ZitatDurch die Gitterstäbe sah Dr. Lecter aus dem Augenwinkel Pembrys Kniekehle und die Spitze des von seinem Gürtel hängenden Schlagstocks, als er vor der Zelle stand und die Tür hielt.
Dieser Satz steht irgendwo zwischen Seite 224 und Seite 248 in dem bekannten Roman "Das Schweigen der Lämmer" von Thomas Harris, irgendwo auf den 24 Seiten zwischen Officer Pembrys Erscheinen bis zu seinem gewaltsamen Tod (bei dem sein eigener Schlagstock eine Rolle spielt). Ich habe das Buch vor fast zwanzig Jahren gelesen und damals auch den Film gesehen, an Pembry konnte ich mich definitiv nicht erinnern. Der deutsch-georgische Autor Giwi Margwelaschwili hat dieser Figur einen eigenen Roman gewidmet. Dieser Roman spielt etwa 100 Jahre nach dem Erscheinen von "Das Schweigen der Lämmer", also in der Zukunft, wie ein Science-Fiction-Roman liest sich dieser Roman trotzdem nicht (die Zukunft sieht fast genauso aus wie die Gegenwart).
Gleich auf der ersten Seite spricht der Ich-Erzähler mit dem merkwürdigen Namen Meinleser den Gefängnisbeamten Pembry an. Er macht es kurz: er würde für die PKP arbeiten. Das ist die Abkürzung für die prospektive Kriminalpolizei, die für die Verhinderung zukünftiger, vorbestimmter Kriminaldelikte zuständig ist (der Film Minority Report lässt hier grüßen). Diese Delikte kündigen sich in Büchern an. Pembrys Schicksal wäre in einem Buch namens "Das Schweigen der Lämmer" beschrieben, er solle die relevanten Passagen mal lesen und die Hilfe der PKP in Anspruch, sonst wäre er in Kürze Tod.
Zunächst handelt es sich nur um eine einzelne zufällig erscheinende Namensgleichheit (sonst gibt es keine Parallelen) und für den Ich-Erzähler vollkommen unverständlich erweist sich Pembry als unbeeindruckt und unkooperativ. Etwas später als sich die Parallelen aber doch immer mehr gleichen (Beamte, die in Erscheinung treten, deren Namen im Buch vorkommen, dann die Ankündigung das ein gewisser Hannibal Lecter nach Memphis verlegt wird) bekommt Meinleser dann doch einen Anruf von Pembry. Den Rest des Buches geht es dann um die Verhinderung von Pembrys Tod, die sich krimibibliotechnisch als sehr schwierig herausstellt. Der Akt des Lesens und des Gelesenwerdens wird zum handlungsentscheidenden Element. Meta-Fiction für Fortgeschrittene und bibliophile Quereinsteiger.
Margwelaschwili ist kein großer Stilist. Der Stil ist einfach und nur in der ein oder anderen kreativen Wortschöpfung verspielt (besonders mochte ich "krimibibliobiologische Parallelität"). Ansonsten ist der Roman sehr dialogreich. Die Charakterisierungen sind weniger ausgeprägt (der Ich-Erzähler bleibt über die erste Hälfte des Romans praktisch uncharakterisiert, erst in der zweiten Hälfte entwickelt er Ansätze einer eigenen Persönlichkeit). Im Vordergrund steht aber die Idee, an der der Autor spürbar viel Spaß hatte, und die sich auch auf den Leser überträgt.
Wer Italo Calvino oder die metafiktionalen Krimis von Zoran Zivkovic mag oder einfach nach der Suche nach dem etwas anderen, ausgefallenen Buch ist, dem sei dieses Buch sehr empfohlen.
ASIN/ISBN: 3935843909 |