Der Preis der Freiheit - Tsitsi Dangarembga

  • Originaltitel: Nervous Conditions


    Klappentext:
    Tsitsi Dangarembga, im heutigen Simbabwe geboren, schildert anrührend und menschenkundig den zähen Kampf eines Dorfmädchens um Bildung. Doris Lessing schrieb über dieses Buch: "Viele gute, von Mànnern geschriebene Romane sind in Afrika entstanden, aber wenige von schwarzen Frauen. Dies ist der Roman, auf den wir gewartet haben. Er beschreibt, wie ein armes benachteiligtes Mädchen allmählich dem Dorfleben, dem Stammesleben entschlüpft, um seinen Platz als gebildete Frau einzunehmen - erzählt, was sie gewonnen, aber auch, was sie verloren hat; wie schwer es Frauen unter der Fuchtel der Männer in der traditionellen afrikanischen Gesellschaft hatten. Eine faszinierende Geschichte, schwer aus der Hand zu legen."


    Angaben zur Autorin


    Meine Meinung:
    Tambu will frei sein - frei davon, so sein zu müssen wie ihre Mutter, die mit fünfzehn verheiratet wurde und sich erst ihrem Vater und später ihrem Mann unterordnen musste, die ein armes und mühseliges Leben als Bäuerin in Rhodesien (heute Simbabwe) fristet und von deren Kindern einige im Säuglingsalter sterben. Die Mutter sagt (S. 28): "Eine erwachsene Frau zu sein, das ist eine große Last … einerseits das Elend, eine Schwarze zu sein, andererseits die Bürde, eine Frau zu sein. … Was dir helfen wird, mein Kind, ist zu lernen, deine Bürde mit Ausdauer zu tragen." Tambu spürt die Bürde schon auf ihren Schultern und weiß, dass sie nur mit einer guten Schulbildung den Weg in die Freiheit schaffen kann, doch es wird ihr nicht leicht gemacht.


    Tambus Bruder Nhamo wird von seinem Onkel unterstützt, der Schuldirektor einer Missionsschule ist, und darf bei ihm wohnen und zur Schule gehen. Der Onkel ist allmächtig: Er regiert den Familienclan, sorgt für die finanziell weniger gut gestellten Verwandten, zu denen Tambus Familie gehört, und lässt sich als Wohltäter feiern. Aus diesen Strukturen auszubrechen ist nicht einfach, schon gar nicht für ein dreizehnjähriges Mädchen Ende der 1960er Jahre in Rhodesien. Dann erliegt Nhamo überraschend einer Krankheit, und weil kein weiterer Sohn in der Familie vorhanden und der Onkel ein großer Gönner ist, darf Tambu anstelle ihres Bruders die Missionsschule besuchen. Sie zieht zu Onkel und Tante und freundet sich mit ihrer gleichaltrigen Cousine Nyasha an. Nyasha war während des Studiums ihrer Eltern, die von weißen Missionaren unterstützt wurden, für fünf Jahre in England und hat eine andere Welt kennengelernt. Während Tambu das Patriarchat ihres Onkels widerspruchslos akzeptiert, sich unterordnet und Probleme verdrängt, versucht Nyasha aufzubegehren, Dinge zu hinterfragen. Tambu versteht Nyasha in vielen Dingen nicht, doch die beiden Mädchen stehen sich sehr nahe und werden Freundinnen. Viele andere Freundinnen hat Nyasha nicht - die Mädchen in der Schule halten sie für versnobt und werfen ihr vor, eine Weiße sein zu wollen.


    Tambu kommt mit ihrer Lebensstrategie sehr weit, obwohl auch sie sich an einer Stelle massiv dem Willen des Onkels widersetzt. Sie schafft es, ein Stipendium für die Klosterschule zu bekommen, wo sie das Abitur machen kann. Nyasha hingegen zerbricht nach Tambus Weggang an den Konflikten; der Einfluss der Weißen und ihr Vater üben zuviel Druck auf das Mädchen aus.


    Durch Tambus Augen beobachtet der Leser weitere Frauen der Familie über einen Zeitraum von mehreren Jahren. Die Machtstrukturen im Familienclan sind komplex; allein die Reihenfolge bei Begrüßungen, die entsprechend dem Rang in der Familie eingehalten werden muss, ist kompliziert. Männer sind die Hauptpersonen, für deren Wohl insbesondere zu sorgen ist, Frauen sind das arbeitende Beiwerk. Ältere Tanten dürfen bei Entscheidungen mitsprechen, jüngere nicht. Doch es gibt Frauen wie Lucia, die sich über alles hinwegsetzen und trotzdem oder gerade deshalb genau das bekommen, was sie wollen - und die Chance zu Schule zu gehen obendrein. Oder da ist Maiguru, die Frau des Onkels, die trotz Studium und Magisterabschluss die traditionelle Rollenverteilung lebt, bis zu dem Tag, an dem sie nach einem Streit mit ihrem Mann, dem ersten Streit überhaupt, da sie sonst immer seiner Meinung war, von zu Hause auszieht. Der Ausflug in die Freiheit dauert zwar nicht lange, aber es ist ein Versuch.


    Tambu erzählt rückblickend und aus der Sicht einer erwachsenen Frau. Es ist eine Geschichte mit Tiefgang über die Gratwanderung, Chancen zu nutzen, ohne sich verbiegen zu lassen, sich selbst treu zu bleiben und trotzdem weiter zu entwickeln, eine Geschichte über das Erwachsenwerden - und nicht zuletzt ein spannender Ausflug in eine mir in vielerlei Hinsicht fremde Welt.


    Edit: Tippfehler beseitigt

  • Hallo killerbinchen,
    ja, das Buch hat 283 Seiten. Ich habe es gern und zügig gelesen und war gespannt, ob Tambu es schafft, sich zumindest ein Stück weit von den traditionellen Strukturen zu lösen. Aber es ist kein Familienepos mit x Handlungssträngen, sondern die Handlung ist eher einfach. Vieles spielt sich in Tambus Gedanken- und Gefühlswelt ab, hat aber durch den Rückblick im Erwachsenenalter schon einen gewissen Tiefgang. Mir hat das Buch gefallen, und ich denke auch mit einigen Tagen Abstand immer noch darüber nach.
    Ida

  • Das Buch ist unter dem Titel "Aufbrechen" neu aufgelegt worden und hat den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2021 erhalten.

    Aus diesem Grund habe ich es gelesen, auch wenn ich - ehrlich gesagt - an neuerer (!) afrikanischer Lektüre mehr interessiert gewesen wäre. Ich hätte lieber erfahren, ob die alten Strukturen, wie sie hier beschrieben wurden (und wie sie zu jener Zeit - 1960er Jahre - vermutlich auch in anderen Ländern und Kontinenten galten) auch heute noch existieren.

    Mir persönlich hat das Buch nicht so gut gefallen. Denn es ist ja nicht unbedingt eine Geschichte, in der jemand aus eigener Kraft etwas Bahnbrechendes geschafft hat, sondern eine Verkettung (un)glückllicher Umstände hat dazu geführt, das die begabte und hochintelligente Autorin diesen Weg gehen konnte. Vieles in ihrer Gefühlswelt blieb mir verborgen, vieles wurde erzählt, aber nicht erlebt. Mich hat das Buch ratlos zurückgelassen, denn es erschließt sich mir nicht, aus welchem Grund es 33 Jahre nach Erscheinen plötzlich diesen Preis (Begründung der Jury: weithin hörbare Stimme Afrikas in der Gegenwartsliteratur) erhalten hat. Gab es wirklich keine Bücher, die sich dafür besser geeignet hätten?