nähren. Gibt es überhaupt noch jemanden, der den Irakern die eigene Entscheidung über ihr Schicksal zutraut?
Die Eindrücke dieser Reise führen Sihem Bensedrine aber auch zu einer schmerzlichen Konfrontation mit ihren eigenen Überzeugungen. Welche Rolle haben die "arabischen Bruderländer" im Irakkonflikt gespielt, was bedeutet die Invasion der Amerikaner für die Zukunft anderer - dikatorischer - arabischer Staaten, für die Hoffnung auf Demokratie? "Besiegte Befreite" ist eine hellsichtige politische Analyse und zugleich ein persönliches Dokument, das die tunesische Journalistin in die Reihe mit den Reportagen einer Janet Flanner oder Kay Boyle stellt.
Über die Autorin
Sihem Bensedrine (* 28. Oktober 1950 in La Marsa (Tunis)) ist Journalistin, Gründungsmitglied und gegenwärtige Sprecherin des Nationalen Rats für Freiheiten in Tunesien, der von der Regierung nicht anerkannt wird, Generalsekretärin der Beobachter zur Verteidigung der Pressefreiheit und Chefredakteurin der in Tunesien verbotenen Onlinezeitung Kalima.
Seit 1980 ist sie in einer tunesischen Menschenrechtsorganisation aktiv. 2001 wurde sie nach Publikationen über Korruption und Folter inhaftiert. 2002 erhielt sie den Johann Philipp Palm-Preis für Meinungs- und Pressefreiheit.
Meine Meinung
Immer noch im Irak. Dieses kleine Buch ist mit 127 Seiten eher dünn, ich hätte auch doppelt so viel gelesen. Die Autorin berichtet in kurzen Kapiteln von der Situation im Irak nach der offiziellen Beendigung des Krieges. Dazu lässt sie die unterschiedlichsten Menschen zu Wort kommen. Ihren irakischen Chauffeur, der sie von Amman nach Bagdad bringt, einen Besitzer eines Lokals, einen arbeitslosen Physiker, ehemals politisch Gefangene, die unter Saddam Hussein gefoltert wurden, eine Studentin, die sich aus Angst vor einer Entführung ohne Begleitung ihrer Brüder nicht mehr an die Universität traut, Journalisten, die Informationen nicht überprüfen können, weil irakische Journalisten nicht zu den Pressekonferenzen der Koalition nicht eingeladen werden. Von einem Bauern, der mit seinen zwei Söhnen ein Massengrab mit hingerichteten politischen Gefangenen bewacht. Von Menschen, die Archive durchwühlen, in der Hoffnung eine Spur ihrer unter Saddam Husseins Regime verschwunden Angehörigen zu finden.
Dabei zieht sie auch immer wieder schmerzliche Parallelen zu ihrem Heimatland, Tunesien, in dem die Bevölkerung ebenfalls durch ein dikatorischen Regime im Würgegriff gehalten wird.
Sie berichtet von einem Land, in dem 75 % der Bevölkerung in Armut leben, in dem das Trinkwasser nicht mehr aufbereitet wird und in dem die Böden und die Atemluft verseucht sind, weil die USA in großem Umfang Munition aus abgereichertem Uran eingesetzt hat (eine gute Methode ein radioaktives Abfallprodukt loszuwerden: einfach in einem anderen Land verschießen). Von den Folgen des UN-Embargos und dem Misstrauen der Amerikaner gegen die Iraker und ihrer Arroganz. Von dem Gefühl, von den anderen arabischen Staaten im Stich gelassen worden zu sein.
Das Buch ist der Versuch einer Erklärung, wie das Land nach dem Sturz Saddam Husseins so in ein Chaos verfallen konnte, gleichzeitig aber auch ein Plädoyer für gegenseitiges Verständnis und Annäherung. Nach ihrer Rückkehr nach Tunesien wird sie von ihren Landsleuten für ihre Reise in den Irak verurteilt.
"In Wirklichkeit ertragen sie nicht, dass ich es gewagt habe, das mythische Volk des Irak durch ein reales zu ersetzen, das aus lebendigen Menschen besteht, die atmen, essen und sich nach einem friedlichen Leben in Freiheit sehnen wie alle anderen Völker auch."
Ja, das hat sie gemacht. Das Buch hat mich sehr berührt und ich kann es sehr empfehlen.
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