Miriam und das weiße Kreuz - Erik Bengtson

  • Das Leben steht still, Miriam, denkt er. Meinen wir. Aber das stimmt nicht. In Wirklichkeit läuft es uns die ganze Zeit weg. (Seite 122)


    183 Seiten, gebunden
    Originaltitel: Amish
    Aus dem Scshwedischen von: Dr. Friedemann Lux
    Verlag: Brunnen Verlag, Gießen 2010
    ISBN-10: 3-7655-1748-8
    ISBN-13: 978-3-7655-1748-8



    Zum Inhalt (Quelle: eigene Angabe)


    Paul ist Schulbusfahrer in Baltimore. Doch die Zeiten ändern sich, die Umgebung ändert sich. Mehr und mehr entwickelt sich „sein“ Baltimore zu einem Slum, weswegen er fortzieht aufs Land. Dort hat er sehr bald eine Begegnung der etwas anderen Art mit einem Buggy: er fährt auf einen solchen auf. Damit beginnt sein Kontakt zur Welt der Amisch im allgemeinen und zu Eli, dem Fahrer des Buggy im Besonderen. Während Paul sich vom Dschungel der Großstadt erholt und mehr und mehr über die Amisch lernt, mit Eli und dessen Schwester Miriam in Kontakt kommt, braut sich ganz in der Nähe schweres Unheil zusammen.


    Informationen bzw. Links zu weiterführenden Webseiten zu den Geschehnissen in Nickel Mines finden sich in den Rezis zu:
    Think No Evil - Jonas Beiler with Shawn Smucker
    Die Gnade der Amish - Donald B. Kraybill / Steven M. Nolt / David L. Weaver-Zercher



    Über den Autor (Quelle: Verlagsangabe, schwed. Wikipedia)


    Erik Bengtson wurde 1985 geboren und lebt in Karlstad (Schweden). Sein erstes Werk schrieb er 1963 und hat sich seitdem durch mehrere Romane einen Namen gemacht. Bevor er „Miriam und das weiße Kreuz“ schrieb, verbrachte er längere Zeit im Lancaster County in Pennsylvania (USA). 2008 wurde er in Värmland (Schweden) als Autor des Jahres ausgezeichnet.


    - < Hier > die Seite beim Verlag zum Autor (dort ist auf der Seite zum Buch eine Leseprobe hinterlegt)



    Meine Meinung


    Das Problem mit dieser Rezi beginnt bereits damit, daß ich keine Ahnung habe, in welche Rubrik ich sie einstellen soll. Denn es gibt keine einzige passende hier im Forum - das Buch sprengt förmlich alle Ketten und paßt in kein Regal. Letztlich habe ich mich für zeitgenössisch entschieden um anzudeuten, daß es sich nicht unbedingt um einen leichten Lesestoff handelt.


    Das fängt schon bei der meist eher nüchternen, rationalen, etwas distanzierten Sprache an, die - zumindest für mich - gewöhnungsbedürftig war; rund fünfzig Seiten dauerte das. Möglicherweise liegt das aber auch daran, daß ich auf Grund der Kurzbeschreibung etwas ganz anderes erwartet hatte. Es ist kein Jugendbuch, wie die Covergestaltung, und auch keine einfache Liebesgeschichte, wie die Verlagsinhaltsangabe glauben machen möchte. Ich empfand, daß das Buch in einer ganz eigenen, hm, Erzählstimme geschrieben ist, wie eine Art innerer Monolog, etwas grüblerisch, distanziert, aber dennoch nahe am Geschehen und den Personen dran. Meist aus Sicht Pauls, bisweilen auch aus der von Miriam oder ihrem Bruder Eli, so daß man beide Seiten - und deren gegenseitiges Unverstehen - nachvollziehen kann. Ein Lob an dieser Stelle an den Übersetzer; zu keiner Zeit hatte ich das Gefühl, eine Übertragung aus einer anderen Sprache zu lesen. Es war, als ob es ein im Original deutschsprachiges Buch wäre.


    Das geht weiter bei der, trotz nur hundertachtzig Seiten, weit ausholenden Erzählweise, die Vergangenheit und Gegenwart in einer berückenden Symbiose verbindet. Auf diesen hundertachtzig Seiten ist so viel an Fakten enthalten, daß man das Buch durchaus auch als Sachbuch über die Amish sowie die Lokalgeschichte eines begrenzten Gebietes ansehen könnte, wenn es nicht wie ein Roman geschrieben wäre.


    Im Verlauf der Erzählung bekommt man eine Vorstellung davon, wie die Amisch denken und leben, was ihre Überzeugungen und Handlungsweisen sind. Man versteht etwa, weshalb sie sich zwar von anderen Menschen in einem Auto chauffieren lassen, jedoch selbst keines besitzen bzw. fahren dürfen. Und indem große Teile des Buches aus der Sicht von Paul, dem Schulbusfahrer, geschrieben sind, erlebt man den Aufprall der Kulturen direkt aus seiner Sicht mit. Vom ersten - wortwörtlich zu verstehenden - Aufeinanderprallen bis hin zu der Mauer, die die Kultur der Amischen von der der Englischen - und damit Paul - trennt.


    Wie gesagt, im Verlauf der Handlung lernt man einiges über die Amisch, etwas über ihre Geschichte, viel über ihr Leben und manches über die Beziehungen zur Umwelt (bzw. die der Umwelt zu ihnen), so daß man ganz ohne Vorkenntnisse - wie Paul - an sie herangehen kann. Wer sich etwas genauer auskennt ahnt, was zwangläufig kommen muß. Als das erste Mal der Name Charles Karl Robert IV. gefallen ist, lief es mir eiskalt den Rücken hinunter, war es doch eine erstes Anklingen, eine Vorbereitung auf das Grauen, mit dem das Buch enden muß.


    So kommt es denn, wie es kommen muß, und jetzt hilft auch keine noch so distanzierte und nüchterne Sprache mehr: in tiefer innerer Erschütterung habe ich das Buch beendet. Was möglicherweise subjektiv verstärkt wurde, weil ich etliches über das Attentat auf die Amisch-Schule gelesen und erst kürzlich einen Film darüber gesehen habe. Die wenigen Worte sind so zu starkem Leben erwacht. Aber auch der Bericht über die kleine Sadako und ihre tausend Kraniche trägt seinen Teil dazu bei. Die tausend Kraniche, von denen sie nur 644 fertigfalten konnte, bevor sie an den Folgen des Atombombenabwurfs von Hiroshima starb. Sie, wie viele andere, und die fünf Mädchen der Schule von Nickel Mines, Pennsylvania, von denen eine Marian Fischer war. Warum aber Paul immer, wenn er ein weißes Kreuz sieht, an jene stille Heldin denken wird, die er zu Beginn des Buches nach dem Weg gefragt hat: das, ja das müßt ihr schon selbst lesen.



    Kurzfassung:


    Ich kann das nicht kürzer, außer vielleicht so: eines meiner großen, stillen, unerwarteten Lesehighlights dieses Jahr. :anbet


    ASIN/ISBN: 3765517488

    .

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von SiCollier ()

  • Vielen Dank, SiCollier, für die ausführliche, interessante Rezi, die sofort mein Interesse an diesem Buch geweckt hat.


    Werde es sicher als eines der nächsten lesen.

    lg butterfly49

    "Sapere aude" "Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen."
    (Quintus Horatio Flaccus)