Nahende Nacht – Carl- Henning Wijkmark

  • Matthes&Seitz Berlin, 2009, 154 Seiten
    Originaltitel: Stundande Natten
    Aus dem Schwedischen von Paul Bert


    Kurzbeschreibung:
    „Morphium und Metaphysik ist alles, was den Menschen in diesem vom Leben bleibt – und de Frage: wie gelingt ein Abgang mit Würde?
    Nahende Nacht ist ein Endspiel ohne falsche Versöhnung, aber geprägt von bewundernswerten Mut. Und die Antwort auf die Gretchenfrage? Man weigert sich zu sterben, ist aber auf den Tod vorbereitet.“
    Arios Fioretos


    Über den Autor:
    Carl-Henning Wijkmark, geboren 1934 in Stockholm, studierte Literaturgeschichte und Philosophie in München und Lund. Für seinen Roman Nahende Nacht erhielt er 2007 den bedeutendsten schwedischen Literaturpreis, den August-Preis.


    Meine Meinung:
    Dieser kurze Roman erzählt von den letzten Tagen eines Todkranken. In einem Krankenhauszimmer liegt der Erzähler mit 3 weiteren Sterbenden. Ihnen ist nicht mehr zu helfen, das wissen die Kranken ebenso wie die Ärzte und die Krankenschwestern.


    Auf lakonische Art, die Sentimentalität ausschließt, aber auch nicht bitter wirkt, erzählt er von der entstehenden Kameradschaft, dem Gemeinschaftsgefühl das zwischen den Männern entsteht. Es gibt sogar witzige Dialoge. Dabei ist das Thema natürlich beklemmend, der Autor geht sehr weit. Und die Gemeinschaft kann nicht lange dauern. Als seine Zimmergenossen sterben, bleibt er alleine mit seinen Erinnerungen zurück. Es gibt ein auf und ab, der Tod ist sicher, doch noch ist er nicht bereit. In intensiver Selbstbeobachtung beschreibt er seinen Sterbeverlauf.


    So einen Sterbetext liest man in der zeitgenössischen Literatur selten. Es funktioniert auf diese Art wohl nur, da der Text relativ kurz ist.


    Ziemlich beeindruckend, kein Wunder das der schwedische Autor dafür einen Preis gewann.

  • Sterben ist das Thema dieses kleinen Buchs, sich dem Sterben nähern mittels des Worts, einen Vorgang einkreisen, beschreiben, um ihn faßbar zu machen. Wijkmark hat sich für eine Fiktionalisierung entschieden und so folgen wir einem Schwerstkranken durch seine letzten Wochen in einem Zustand, den man gemeinhin als Leben bezeichnet, bis zum Erlöschen.


    Wijkmarks Held ist ein ehemaliger Schauspieler, Operetten und Lustspiele waren sein Metier, wie sich im Lauf der Geschichte herausstellt, die Hochzeit seiner eher bescheidenen Karriere waren die Nachkriegsjahre bis etwa in die 60er Jahre. Das Sterbezimmer teilt er zunächst mit drei anderen Patienten, er ist der einzige, der bald noch übrig ist. Mit dem Faktum seines Sterbens setzt er sich geradezu gierig mit Hilfe von Büchern auseinander. Philosophisches, Romane, Totenbücher anderer Kulturen, der junge Mann, der mit dem Bücherwagen im Krankenhaus herumfährt, kommt kaum nach damit, diesen plötzlich über-hungrigen Verstand zu befriedigen.


    Mit den gleichfalls Betroffenen im Zimmer verbindet die Hauptfigur eine eigentümliche Beziehung aus Kumpelhaftigkeit und Distanz. Zu den behandelnden Ärzten und der Organisation eines modernen Krankenhauses entwickelt er wachsende Ablehnung, die sich in immer lauter werdender Kritik äußert. Immer größeren Dosen von Morphium ausgesetzt, ist sein Zustand in wachsendem Maß von Träumen und Wahrnehmungen bestimmt, die der Realität anderer entrückt ist. Was ihn nie verläßt, ist seine stark erotisch bestimmten Beziehungen zu den Krankenschwestern. Bis zum Ende prägt das seine Beschreibung der Ereignisse.


    Tatsächlich ist das alles sehr, sehr viel an Inhalt für einen vergleichsweise so kurzen Text von gerade 150 Seiten. Es gelingt Wijkmark nicht, das alles in angemessener Konzentration zu präsentieren. Nicht, daß der Text keine gelungenen Szenen oder keine interessanten Überlegungen aufzuweisen hätte. Letztlich versinken sie aber in etwas, das einfach nur Gerede ist. Mögen die Eindrücke und Einschätzungen dem Wunsch ihres Schöpfers nach individuell geprägt sein, erweisen sie sich, denkt man genauer darüber nach, als beiläufig bis banal. Er hat wenig zu sagen, dieser alte Schauspieler, vielleicht weil er immer nur die Worte anderer wiedergab und nie gezwungen war, eigene zu finden.


    Leider ist er auch alles andere als sympathisch, es ist schwer, ihm auch nur Mitgefühl entgegenzubringen, als Individuum, wohlgemerkt, nicht als leidender Mensch. Er erweist sich als Egoist der Sorte, der nicht strahlt und funkelt in der Maßlosigkeit ihrer Ich-Bezogenheit und dergestalt Attraktivität ausstrahlt, sondern einer, der jedes Interesse an sich umgehend zu Staub zerfallen läßt, weil sein eigener Kosmos so schrecklich beschränkt ist. Kurz: er ist ein langweiliger Mensch und man fragt sich bald, warum man gerade ihm beim Sterben zuhören soll.


    Der Blick auf die Frauen um ihn herum ist das, was die Lektüre schließlich ärgerlich macht. Alles wird kategorisiert, Frauen sind entweder mütterlich-Göttinnengleich oder erotisch-Göttinnengleich oder eiskalt Abweisende, weil sie Männern nicht das geben, was sie brauchen. Die Rolle, die er einer der Schwestern zuweist, eine wilde Mischung aus einer Art Anklang an Das große Fressen und ,Eines wahren Mannes letzte große Liebe’, sentimental und platt kitschig zu nennen, ist eine Freundlichkeit. Und natürlich muß eine deutsche Ärztin auftreten und natürlich muß umgehend Auschwitz assoziiert werden.
    Dieser Blick ist so vorgestrig, daß eine beim Lesen hin und wieder das Gefühl beschleicht, durch ein altes Museum zu wandern. Die Banalität vieler Erkenntnisse der Hauptfigur verstärkt den Eindruck.


    Es gibt ein paar schöne Beschreibungen, die eine oder andere gute Ideen, einige überraschend kritische Bemerkungen zum schwedischen Krankenhaussystem und eine ganz wunderbare Fledermaus. Sie hat einen so biederen, rückwärtsgewandten Text wirklich nicht verdient.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus