Die Rose von Arabien von Christine Lehmann
544 Seiten (Hardcover)
Verlag: Planet Girl Verlag
ISBN: 978-3522502177
19,90€
Rezension:
Mit sechzehn glaubt man an die ganz große Liebe. So ist Finja hin und weg als sie auf dem Stuttgarter Weihnachtsmarkt auf märchenhafte Weise dem acht Jahre älteren Chalil begegnet: er hält den Dieb fest, der ihr Portemonnaie klaut.
Wie sich herausstellt, ist der junge Araber das ganze letzte Jahr über Student bei ihrem Vater gewesen und ist der Sohn eines Scheichs in Dubai. Genau dort soll er auch wieder hin, zwei Tage nachdem er und Finja sich erst kennen gelernt haben.
Eine Liebesbeziehung zwischen den beiden scheint von vornherein ausgeschlossen, aber das sturköpfige deutsche Mädchen ergreift ihre Chance als ihr Vater auf eine Geschäftsreise in das Haus des Scheichs über Weihnachten eingeladen wird und sie die Gelegenheit hat mitzufahren.
Finjas Traum von einem Märchen aus 1001 Nacht gestaltet sich aber schwieriger, als sie erwartet hätte, als sie gleich am ersten Tag in Dubai begreift, wie unterschiedlich die Kulturen und Gebräuche der Moslems und ihr – einer deutschen Christin – sind.
In den folgenden zwei Wochen werden Finja und Chalil Abenteuer erleben, die ihre Gefühle zu einander auf die Probe stellen und schließlich in einer einzigen Frage enden: Hat ihre Liebe überhaupt eine Chance?
Ich muss zugeben, dass ich die Sprache des Buches zunächst etwas gewöhnungsbedürftig fand. Die gesamte Geschichte wird aus Finjas Sicht erzählt und gibt auch ihre Gedankengänge direkt und ungefiltert wieder. So merkt man gerade zu Beginn ihre naive und noch recht kindliche Weltanschauung, ihre Vorstellung von einem romantischen arabischen Märchen.
Bald jedoch gerät sie in Situationen, die verdeutlichen wie die Denkweise der Araber sich von ihrer unterscheidet. Ehrenmord, Bevormundung von Frauen, die strengen Regeln des Korans – all das wird auf spannende Weise in die Geschichte verwoben.
Besonders schön ist dabei aber, dass Christine Lehmann in ihrem Text nicht wertet und sich nicht bloß auf die negative, aus den Medien bekannten Aspekte stürzt, sondern auf der anderen Seite auch den wunderbaren starken Familienzusammenhalt und den Hang zu fantastischen Erzählungen in den Wüstenländern wiedergibt.
Dadurch, dass Finja in der Familie des Scheichs lebt und sogar aus der Stadt Dubais direkt in ein Beduinenzelt mitreist, bietet sich hier eine Fülle von Bildern an, die Lehmann ausgesprochen gut nutzt. Ihre ausschmückenden Beschreibungen verzaubern beim Lesen und lassen immer wieder die Wüste und deren Bewohner wie ein fremdländisches Märchen erscheinen – man denkt bisweilen tatsächlich in einer Geschichte aus 1001 Nacht gelandet zu sein.
Die Szenen, in denen Chalil oder seine etwas rebellische Schwester Funda alte Geschichten aus dem Koran zum Besten geben oder einfach auf märchenhafte Weise ihre eigenen Erlebnisse verarbeiten, sind definitiv ein Highlight des Buches.
Im extremen Gegensatz dazu stehen die beängstigenden Regeln und Sitten, mit denen wir als Europäer, die meist zumindest in den Grundzügen christlich aufgewachsen sind, wenig anfangen können und uns sogar eine gewisse Empörung beim Lesen entlocken.
So wird die Situation der beiden Jugendlichen zwischen Liebe und Pflicht, Tradition und Umbruch ergreifend deutlich. Finja wandelt sich innerhalb von nur zwei Wochen von einem naiven Mädchen zu einer starken und mutigen jungen Frau. Dies ist auch mein erster Kritikpunkt an der Geschichte: denn meiner Meinung nach ist das mit sechszehn einfach nicht in so einem Maße möglich. Tatsächlich glaubt man in diesem Alter noch an die alles überstehende Liebe ohne die man nicht mehr leben möchte, aber selbst das hätte mich damals nie dazu bewogen gleich an Heirat (und noch dazu nur als Zweitfrau) und die Aufgabe aller meiner Freiheiten und vertrauten Sitten zu denken.
Letztendlich war mir die Liebesgeschichte im Buch etwas zu übertrieben dargestellt – zum Einen, da die Entwicklung der beiden Charaktere Finja und Chalil zu schnell geschieht und zum Anderen, da gerade das Ende an Kitsch kaum noch zu überbieten ist. Was mir aber überaus positiv im Gedächtnis bleiben wird, ist der wunderschöne Einblick in eine fremde Kultur, den Christine Lehmann uns hier ermöglicht. So lernt man ganz nebenbei arabische Begriffe, Ehrentitel und sogar die genauen Bezeichnungen für die Kleidung der Beduinen kennen, kann in verzauberte Geschichten über List, Mut und Liebe abtauchen und schlägt dabei auf raffinierte Weise einen Bogen zur Entwicklung in der Gegenwart. Mit diesem fundiert recherchierten Fakten, die uns ganz ohne Wertung präsentiert und bei denen immer beide Seiten beleuchtet werden, wird ein Interesse für Sitten und Gebräuche, für andersartig Denkweisen geweckt, wie ich es bis jetzt noch bei keinem Buch erlebt habe.
Das ist es wohl auch, was “Die Rose von Arabien” zu einem besonderen Lesevergnügen macht und weshalb ich die Geschichte um eine Liebe, die nicht sein dürfte, gerne empfehle. Selbst wenn man mit der Kultur und Religion der Moslems also nichts anfangen kann (wie es bei mir bis jetzt immer der Fall war), ist dieses Buch ein echter Schatz – denn es klärt über das gefährliche Halbwissen, das wir ja leider oft durch die negativ belegten Nachrichten erhalten, gründlich auf und fordert zum Selberdenken, zum selber eine Meinung bilden, auf.