Alia Yunis - Feigen in Detroit

  • 448 Seiten
    September 2010
    Aufbau Verlag
    OT Night Counter
    Übersetzung von Nadine Püschel
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    Inhaltsangabe
    Die 85-jährige Fatima Abdullah ist fest davon überzeugt, dass sie in den nächsten Tagen sterben wird, denn seit 992 Nächten erzählt sie der unsterblichen Sheherazade Geschichten aus ihrem Leben, von ihrer weitläufigen Familie. Fatima hat den Kontakt zu den meisten ihrer zehn Kinder verloren, es werden über ihren Enkel Amir belanglose Emails ausgetauscht, die Fatima treffend „Wetterberichte“ nennt. Nun muss sie sich entscheiden, wer ihr Elternhaus im Libanon erben soll, ihre andere persönlichen Besitztümer und ob bzw. wie sie sich mit ihrem Exmann Ibrahim versöhnen könnte, von dem sie sich nach über 50 gemeinsamen Ehejahren scheiden ließ….


    Zur Autorin (vom Verlag)
    Alia Yunis, Tochter eines libanesischen UN-Diplomaten, aufgewachsen im Mittleren Westen der USA und im Mittleren Osten, arbeitete als Journalistin und Filmemacherin in Los Angeles und ist zurzeit Dozentin für Kommunikationswissenschaft an der Universität von Abu Dhabi. Sie ist Mitglied der PEN Emerging Voices.


    Meine Meinung
    Schon lange habe ich keine so bewegende, vielschichtige und gleichzeitig humorvolle Familiengeschichte gelesen wie „Feigen in Detroit“.


    Im Mittelpunkt steht die 85-jährige Fatima, die seit einiger Zeit bei ihrem Enkel Amir in Hollywood lebt, der vehement alle Verheiratungsversuche abwehrt und sich lieber seinen Männerbekanntschaften widmet. Fatima und ihr mittlerweile 98-jährige Exmann verließen beiden den Heimatort im Libanon noch vor dem 18. Geburtstag und sind seitdem irgendwie und irgendwo zwischen Vergangenheit und Moderne steckengeblieben. Ihre Kinder wurde in den USA geboren, sprechen meist nur Englisch und haben kaum Bindungen an die alte Heimat.


    Jeden Abend taucht Sheherazade bei ihr auf, für andere Menschen unsichtbar, und die beiden unterhalten sich über Fatimas Leben, ab und zu erzählt auch die sehr unkonventionelle und eigensinnige Sheherazade aus dem ihren. Eine scharfe Beobachtungsgabe und nicht minder scharfe Zunge haben beide, sowie eine Faible für sehr schmackhaft klingende Gerichte aus der alten Heimat, daher sollte man dieses Buch nicht hungrig lesen…


    Nach und nach werden die Kinder und Enkelkinder auf so charismatische und augenzwinkernde Weise vorgestellt, dass ich sie schnell vor mir sehen konnte, mit all ihren mehr oder minder liebenswerten Eigenarten. Auch der langjährige Ehemann Ibrahim taucht auf und es wird auch aus seiner Perspektive erzählt.


    Mit viel Fingerspitzengefühl schildert Alia Yunis, wie Fatima und Ibrahim zwar seit Jahrzehnten in den USA leben, dort aber immer irgendwie fremd geblieben sind, sobald sie sich außerhalb der eigenen kleinen Nische bewegen. Ihre amerikanischen Kinder halten (vermeintlich) Negatives vor den Eltern geheim, um keinen Kummer zu bereiten und unterschätzen deren Intuition. Diese vermeintliche Rücksichtnahme führt wie so oft zu Sprachlosigkeit und Einsamkeit. Geschickt wird das komplexe Geflecht der Familienbande beschrieben, sowohl zwischen Eltern und Kindern, sowie zwischen den Geschwistern untereinander.


    Der feigenviolette Einband und deutsche Titel passen meiner Meinung nach perfekt zum Inhalt. Die Übersetzung von Nadine Püschel liest sich sehr flüssig und gibt den Wortwitz der englischen Originalfassung gelungen wieder.


    Fazit:
    Alia Yunis hat in ihrem Roman „Feigen in Detroit“ eine moderne Familiengeschichte mit den Märchen aus „1001 Nacht“ verknüpft. Das Ergebnis ist ein bunter, sehr lebendig und humorvoll erzählter Geschichtenteppich über das Leben arabischer Einwanderer in den heutigen USA. Ein perfektes Buch für lange Leseabende, bei dem ich mir gewünscht habe, es wären die Märchen aus „1100 Nacht“, damit ich Fatima und ihre große Familie noch ein wenig hätte begleiten können.

    "It is our choices, Harry, that show what we truly are, far more than our abilities." Albus Dumbledore
    ("Vielmehr als unsere Fähigkeiten sind es unsere Entscheidungen, die zeigen, wer wir wirklich sind.")

  • Uh das hört sich gut an... ich bekomm das buch von Lovelybooks und freu mich schon sehr.



    Das Buch fängt wirklich toll, kreativ und wunderbar orientalisch bezaubernd an. Es hat Witz und Biss und ich konnte es kaum aus der Hand legen. Die Idee eine Familiengeschichte durch die Gechichtenerzählerin Sheherazade zu verknüpfen und weiter zu spinnen, ist in meinen Augen absolut grandios. Leider nimmt sich die Autorin dann viel zu viel vor. Es sind einfach zu viele Kinder und Enkel, die da miteinander verquickt werden und deren Geschichte erzählt wird. Trotz hilfreichem Stammbaum, wußte ich oft erst nach ein paar Sätzen wieder, was jetzt genau noch mal das Problem oder Schicksal von diesem oder jenem war. Auch die herzerfrischende Witzigkeit geht nach etwa einem Drittel des Buches verloren, es ist nicht mehr locker leicht und trotzdem ein wenig melancholisch, sondern wird einfach nur noch zu moralinsaurem Geschwafel über Mutter-Kind-Beziehungen. Die so viel versprechende Geschichte büßt viel von ihrem Potential auf dem Weg zum Ende des Buches ein, leider, denn Stil und Erzählfähigkeit sind bei der Autorin durchaus angenehm und schön.
    Weiter zu bemängeln wäre der unvollständige Glossar, wenn ein Buch schon einen Glossar anbietet, in welchem die auftauchenden arabischen Redewendungen und Begriffe erklärt werden, dann gehe ich eigentlich auch davon aus, daß sie dort erklärt werden, hier taucht jedoch mindestens 1/3 der arabischen Sätze/Wörter nicht auf und wird auch im Text nicht eindeutig erklärt. Fand ich störend, denn ich spreche kein Arabisch. Zwar kann man der Geschichte auch so problemlos folgen, aber wenn ein Glossar da ist, warum es dann nicht auch nutzen? Generell finde ich sowieso Fußnoten für solche Zwischenerklärungen besser.
    Ganz das Lesevergnügen verhagelt haben mir dann die Anhänge, ganz ehrlich, wenn ein belletristisches Buch zur weiteren Erklärung ein Interview mit der Autorin und politische Erläuterungen zur Lage benötigt, dann läuft im Buchtext irgendwas falsch und konnte dort nicht ausreichend transportiert werden.
    Letztlich bleibt also, vielleicht auch aufgrund der sehr hohen Erwartungen nur eine mittelmäßig interessante Familiengeschichte, die leider nicht so bezaubernd ist, wie auf den ersten Seiten vermutet.
    Schade.... hätte die Autorin es geschafft den Stil des ersten Drittels und die Faszination dort bei zu behalten, wäre das ein heißer Kandidat für das Buch des Jahres 2010 geworden. So bleibt es bei mäßig gelungener Unterhaltung...

  • So schlecht, wie ich es am Anfang vielleicht eingeschätzt habe, war es letztendlich nicht, aber man sollte bei diesem Buch eine Sache bedenken: Man braucht wahnsinnig viel Zeit.
    Das Buch beginnt so, als würde Fatima zurückblicken auf ein Leben. Tatsächlich erscheint das Buch auch eine lange Zeit als Rückblick. Erst gegen Ende, wenn man die Auflösung des Buches sieht erscheinen die einzelnen Teile des Puzzles so klar kommen als hätte man tatsächlich gepuzzlet. Jeden Abend bekommt Fatima Besuch von Scheherazade, die sie bittet die eine Geschichte zu erzählen. Jeden Abend erzählt Fatima ihr die Geschichte. Sie erzählt viel über ein Haus im Libanon. Außerdem spricht sich viel über das was kam bevor sie verheiratet war. Sie erzählt über jeden in ihrem kleinen Dorf und hält dabei ihre Familie nahezu komplett aus ihren Geschichte raus. Erst als Scheherazade ein bisschen tiefer bohrt, sprudeln zahlreiche Geschichten aus der alten Dame hervor.
    Wie Scheherazade bereits weiß, wo und Fatima bei ihrem Enkel Amir, der homosexuell ist. Amir versorgt meine Großmutter und kümmert sich sehr um die alte Dame. Umso schockierter ist er, als Fatima beginnt selbst Gespräche zu führen. Denn Scheherazade, die Kunstfigur aus 1001. Nacht existiert natürlich nicht wirklich. Niemand außer Fatima kann sie sehen. Mit den Geschichten über ihre Familie ordnet Fatima ihr Leben, da sie glaubt am 1001. Tag zu sterben. Bis dahin müsse jedoch noch eine ganze Menge erledigen. Sie muss das Haus im Libanon vererben, eine geeignete Frau für Amir finden, sich mit ihren Ex-Ehemann, ihrer Urenkelin den Koran in Arabisch beibringen und noch einiges mehr. Wie dieses Buch letztendlich endet, das solltet ihr am besten selber lesen. Aber eines sollte sie vorab wissen, plant viel Zeit ein um über die einzelnen Episoden nachzudenken, denn nur dann ergibt sich eine gewisse Logik und Philosophie innerhalb der Geschichte, die einem so vielmehr gibt als der Stil in dem die Geschichte verfasst wurde.
    An dieser Stelle möchte ich auf den Stil des Buches zu sprechen kommen. Alia Yunis ist sicherlich eine ganz bemerkenswerte Frau, die in ihrem Leben schon einiges erlebt hat und quasi zwischen den Welten (Arabisch und Amerikanisch) pendelt. Allerdings ist es genau dieser Sachverhalt, der die Geschichte schwierig erscheinen lässt und es dem Leser schwer macht den ganzen Ablauf zu Folgen. Alia Yunis lebt quasi zwischen den Welten und kennt sich in beiden aus. Insofern hat sie natürlich eine andere Sicht auf die Welt über die sie schreibt. Das ist für manch einen Leser nicht wirklich einfach nachzuvollziehen. Man weiß gerade wenn man sich nicht in der arabischen Welt auskennt nicht genau, wo zu das ganze eigentlich führen soll. Es ist so ähnlich wie die Katze, die hinter einem Faden herrennt, ohne zu merken, dass dieser Schaden gerade wieder aufgewickelt wird. Eine Sache ist Feigen in Detroit ganz sicher nicht, ein gutes Buch für Anfänger. Aufgrund der Tatsache, dass die Autorin in dieser Welt beheimatet ist, setzt sie viele Aspekte als gegeben voraus, die wir, die wir nur unsere europäische Welt kennen nicht immer nachvollziehen können. Für jene Menschen, die sich jedoch intensiv mit beiden Kulturen auseinandergesetzt haben, mag dieses Buch großartig sein, wenn es darum geht eine Philosophie kennen zu lernen, die unserer so ähnlich und doch so anders ist. Allerdings möchte ich dieses Buch nicht nur jenen Leuten empfehlen, die sich mit Philosophie auseinandersetzt möchten. Ich möchte es auch solchen empfehlen, die chaotische Großfamilien lieben und gern einmal hinter die Fassade blicken möchten, die Fatima und ihre Familie über Jahrzehnte hinweg aufgebaut haben.
    Wenn ich dieses Buch bewerten müsste, würde ich ist für einen langen Urlaub empfehlen, bei der man die Ruhe hat, sich intensiv mit diesem Buch zu beschäftigen. Dann lässt sie sich nämlich erstaunlich gut lesen.

  • Darf man über andere Kulturen und Religionen lästern? Wenn es die eigene Kultur ist, wie bei Alia Yunis, sicherlich. Auch wenn mir das Lachen einige Male im Hals stecken bleiben wollte, habe ich mich über Fatima, die fast hundertjährige Patriarchin eines ausufernden libanesischen Familien-Clans köstlich amüsiert. Fatima mit ihrem unfreiwilligen Sprachwitz (der auch in der Übersetzung ins Deutsche noch funktioniert), ist einfach komisch – solange man selbst nicht mit ihr in einem Haushalt leben muss.


    Die Last, die die zweite Einwanderer-Generation trägt, weil sie es keiner der beteiligten Kulturen rechtmachen kann, trifft Alia Yunis punktgenau. In einer Großfamilie aus fünf Generationen mag mancher Leser zunächst Probleme haben, die Verwandtschaftsverhältnisse zu erfassen, ohne sich einen Stammbaum aufzuzeichnen. Köstlich amüsiert habe ich mich auch über das Thema Verschweigen konfliktreicher Themen, wegen Alter, Krankheit oder Religion einer anderen Person – und deshalb als Gesprächsthema eines Tages nur noch das Wetter bleibt. Wie wenig sich doch die Gewohnheiten in Fatimas Clan von denen in Clans anderer Länder unterscheiden - wäre da nicht die ironische zusätzliche Tonspur, die die auf den 11. September folgende US-amerikanische Xenophobie aufs Korn nimmt.


    Die Autorin sieht sich selbst als Amerikanerin, Libanesin und Palästinenserin, wie sie im sehr informativen Nachwort erzählt.


    begeisterte 8 von 10 Punte