Die Feder folgt dem Wind – Kerstin Groeper

  • Gebundene Ausgabe: 500 Seiten
    Verlag: TraumFaenger Verlag, 2010
    Vorwort: Leonard Little Finger


    Kurzbeschreibung:
    Die Familie Bruckner lebt ein bescheidenes, aber durchaus zufriedenes Leben in Deutschland. So folgt Theresa ihrem Mann mit eher gemischten Gefühlen, als dieser 1863 nach Amerika auswandert. Nach dem Massaker an einem friedlichen Cheyennedorf am Sand-Creek durch weiße Soldaten überfallen die nach Rache sinnenden Cheyenne und verbündeten Lakota die abgelegene Farm der deutschen Familie. Schrecklich bemalte Indianer zerren Theresa aus dem Haus und entführen sie in eine Welt, die ihr völlig unbekannt und bedrohlich erscheint. Gestrandet in einem fortwährenden Alptraum, lehnt sie jede Annäherung ab und weigert sich die andere Sprache zu lernen. Auch Wakinyan-gleschka, der Mann, der sie eher aus Mitleid vor der Rache der Cheyenne bewahrt hat, weiß nichts mit der Frau anzufangen. In seinen Augen ist sie dumm und ungebildet, kaum in der Lage ein Tipi zu führen oder ihn im Bett zu erfreuen. Doch dann erreicht der Krieg der weißen Soldaten das Dorf der Brulé-Lakota, mit einer Brutalität, die Theresas Leben für immer verändern wird Basierend auf wahren Begebenheiten beschreibt das Buch diese Geschichte abwechselnd aus dem Blickwinkel von Theresa und Wakinyan-gleschka.


    Über die Autorin:
    Kerstin Gröper als Tochter des Schriftstellers Klaus Gröper in Berlin geboren, verbrachte einen Teil ihres Lebens in Kanada. In Kontakt mit nordamerikanischen Indianern entdeckte sie ihre Liebe zur indianischen Geschichte, Kultur und Sprache. Sie lernte Lakota, die Sprache der Teton-Sioux und ist aktives Mitglied einer Vereinigung, die sich der Unterstützung zum Fortbestehen der Sprache und Kultur der Teton-Sioux widmet und Mitarbeiterin beim Aufbau der Lakota Village Circle School auf der Pine Ridge Reservation in South Dakota. In Deutschland führt sie regelmäßig Referate und Seminare über die Sprache, Kultur und Spiritualität der Lakota-Indianer durch. Kerstin Groeper arbeitete als Autorin für Omni und Penthouse und schreibt heute Artikel zum Thema Indianer u.a. für das renommierte Magazin für Amerikanistik. Sie lebt mit ihrem Mann und drei Kindern in der Nähe von München.


    Meine Meinung:
    “Die Feder folgt dem Wind“ ist mit 500 Seiten nicht nur ein umfangreicher historischer Roman, sondern auch ein höchst komplexer mit großer Tiefe und Intensität.

    Er beginnt 1863 als Theresa mit ihrer Familie aus Deutschland nach Amerika auswandert.
    Schon im kurzen Kapitel der Überfahrt zeigt sich, dass die Autorin Wert auf realistische Beschreibungen legt. Die Hygiene an Bord ist schlecht, mit Typhus lauert eine gefährliche Krankheit und die Auswanderer an Bord sind wie eingesperrt.
    In Nebraska angekommen zeigt sich die Härte des Landes, ein Kapitel heißt dann auch Zerplatzte Träume.


    Auffällig ist die personale Erzählstruktur des Romans, bei dem sich immer ein Kapitel mit Theresa mit einem Kapitel des Indianers Wakinyan-gleschka abwechselt. Die Blickwinkel der Protagonisten sind anfangs sehr unterschiedlich, doch es folgt eine Annäherung.
    Das Buch verkommt aber nie zur bloßen Liebesgeschichte, es ist eine Lebens- und Überlebensgeschichte.
    Dabei werden einseitige Ansichten vermieden. Obwohl die Greueltaten von Soldaten auf wehrlose Indianer deutlich mit harten Szenen gezeigt werden, bleiben auch blutige kriegerischer Auseinandersetzung zwischen indianischen Stämmen wie der Lakota und Crow nicht aus.


    Das Buch lässt sich gut, aber aufgrund des Handlungsreichtums nicht unbedingt schnell lesen. Es ist vollgepackt fast bis zur Überfrachtung!


    Man spürt dem Roman deutlich an, wie ambitioniert die Autorin ist. Erfreulicherweise bleibt sie dabei auch in kleinen Details immer genau und sorgfältig. Sie schreibt in dem interessanten Nachwort mit historischen Anmerkungen auch über die ausführliche Recherchearbeit.


    Der Roman ist im TraumFänger Verlag erschienen und bietet eine gute Arbeit, angefangen über das liebenswert altmodisch gehaltene Cover und Karten im Buchdeckel bis zur lesefreundlichen Textgestaltung.


    „Die Feder folgt dem Wind“ ist ein empfehlenswertes Buch mit vielen, oft verblüffenden Details über das indianische Leben. Es wird auch der geschichtliche Verlauf unaufdringlich gut gezeigt, bekannte Namen, die außerdem erwähnt werden sind z.B. Red Cloud und Crazy Horse. Die vielen historisch belegten Fakten verhindern aber nicht, dass auch eine gute, spannende Geschichte erzählt wird.

  • Wow, was für eine schöne Rezi, vielen Dank Herr Palomar. :-] Inhaltsangabe und Rezi haben mich sofort angesprochen und lassen auch schon den Tiefgang der Geschichte erahnen. Ich habe es sofort auf meine Liste gesetzt. :wave

  • Ich habe den Stil als intensiv und leicht lesbar, empfunden, in den Dialogen sogar als locker. Gekennzeichnet ist der Stil anfangs durch die sprachlichen und kulturellen Unterschiede der Protagonisten, deren Perspektive wechselweise in den Kapiteln beschrieben wird und der sich mit der Zeit immer mehr annähert.


    Es ist kein Jugendbuchstil, obwohl die Autorin mit dem Roman "Meine Mutter, der Indianer und ich" so etwas auch schon geschrieben hat.

  • In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Amerindian Research, nämlich Nr. 18 / Heft 4-2010, ist übrigens eine sehr positive Rezension zu diesem Buch veröffentlicht. Dabei wird auch auf die Problematik der für einen historischen Roman richtigen (bzw. für Leser verständlichen) Sprache eingegangen.


    Bei mir subt das Buch inzwischen, neben zwei weiteren aus diesem Verlag. Allerdings weiß ich noch nicht, wann das Thema Indianer wieder an der Reihe ist. Vorbereitet bin ich jedenfalls. :-)

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Herr Palomar
    Nach einer ausgiebigen Surfrunde auf der Webseite des Traumfänger-Verlags habe ich mich Dank deiner Rezi entschieden dieses Buch zu bestellen, bin schon sehr gespannt :-]


    edit: ...man sollte halt die Hälfte des Satzes nicht ungeschrieben lassen! :grin

  • Und ich habe es verschlungen!!!
    Keine Zeile war mir zu viel, die 500 Seiten habe ich als bekennender Langsamleser mit keiner Seite bemerkt :-]
    Mit klopfendem Herzen bin ich der "Weißen" Theresa auf ihrem verheißungsvollen, abenteuerlich-schmerzlichen Weg in die Neue Welt Amerika gefolgt, wo es sie zunächst unfreiwillig zum Indianerstamm der Lakota verschlägt.
    Die langsame, erst durch viele Hürden überwindende Annäherung von Theresa und dem Indianer Wakinyan-gleschka hat mich richtig gefangen genommen, mir einen großen Einblick in die indianische Lebens- und Glaubenswelt geschenkt. Für mich zweifelsohne ein wunderschöner Liebesroman, welcher allerdings unkitschig und gut recherchiert auch einen offenen, realistischen Einblick in die damalige Einwanderungssituation und -problematik auf beiden Seiten aufzeigt.

  • Theresa verstand mit einem Mal das Dilemma dieser Menschen. Gleichgültig, welchen Weg sie wählten: beide führten in die Katastrophe. (Seite 325)


    Meine Meinung


    (...) und am Ende wird nichts mehr sein, wie es einmal gewesen ist. Der Sturm hat alles mit fortgenommen. Doch bis dahin ist es ein langer, schmerzhafter Weg. Mit diesen Worten habe ich meine Inhaltsangabe zu Michail Scholochows „Der stille Don“ beendet. So viele Unterschiede auch zwischen beiden Büchern bestehen, diese Beschreibung trifft auf beide zu. Obwohl „Der stille Don“ in einer ganz anderen Gegend der Welt und einige Jahrzehnte später spielt, mußte ich immer wieder an ihn denken. Denn dort wie hier ist der Untergang einer Lebensform Thema der Erzählung.


    Zwar umfaßt der eigentliche Roman „nur“ rund fünfhundert Seiten und erstreckt sich über eine Spanne von gut vier Jahren, aber gefühlsmäßig erschien es mir am Ende, als ob ein ganzes Zeitalter verstrichen sei und der Schluß vom Beginn so weit entfernt ist wie etwa die Sonne von der Erde. Der Überfall auf Theresa Bruckners Farm - war der wirklich in diesem Buch oder nicht doch in einem anderen, zuvor gelesenen?


    Neben dem Untergang der bisherigen Lebensform der Lakota ist ein zweites Thema das des Zusammenlebens eines Indianers und einer weißen Frau, zumal diese nicht freiwillig zu den Lakota kam. Wakinyan-gleschka war der Mann, der sie vor der Ermordung durch die Cheyenne gerettet hat und der sie, da seine bisherige Familie an den Pocken gestorben ist, zur Frau haben will. Bar jeglicher Kitschromantik beschreibt die Autorin das Annähern der beiden, wie es sich in so einer Situation mit hoher Wahrscheinlichkeit abgespielt haben könnte. Dem Leser hilft beim Verständnis, daß die Kapitel des Buches abwechselnd aus Sicht von Theresa und Wakinyan-gleschka geschrieben sind, so daß man oft eine Situation aus beiden Blickwinkeln geschildert betrachten kann.


    Dabei (sowie im Verlauf des Buches) wird deutlich, daß der Kulturschock keineswegs einseitig ist. Nicht nur Theresa muß in einer völlig anderen Welt, von der sie bisher erzählt bekam, die sei von „unzivilisierten Wilden“ bewohnt, zurecht kommen. Auch Wakinyan-gleschka stellt muß zunehmend erkennen, wie sehr sich die Welt der Lakota von der der Weißen unterscheidet. Was in der einen Welt überlebenswichtig ist, wird in der anderen verachtet oder ist gar nicht bekannt - und umgekehrt. Der Autorin gelingt es auf bemerkenswerte Weise, diese Unterschiede quasi nebenbei herauszuarbeiten, die Figuren damit zu konfrontieren und zu zwingen, damit umzugehen, ohne je romantisierend oder verharmlosend darzustellen. Dadurch war ich während des Lesens tief in diese auch mir recht unbekannte Welt eingetaucht; nachdem die letzte Zeile gelesen war, dauerte es geraume Zeit, bis meine Sinne wieder in der Lage waren, sich in der realen Welt zurecht zu finden. Bis jetzt bin ich mir nicht sicher, ob nicht die Welt(anschauung) der Lakota, auch wenn sie der US-Army unterlegen ist, letztlich die bessere war bzw. ist.


    Kerstin Groeper erspart weder den Figuren noch dem Leser etwas von der Härte und Brutalität jener Zeit, ohne dabei jedoch zu genau ins Detail zu gehen. So weiß man zwar, was geschieht, jedoch dankenswertereise ohne sich voyeuristisch am Leid der Figuren zu weiden, wie das heute (leider) oft üblich geworden ist. Selten habe ich solche dezenten und zurückhaltenden „Bett“szenen gelesen wir hier; vor allem waren es solche, die wirklich für die Handlung und das Verständnis der Figuren notwendig waren. Alle Achtung!


    Sowohl die Indianer als auch die Weißen begehen schlimme Taten; die Autorin enthält sich jedoch einer Bewertung, sondern schildert selbige einfach. Aber das ist fast schlimmer, denn dadurch sprechen die Taten für sich. Und die lassen die „Weißen“ sowie die US-Army im denkbar schlechtesten Licht erscheinen und mich unwillkürlich an sehr düstere Zeiten des 20. Jahrhunderts denken. Wer sich ein bißchen mit der Geschichte des sog. Wilden Westens auskennt, weiß, daß die Autorin hier nicht übertrieben hat - leider. (Man lese etwa Augenzeugenberichte über das Sand Creek Massaker, das hier im Buch eine Nebenrolle spielt). Das Leid, welches dadurch den Indianern zugefügt wurde, wurde dadurch greifbar, nachvollziehbar und verständlich.


    Wie in ihrem späteren Buch „Der scharlachrote Pfad“ werden die Lakota hier als Menschen mit eigener Kultur, Rechtsbewußtsein und Sitte beschrieben. Theresa muß im Verlauf ihrer Zeit bei diesem Volk feststellen, daß sie mitnichten jene Wilden sind, als die man sie ansieht. Und manches sauberer und kultivierter ist als bei den „zivilisierten“ Weißen. Um so deutlicher und härter wird der Kontrast auf den letzten rund hundert Seiten, da die Welten endgültig hart aufeinanderprallen. Ich schätze, es waren diese Seiten, von denen die Autorin im Nachwort schrieb, daß ihr beim Schreiben Tränen in den Augen standen. So war ich wenigstens in guter Gesellschaft. :cry


    Zwar sind die Hauptpersonen fiktiv, die Ereignisse entsprechen jedoch weitgehend der Historie. Selten ist der unvermeidliche Untergang der indianischen Kultur- und Lebensweise so deutlich geworden, wie hier im Buch. Die indianischen Völker waren unter sich uneins; anstatt sich alle zusammen zu schließen, führten sie immer wieder Kriege gegen ihre angestammten Feinde, und schwächten so zusätzlich ihre Position. Den Rest gaben ihnen die Veränderungen, die durch die Weißen bewirkt wurden. Zum Beispiel, indem die Büffel abgeschlachtet und den Indianern damit die Lebensgrundlage entzogen wurde.


    Im Nachwort geht die Autorin auf Fälle, in denen weiße Frauen mit Indianern zusammen lebten und bei diesen bleiben wollten, ein. Die Geschichte um Theresa und Wakinyan-gleschka mag fiktiv sein, aber solche Verbindungen kamen vermutlich öfters vor, als man gemeinhin annimmt. Kerstin Groeper wollte mit ihrem Buch, wie sie im Nachwort schreibt, jenen weißen Frauen, aber auch ihren indianischen Ehemännern ein kleines Denkmal setzen, die den Mut hatten (und ihn immer noch haben), zu ihrer Beziehung zu stehen und ihre Liebe auch über schwierige Zeiten hinweg zu retten. Das ist ihr in überaus lesenswerter und beeindruckender Weise gelungen. :anbet



    Kurzfassung


    Ein grandioses Buch, das basierend auf tatsächlichen Begebenheiten von der Beziehungen zwischen einer Weißen und einem Lakota sowie die letzten freien Jahre der Lakota, bevor ihre traditionelle Lebensweise zerstört wurde, erzählt. Absolut lesenswert.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")