Suhrkamp 2010
Gebundene Ausgabe: 247 Seiten
Originaltitel: Ciencias morales
Kurzbeschreibung:
Buenos Aires, Anfang 1982: Dicke Mauern umgeben das streng traditionelle Elitegymnasium Colegio Nacional, in dem die junge María Teresa ihre Stelle als Aufseherin angetreten hat. Außerhalb der Mauern herrschen die Militärs, der Falkland-Krieg ist in vollem Gange. Drinnen soll María Teresa die strikte Einhaltung der Disziplin überwachen. Sie ist nur ein kleines Glied in der Kette, aber sie will es gut, ja peinlich genau machen. Schließlich ist Ordnung der sicherste Halt in einem Leben, in dem die Mutter in der Küche Kriegsnachrichten hört und der Bruder verstörend rätselhafte Postkarten aus der Etappe schickt. Eines Tages geht sie in ihrem Überwachungseifer so weit, daß sie sich in der Jungentoilette einschließt, um einen Schüler in flagranti zu ertappen, den sie im Verdacht hat, heimlich zu rauchen. Mit ebendiesem Schritt gelangt ihre Moral in eine eigentümliche, beunruhigende Schieflage. Darf die Darstellung des Schrecklichen ins Komische kippen? Soll man sich in eine Mitläuferin einfühlen? Martín Kohan ist ein blitzwacher Beobachter und ein kompositorischer Meister des Nebeneinanders von Banalem, Bösem und Groteskem.
Über den Autor
Martín Kohan wurde 1967 in Buenos Aires geboren und lebt dort bis heute. Er hat fünf Romane, zwei Bände mit Erzählungen und zwei große Essays (einen über Eva Perón und einen über Walter Benjamin) veröffentlicht. Mehrmals im Monat fliegt er von Buenos Aires in den Süden, wo er an der Universität von Patagonien – ebenso wie in der Hauptstadt – literarische Theorie lehrt.
Meine Meinung:
Mit sparsamen Mitteln zeigt Martin Kohan ein präzises Bild eines Zustands in Argentinien 1982, als sich die Militärdiktatur dem Ende neigte.
Die Protagonistin ist eine junge Aufseherin in einer elitären Jungensschule. Sie ist eigentlich noch sehr unreif und unerfahren, sie unterscheidet sich außer durch ihre Position vielleicht nicht so sehr von den Schülern. Das sie zeitweise einem Fetisch verfällt, liegt an dem ungesunden Zustand des Landes durch eine jahrelange Militärdiktatur. Marita wird bald selbst zum Opfer, da der Direktor sie ausnutzt. Die skrupellose Art der Machtausübung der Mächtigen in der Gesellschaft ist offensichtlich verbreitet.
Die Stimmung der Protagonisten ist desolat, in Maritas Familie wird z.B. der Bruder, der zum Falklandkrieg eingezogen wurde, sehr vermisst.
Indirekt wird die Militärjunta zum Hauptthema obwohl die Handlung davon eigentlich losgelöst ist.
Es ist überraschend, wie sich der Autor privat so locker und lustig gibt (wie ich ihn auf der Frankfurter Buchmesse erlebt habe) und im Stil eine strenge Form mit großer Wirksamkeit nutzt. Der Roman lässt sich aber gut lesen. In wenigen Seiten wird in einem Mikrokosmos ein großes Bild entworfen. Beeindruckend!