Kehinde - Buchi Emecheta

  • Klappentext:


    Die Nigerianerin Kehinde lebt seit Jahren mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern in London und ist dort eigentlich zufrieden. Sie arbeitet bei einer Bank, wo sie einen gutbezahlten Job hat, der mehr einbringt als der ihres Mannes Albert. Doch eines Tages kommt Albert plötzlich auf die Idee, nach Nigeria zurückzukehren. Die Erinnerung an seine Kindheit, an die lockeren Freundschaften in seiner Heimat und vor allem an die Stellung des Mannes in der nigerianischen Gesellschaft lassen ihn nicht mehr los. Als Kehinde ihm nach einem Jahr folgt, muss sie feststellen, dass sich nicht nur Nigeria verändert hat, sondern auch Albert, der London ganz vergessen zu haben scheint und auf einmal die Tradition wieder sehr schätzt - vor allem die Polygamie!
    Ein packender Roman von der bedeutendsten nigerianischen Autorin!


    Über die Autorin:


    Buchi Emecheta wurde in Lagos, Nigeria, geboren. 1962 kam sie nach England. Sie hat Soziologie studiert und zahlreiche Romane, Fernseh- und Hörspiele und viele Artikel geschrieben.


    Meine Meinung:


    Der Name Kehinde bedeutet: diejenige, die danach kommt. Sie ist die Zweitgeborene von Zwillingen. Ihre Schwester Taiwo kam zuerst zur Welt, sie war im Mutterleib gestorben. Taiwo heißt: diejenige, die in die Welt vorausgeht. Nach dem Glauben der Yoruba in Westafrika haben Zwillinge eine gemeinsame Seele. Kehinde spürt Taiwo noch bei sich, sie ist die andere Seite ihres Ichs, Symbol für Kehindes zwei Welten, England und Nigeria.


    Kehinde kam als sehr junge Frau mit ihrem Mann Albert nach London. Sie bauten sich ein gemeinsames kleinbürgerliches Leben auf, kauften ein Reihenhaus, hatten gute Jobs, bekamen zwei Kinder, passten sich und ihre afrikanischen Traditionen an England an. Für Albert ist es unangenehm, dass Kehinde mehr verdient als er und dass er dadurch von ihrer Meinung abhängig ist. Alles in allem führen sie ein gutes Leben. Trotzdem bekommt Albert mit vierzig Jahren Sehnsucht nach Afrika, nach der gehobenen Stellung eines afrikanischen Mannes innerhalb seiner Familie. Durch Ölfunde boomt die Wirtschaft in Nigeria, so hört man, und er will dabei sein, wenn es aufwärts geht. Kehinde zögert. Sie fühlt sich wohl in England und es stört sie, dass Alberts Schwestern immer dringlichere Briefe schreiben, er solle nach Hause kommen. Doch sie beugt sich seinem Willen, angelockt von der Aussicht, mit dem Geld aus dem Verkauf ihres Londoner Häuschens in Nigeria ein Luxusleben führen zu können. Albert kann es kaum erwarten; er geht zuerst in die alte Heimat zurück und soll sich um eine schöne Wohnung, Schulen für die Kinder und um einen gut bezahlten Job kümmern.


    Kehinde kommt in London auch gut allein zurecht, doch der Hausverkauf läuft nicht wie geplant und zieht sich in die Länge. Schließlich reisen auch die Kinder nach Nigeria ab und Kehinde bleibt allein zurück. Nach und nach merkt sie, dass sich die afrikanischen Freunde von ihr zurückziehen - sie steht nicht mehr unter dem Schutz eines Mannes und ist damit fast so etwas wie eine gefallene Frau. Auch ihre beste Freundin Moriammo beugt sich dem Druck ihres Ehemannes und distanziert sich. Kehinde ist einsam. Albert schreibt selten, seine Briefe sind eine Ansammlung von Anweisungen ohne emotionalen Inhalt. In dieser Zeit ist Taiwo Kehindes Gegenüber, ihre Stimme ist allgegenwärtig. Kehinde fasst den Entschluss, nach Nigeria zu gehen, obwohl das Haus noch nicht verkauft ist. Sie kündigt ihren Job, vermietet das Haus und reist ab.


    Albert nimmt sie in Lagos in Empfang. Er wirkt verändert, voller Selbstvertrauen, attraktiv. In seinem Haus ist die gesamte Familie versammelt, um Kehinde zu begrüßen, Brüder, Schwestern, Nichten, Neffen - und Rike, Alberts neue zweite Frau, die einen Sohn von ihm hat und ein weiteres Kind erwartet. Kehinde erstarrt innerlich, doch sie muss sich abfinden. Das Leben in polygamen Ehen hat Tradition; Privatsphäre ist nahezu unmöglich. Die ältere Ehefrau wird respektvoll "Mummy" genannt. In Alberts Familie ist es anders: die neue Frau Rike ist schön, hat einen Doktortitel und verdient gut. Kehinde ist keine Mummy, sondern auch hier diejenige, die danach kommt. Sogar das Hausmädchen lässt Kehinde spüren, dass sie nur die Zweite ist. Albert tut, als ob er von alldem nichts bemerkt. Die Kinder bekommen eine sehr gute Ausbildung, fühlen sich wohl und akzeptieren das neue Familienleben. Kehinde ist wieder einmal allein, nur ihre große Schwester und Taiwo stehen ihr bei. Sie schreibt Bewerbungen, führt Vorstellungsgespräche, doch sie findet keinen Job. Nichts in Nigeria ist so, wie sie es sich erträumt hat. Kehinde sehnt sich nach London zurück und bittet ihre Freundin Moriammo um Geld für den Rückflug und will endlich ihr Leben selbst in die Hand nehmen.


    "Kehinde" spielt Ende der 1970er Jahre und ist eine interessante Geschichte über eine Frau, die weder in Nigeria noch in England wirklich zu Hause ist. In Nigeria ist sie die unbedeutende Zweitfrau ohne eigenes Einkommen, in England steht sie als Schwarzafrikanerin abseits. Sie ist zwischen afrikanischen Traditionen und der westlichen Lebensart hin- und hergerissen, der Weg zur Emanzipation ist lang und steinig und am Ende des Buches keineswegs abgeschlossen. Der Zusammenhalt der afrikanischen Frauen ist anscheinend, wenn es sich nicht gerade um konkurrierende Ehefrauen handelt, ein ganz besonderer. Kinder haben unter Umständen viele Mütter: die, die das Kind ausgetragen hat und einige Frauen in der Familie, die sich um es kümmern. Die Zwillingsgeschichte, die im Unterschied zum Rest des Romans von Kehinde als Ich-Erzählerin erzählt wird, war für mich ein gelungenes Symbol für Kehindes Suche nach ihrer Identität in den zwei Welten.