Charlotte Freise - Die Seelenfotografin

  • Charlotte Freise
    Die Seelenfotografin


    Rowohlt Verlag
    ISBN 978-3-499-25512-0
    Historischer Roman
    Originalausgabe 2010
    Umschlaggestaltung any.way Sarah Heiß
    Taschenbuch, 320 Seiten
    € 8,95 [D]


    Zur Autorin:


    Die bereits unter dem Namen Karla Schmidt tätige Autorin Charlotte Freise wurde 1974 in Göttingen geboren. Sie studierte Kultur-, Theater- und Filmwissenschaften. Im Jahr 2009 erhielt sie den Deutschen Science-Fiction-Preis für die beste Kurzgeschichte. Die Autorin lebt zusammen mit ihrem Mann und zwei Töchtern in Berlin. Der Umstand, dass im März 2010 bereits ein Psychothriller unter ihrem richtigen Namen Karla Schmidt veröffentlicht wurde, hat die Autorin dazu gebracht, ihren ersten historischen Roman „Die Selenfotografin“ unter einem Pseudonym zu veröffentlichen. (Weitere Infos unter www.karla-schmidt.de.)


    Zum Buch:

    Die Inhaltsangabe verspricht einen Ausflug ins historische Berlin mit einem Hauch Fantasy. Die Zeilen darüber (Ein Mann ohne Vergangenheit. Ein Mädchen ohne Zukunft. Eine Liebe, die nicht sein darf.) klingen gut; sind jedoch nach Lektüre des Buches ein klitzekleiner Widerspruch in sich. Denn natürlich hat der Mann eine Vergangenheit. Und genau genommen hat die Protagonistin auch eine Zukunft; wenngleich die anders aussieht, als man sich das anfangs vorstellt. Was stimmig war und blieb, ist die Liebe, die nicht sein darf.


    Denn Isabel ist Teil von Ruvens Vergangenheit, an die er sich jedoch fast den ganzen Roman hindurch nicht erinnert. Seine früheste Erinnerung beginnt im Waisenhaus, in dem er ein zwar ein hilfsbedürftiges, elternloses Kind war, aber eben auch nur ein hungriges Maul, das sich schon früh sein tägliches Brot durch harte Arbeit verdienen musste. Während diverse Mädchen von der Leiterin des Heims als „Modelle“ zum Wanderfotografen Bing geschickt werden, verkauft sie Ruven an ihn, damit er ihm zur Hand geht. Viele Jahre zieht er mit Bing umher und absolviert quasi eine Lehre. Doch er lernt nicht nur die Kunst des Fotografierens. Er sieht viel Gewalt. Bing verachtet Frauen, misshandelt, missbraucht und/oder fotografiert sie – Aktfotografien, die etwas zensiert, als wissenschaftliches Anschauungsmaterial verkauft werden.


    Als sich Ruven eine Chance bietet, neu anzufangen, greift er zu. Sprichwörtlich. Er stiehlt seinem Chef eine Fotoausrüstung und folgt dem Ruf eines Arztes, der ihm eine Festan-stellung verspricht. Ruven soll fortan, psychisch Kranke vor und nach ihrer Behandlung ab-lichten. Mit dem ebenfalls gestohlenen Geld mietet er sich ein Zimmer bei der alleinstehenden Elfie und ihrem Sohn. Dieses Zimmer wiederum befindet sich im selben Haus, in dem Isabel wohnt. Sie ist eine der Patientinnen, die Ruven fotografieren soll. Isabel interessiert sich nicht nur fürs Fotografieren, sie ist fasziniert von der Art der Fotos, die Ruven bis dahin angefertigt hat. Denn Peter, der Sohn seiner Zimmerwirtin, ist nicht nur mit Isabel befreundet und bringt sie zu den Behandlungsterminen in die Klinik (wo er auf Ruven trifft und mit zu sich nach Hause nimmt, als er feststellt, dass es ihm nicht gut geht). Er ist ferner in den Wagen von Bing eingebrochen und hat die dabei gestohlenen Fotos teilweise Isabel gezeigt. Und – bei diesem Einbruch wurde er von Ruven ertappt, der sich gerade mit seinem eigenen Diebesgut davonstehlen wollte.


    Alles scheint gut zu werden. Zwischen Ruven und Elfie bahnen sich zarte Bande an, die Arbeit in der Klinik sichert ihm ein geregeltes Einkommen. Er denkt daran, eine Familie zu gründen. Doch eine ihm unerklärliche Faszination für Isabel, die er nur wenige Male gesehen hat, hindert ihn daran, Elfie einen Antrag zu machen. Er überlegt, die ihm zunehmend an die Nieren gehende Arbeit in der Klinik aufzugeben und ein eigenes Fotoatelier zu eröffnen. Letztlich verdankt er das Atelier Isabel, die ihm nicht nur eine von ihr entwickelte Formel für ein neues, revolutionäres Verfahren übergibt, sondern auch an der Erfindung der Seelenplatte arbeitet, von der sie ihn ebenfalls zu überzeugen versucht.


    Die Charaktere sind klar gezeichnet. Ruven - ein junger Mann, will weiterkommen, das Elend und die Gewalt hinter sich lassen, und begeht dafür sogar eine Straftat; und wird schneller von seiner Vergangenheit eingeholt, als ihm lieb ist. Peter - ein Teenager, der aufgrund der Armut keine Kindheit und Jugend hat, sich aber immer irgendwie durchmogelt. Seine Mutter Elfie - hilfsbereit, aufopferungsvoll, immer fröhlich, höflich, und desillusioniert. Anna - die Tante, die Isabel versorgt, nachdem ihre Familie bei einem Unglück ums Leben kam, alt und krank. Isabel – ein junges Mädchen, wissbegierig, gebildet, vertrauensvoll unschuldig und berechnend manipulativ, verzweifelt und doch lebenslustig. Der Arzt - pflichtbewusst, fort-schrittlich …


    Doch wie weit darf dieser Fortschritt gehen? Seine Versuche gereichen Frankenstein zur Ehre. Er experimentiert mit Toten. Was in Ruven den Wunsch weckt, zu kündigen. Der Arzt strebt danach, diese Versuche auch am lebenden Objekt zu probieren. Als Isabel erfährt, wie Ruvens und ihre Vergangenheit zusammenhängen, erleidet sie einen Zusammenbruch und wird zum geeigneten Versuchsobjekt für den Arzt. Und die Seelenplatte zum einzigen Ver-such, Isabel zu retten.


    Meine Meinung:


    Die Autorin hat durch Wortwahl und Schreibstil eine Kulisse für die Geschichte geschaffen, die den Leser wie einen Voyeur auf die damalige Zeit blicken lässt. Er sieht die unschönen Seiten eines Daseins in Not und Elend. Bis auf wenige Ausnahmen scheint nichts dieses Leben dort wirklich lebenswert zu machen. Und doch gibt es sie. Gestohlene Momente des Glücks, die Hoffnung und so etwas wie Zufriedenheit in den Charakteren der Geschichte wecken.


    Die Grundidee ist gut und die gesamte Geschichte an sich ist nicht ohne Spannung. Ob die Story allerdings wirklich packend ist, steht auf einem anderen Blatt. Zum einen sind die Charaktere zwar klar, aber etwas flach gezeichnet. Zum anderen schrammt man aber größtenteils an Erpressung, sexuellem Missbrauch, medizinischem Wahnsinn oder auch dem tagtäglichen Kampf ums Überleben genauso vorbei wie an der eigentlichen Liebesgeschichte zwischen den beiden Protagonisten. Man blickt neugierig darauf, taucht aber nicht richtig ein. Die Geschichte liest sich zwar flüssig, aber nicht reißend. Außerdem – das Buch ist in vier Teile gegliedert – erscheint der letzte Teil schneller und flüchtiger erzählt.


    Dennoch kann ich nicht sagen, dass mir das Buch nicht gefallen hat. Wie gesagt, die Idee ist gut. Die Beschreibung der damaligen Lebensumstände oder etwa der Behandlungen auch – größtenteils eine bloße Draufsicht, aber das stört nicht völlig. Ich empfand das sogar fast detaillierter beschrieben als das, was in der Inhaltsangabe angekündigt war. Mir persönlich fehlte der tiefere Einblick in die eigentliche Liebesgeschichte. Und auch mehr zu der Seelenplatte an sich und den damit verbundenen Aspekten. Allerdings: Das Ende ist mehr oder weniger offen. Vielleicht gibt es ja irgendwann einen zweiten Teil, in dem ich dann auf meine Kosten komme. „Die Seelenfotografin“ Isabel ( die übrigens eigentlich gar nicht selbst fotografiert) bekommt deshalb nicht die volle Punktzahl. Mir persönlich hätte der ursprünglich angedachte Titel „Isabels Schöpfung“ besser gefallen.


    Copyright © 2010 Antje Jürgens (AJ)

    Der Unterschied zwischen dem richtigen Wort und dem beinahe richtigen ist derselbe Unterschied wie zwischen einem Blitz und einem Glühwürmchen.
    Mark Twain

  • Wie ich eben schon im "Ich habe abgebrochen"-Thread schieb, hab ich mich bei diesem Buch total vergriffen. Der Klappentext sprach mich an ebenso wie alle Kritiken, die ich dazu las. Trotzdem kam ich in das Buch nicht rein, konnnte mich nicht begeistern für Geschichte und schon gar nicht für den Schreibstil. Da ich mich nicht quälen mag, breche ich nach 90 Seiten ab.
    Bevor ich hier nicht weiterlesen mag, fange ich lieber ein anderes Buch an.

  • Da ich sehr gerne Fotografiere und auch historische Romane mag, interessiert mich das Buch schon. Es hört sich eigentlich auch interessant an und spannend. Allerdings habe ich nach so einer Rezension oft das Gefühl, das ich das Buch jetzt schon kenne und einem die spannenden Dinge schon vorweggenommen wurden.

  • @ Kalliope


    Tut mir leid, wenn ich da zu viel verraten habe. Ich verspreche mich zu bessern, wobei dir das ja jetzt erst mal nichts nützt.

    Der Unterschied zwischen dem richtigen Wort und dem beinahe richtigen ist derselbe Unterschied wie zwischen einem Blitz und einem Glühwürmchen.
    Mark Twain

  • Also sie gehen schon auf die Technik ein, aber wirklich intensiv auch wieder nicht, denke ich. Allerdings - das muss ich gestehen - ich bin da auch keine Fachfrau, was Fotografie anbelangt.

    Der Unterschied zwischen dem richtigen Wort und dem beinahe richtigen ist derselbe Unterschied wie zwischen einem Blitz und einem Glühwürmchen.
    Mark Twain

  • Mit „Die Seelenfotografin“ entführt uns die Autorin in das Berlin der Gründerzeit.


    Ruven lebt als Waisenjunge bei einem herumziehenden Fotografen, der sein Können als Fotograf in einer Art und Weise ausübt, die dem Jungen nicht behagt. Daher lässt Ruven sich auch leicht davon überzeugen als Gehilfe des ehrgeizigen Doktor Greipel in dessen Klinik Fotos von Kranken zu machen. Er erhofft sich ein gesichertes Einkommen und eine Heimat, die ihm bislang verwehrt geblieben ist.


    Im Rahmen seiner Tätigkeit lernt Ruven die junge Isabel kennen, die aufgrund eines Nervenleidens an den Rollstuhl gefesselt ist. Isabel ist hochintelligent, aber ihr Körper ist erheblich beeinträchtigt. Die Untersuchungen und Forschungen durch Dr. Greipel in dessen Klinik machen die Lebenssituation der jungen Frau nicht gerade erträglicher.


    Dies hat Peter, der in Isabel verliebt ist und zusammen mit seiner Mutter in der Nachbarschaft von Isabel und der alten Anna lebt, schon recht schnell erkannt. Wo es nur geht, versucht er der jungen Frau zu helfen. Diese aber hat ihrerseits nur noch Augen für den jungen Ruven.


    Charlotte Freise bzw. Karla Schmidt erzeugt in ihrer Geschichte eine bedrückende Stimmung, die auf den Leser eine solche Faszination ausübt, dass sie einerseits zwar abschreckt, aber noch viel mehr dazu aufruft weiter zu lesen und sich auf die Charaktere des Buches einzulassen. Die Handlung spielt in einer Zeit, die von Armut geprägt ist. Jeder ist froh, wenn er etwas zu essen auf dem Tisch hat und die nötigsten Dinge des Alltags erwerben oder auf sonstige Weise erhalten kann. Dennoch gibt es hier Menschen, die einander Mut machen und die Hoffnung nicht aufgeben. Menschen wie Elfi, die versuchen das Beste aus allem herauszuholen.


    Im Gegensatz zu Elfi ist Isabel ein Mensch, der zwar einerseits zu bemitleiden ist, aber von sich selbst dann doch so überzeugt ist und mit einer solchen Überheblichkeit auftritt, dass man als Leser völlig zwiegespalten zurückbleibt. Ihre Intelligenz und ihr streben nach Erfindung einer Seelenplatte können mir als Leserin da auch keine positive Emotion entlocken.


    Das Ende der Geschichte ist nicht alltäglich, es erstaunt und passt doch hervorragend zur erzeugten Stimmung.


    Ein Buch, das herausragt mit Charakteren, die auf eine unangenehme Art faszinieren und eine Welt, die uns so nah und doch so fremd ist.