OT: Zwijgplicht 2007
Ein Fremder steigt in der glühenden Hitze in Wologizi aus. Fremde sind selten in dem Städtchen mitten in den bergigen Wäldern des Grenzgebiets. Der Fremde ist William Mawolo und er zieht sofort die Neugier der BewohnerInnen auf sich. Angeblich ist er auf der Durchreise, er läßt sich jedoch überreden, ein paar Tage zu bleiben, um den Generator zu reparieren, der die kleine Stadt mit Strom versorgen soll, aber immer wieder versagt.
Rasch stellt sich heraus, daß der Fremde gekommen ist, um das Verschwinden Teteses, ‚der Folterer’, des Kommandanten der Grenzstadt, aufzuklären. Die EinwohnerInnen wollen jedoch genau das verhindern. Ein Machtkampf beginnt.
William Mawolos Geschichte ist die Geschichte eines liberianischen Autors und er erzählt von den immer noch schmerzenden Wunden eines vom Bürgerkrieg bis ins Innerste getroffenen Landes. Jede und jeder in Wologizi hat Geheimnisse, die hinter einem Gespinst aus Halbwahrheiten und Lügen verborgen werden, und die sich am Ende nur als die ureigenen und ganz persönlichen Sichtweisen auf die Ereignisse herausstellen. Auch William hat Geheimnisse, und wie die, die er eigentlich einer Schuld überführen soll, verstrickt er sich darin und fällt ihnen am Ende zum Opfer.
Während über das Land und auch über Wologizi nach außen hin der ‚alte Mann’, der Staatspräsident auch aus der Ferne brutal mit Hilfe seiner Milizen herrscht, wirkt in den geheimnisvollen Bergen eine ganz andere Macht. William ist, wie die LeserInnen, unfähig, ihre Zeichen zu erkennen, er handelt nur nach dem, was er für richtig hält und wird folgerichtig blind für die wahren Probleme der Gemeinschaft. Die immer fanatischere Suche nach Tetese führt ihn letztlich vor einen Spiegel, in dem er nur noch sich selbst sieht.
Die Handlung ist im Realistischen angesiedelt, im Verlauf von Williams Aufklärungsarbeit aber wird Wologizi und die ganze Bergregion zu einem fantastischen Gebiet, in dem Traditionen und alte Mythen herrschen, die die Menschen brauchen, um im Irrsinn des allumfassenden Kriegs zu überleben. Hinter den Hierarchien und Machtstrukturen, hinter dem Verhältnis von Arm und Reich, Männern und Frauen, Alten und Jungen, verbergen sich Beziehungen ganz anderer Art, die am Ende alles auf den Kopf stellen, was William - und mit ihm die LeserIn - erwartet hat.
Der deutsche Titel führt ein wenig in die Irre, weil er auf den ersten Blick den Eindruck erweckt, daß es sich hier um einen Krimi handelt. Der niederländische Originaltitel ‚Schweigepflicht’ trifft das Thema weit genauer. Der kurze Roman bietet einen ganz eigenen, in vielem fremden Blick auf die Dinge und man folgt beim Lesen einer nicht immer leicht zu verstehenden Sichtweise auf die alte Frage der Korruption eines Menschen durch die Möglichkeit, uneingeschränkt Macht auszuüben.