Olivia Lichtenstein: Nie so wie du

  • Olivia Lichtenstein
    Nie so wie du
    Krüger 2010
    368 Seiten
    ISBN-13: 978-3810519337
    16,95€
    Originaltitel: Things Your Mother Never Told You
    übersetzt von Birgit Schmitz


    Über die Autorin:
    Olivia Lichtenstein ist eine preisgekrönte Dokumentarfilmemacherin. Nach ihrem Slawistikstudium begann sie ihre Fernsehkarriere als Auslandsnachrichtenredakteurin und war dann lange Produzentin von Dokumentarfilmen bei der BBC. Zur Zeit arbeitet sie als freie Produzentin, Regisseurin und Autorin. Sie lebt mit ihrem Ehemann und ihren zwei Kindern in London. Ihr erster Roman war ›Seitensprung rückwärts‹.


    Verlagstext:
    Mama was a rolling stone - Für jede Tochter, die glaubt ihre Mutter zu kennen


    Als ihre Ehe zerbricht und ihre geliebten Söhne sich anschicken, das elterliche Nest zu verlassen, steht Ros' Welt auf dem Kopf. Ros versucht, sich an das geteilte Sorgerecht für den Familienhund und das Leben allein zu gewöhnen. Sie testet neue Methoden, um ihre geistige Gesundheit zu erhalten: Yoga, Kräuterkuren, Internet Dating. Aber während sie dabei ist, sich selbst zu finden, entdeckt sie in den Aufzeichnungen ihrer verstorbenen Mutter eine Frau, die sie nie gekannt hat. Sie begibt sich auf eine Reise in die Vergangenheit, die auch ihr Bild von sich selbst erschüttert.
    Ein kluger, komischer und bewegender Roman über die Geheimnisse, die Mütter und Töchter voreinander haben.


    Zum Inhalt:
    Als Ros verstorbene Mutter Lillian zu ihrer Tochter spricht und ihr wie zu Lebzeiten Vorschriften macht, Ros sogar durch ein Medium Kontakt zu Lillian aufnimmt, hätte ich das Buch am liebsten ungelesen zurückgestellt. Doch Olivia Lichtenstein hat eine so trockene Art, ihre Figuren zu charakterisieren und handeln zu lassen, dass ich mich trotzdem in der Mutter-Tochter-Geschichte festgelesen habe.


    Als Kind fand Ros ihre Mutter mit den ewigen Anekdoten über afrikanische Musik und exotische Lebensmittel extrem peinlich. Roz Freundinnen hingen dagegen gespannt an Lillians Lippen. Ros wollte einfach eine Mutter haben, Freundinnen hatte sie in der Schule, nicht dieses ständige Generve, Lillian sei die beste Freundin ihrer Tochter. Lillians Ratschläge schienen Ros so nutzlos, schließlich lebte sie in der Gegenwart und nicht in den 50er Jahren in Kapstadt. Lillians jüdisches Erbe war offenbar der Grund, dass sie in Gedanken immer nur das Schlimmste erwartete - und ihre Tochter davor warnen wollte. Dennoch hatte Lillian sämtliche Binsenwahrheiten ihrer Mutter exakt abgespeichert. Dazu gehörte, dass Mike nicht der richtige Mann für Ros sei.


    Die erwachsene Ros ist Mitte vierzig als ihre Mutter überraschend stirbt. Ros und ihr Mann Mike sind mit Lillians Tod die Elterngeneration in der Familie geworden. Besonders Ros fällt es schwer die neue Rolle anzunehmen. Das familiäre Gleichgewicht gerät vollends aus dem Takt, als Mike sich von Ros trennt und die erwachsenen Zwillingssöhne das Haus verlassen. Ros und Mike können sich nur mit Mühe auf ein gemeinsames Sorgerecht für ihren Hund einigen.


    Mit dem drohenden Klimakterium im Nacken tritt Ros jeden Tag mutig ihren pubertierenden Schülern entgegen. Die Kluft zwischen den Generationen löst sich an der Schule offenbar gerade auf, treffen sich doch die frisch tätowierte Lehrerin und gepiercte schlägernde Schülerinnen zum Rapport auf derselben Bank vor dem Zimmer der Direktorin. Ros tritt an, um ihre Midlife-Krise mit einem unfassenden Veränderungsprogramm in Schach zu halten. Esokokolores nennt sie es: Frisör, Yogakurs, Bachblüten, Nahrungsergänzungsmittel, Tattoo. Ros probiert alles aus, was die Kassen der Wellness-Branche füllt. Als Ros sich bei LovingNew.com, einem Internet-Dating-Portal anmeldet, wird ihr klar, dass eine berufstätige Frau wie sie kaum Zeit für einen neuen Lover aufbringen kann. Charlie, der treue schwule Freund der Familie, Pate der beiden Söhne, versteht offensichtlich mehr von Ros Gefühlen als sie selbst. Charlie weiß, dass Gelegenheitssex Frauen nicht glücklich machen kann.


    Ein Koffer mit Lillians Erinnerungsstücken aus der Zeit um 1950 konfrontiert Ros damit, dass ihre Mutter als junge Studentin für den ANC in Südafrika arbeitete und einen Schwarzen liebte. Ein ungewöhnlicher Lebenslauf für eine weiße Südafrikanerin - eine völlig andere Person als die nörgelnde Stimme Lillians, die Ros noch im Ohr hat. Ein Brief von Gloria, der Jugendfreundin der Mutter, enthält den ersten Teil eines umfangreichen Manuskripts, das Lillian für die Wahrheits- und Versöhnungskommission in Südafrika über die politische Arbeit ihrer Gruppe geschrieben hat. Ros benötigt erst einen kräftigen Anstoß anderer, um zu erkennen, wie einsam Lillian in England war und wie wenig Ros sich bisher für das Leben ihrer Mutter interessiert hat.


    Fazit:
    Die Gefahr, dass die Handlung durch Lillians Stimme aus dem Jenseits ins Melodramatische kippt, bekommt Olivia Lichtenstein mit ihrem ausgeprägten Sinn für Ironie in den Griff. Ros Midlife-Krise, die Dialoge, sämtliche Nebenfiguren (Schüler, der Hundetyp, der Babysimulator) wirken mitten aus dem Leben gegriffen - von herrlich exzentrisch (Charlie) bis herrlich bescheuert (Versace). Trotz eines vorhersehbaren Schlusses und einer Hauptfigur, die sich für ihr Alter ab und zu recht blöd anstellt, empfehle ich Ros Spurensuche voller Überzeugung für Ihr Bücherregal "Hühnersuppe für die Seele".

  • Vielen Dank für diese schöne Rezi, Buchdoktor. :wave
    Das hört sich ja gar nicht schlecht an, bisher war ich mir noch unsicher, ob ich
    dieses Buch bestellen soll, aber nach Deiner Beschreibung werde ich es mir doch kaufen.

  • Ein sehr schönes Buch. Durchweg alle Charaktere gefielen mir sehr gut. Ich musste oft lachen und erkannte mich in einigen Situationen wieder. Auch der Esokokolores machte in diesem Buch Spass. Die südafrikanische Geschichte ihrer Mutter zur Zeit der Apartheid ist interessant und sehr erschütternd. Das, wie Buchdoktor schon erwähnt, vorhersehbare Ende gefiel mir sehr gut und passte zu dieser Geschichte. Ich kann dieses Buch nur weiterempfehlen und gebe 9 Punkte.