Ab wann ist ein Roman zeitlich "historisch"?

  • Hallo zusammen,


    irgendwo hat vor kurzem mal jemand geschrieben, dass er ein bestimmtes Buch nicht als historisch einstufen würde, weil es im/vor /nach dem 2. Weltkrieg (glaub ich) spielt. Geht mir genauso, aber woher kommt das?
    Gibt es da eine bestimmte Definition von historischen Romanen, also z.B. gilt ein Roman erst dann als historisch, wenn die Handlung spätestens im 19. Jahrhundert spielt? Eigentlich ist doch auch z.B. der 2. Weltkrieg aus heutiger Sicht schon "historisch", oder was meint ihr?


    Neugierige Grüße,
    milla


    P.S.: Ich weiß nicht, ob es die Frage schon mal gab, wenn ja, wäre ich auch für einen Link zu dem entsprechenden Thread dankbar ;o)

  • Hallo, Melkat.


    Auch dieses Thema hatten wir, glaube ich, schon einmal, aber ich bin jetzt zu faul zum Suchen. :grin


    www.wissen.de liefert folgende Definition des Begriffs "historischer Roman":


    "= eine künstlerisch gestaltete Darstellung historischer Ereignisse in Prosaform. Der historische Roman entstand mit dem Durchbruch des Geschichtsbewusstseins in der Romantik. Wichtige historische Romane in Deutschland sind: A. von Arnims "Die Kronenwächter", W. Hauffs "Lichtenstein", A. Stifters "Witiko", G. Freytags "Die Ahnen", dann die Werke C. F. Meyers und T. Fontanes. Im 20. Jahrhundert folgen R. Huch, H. Mann und F. Werfel. Wichtige historische Romane des Auslands sind: W. Scotts "Waverley", V. Hugos "Notre Dame de Paris", L. N. Tolstojs "Krieg und Frieden", H. von Sienkiewicz "Quo vadis"."


    Meiner Auffassung - auch dieser Definition folgend - ist ein historischer Roman ein Prosawerk, das sich im Umfeld historischer Ereignisse bewegt und sie thematisiert. Auch ein Buch über die "Wende" (1989) wäre demzufolge ein historischer Roman, obschon das Ereignis erst 15 Jahre her ist. Eine zeitliche Eingrenzung ist m.E. sinnlos - was Geschichte ist, wird auf diese Art zum Gegenstand eines historischen Romans, denn "Historie" heißt nichts anderes als "Geschichte" im Sinn einer wissenschaftlichen Vergangenheitsbetrachtung.


    Im Sprachgebrauch sieht's natürlich ein bißchen anders aus - man ist geneigt, von einem historischen Roman erst dann zu sprechen, wenn die Protagonisten längst zu Staub zerfallen sind und selbst hartgesottene Würmer zum Husten bringen. Dem würde ich mich aber nicht anschließen; das Genre definiert sich über die fiktive Umsetzung einer Geschichte, die "in der Geschichte" angesiedelt ist. Ereignisse oder Epochen sollten dabei Gegenstand des Buches sein. Es genügt also nicht, daß ein Roman 1989 spielt; er müßte das Zeitgeschehen auch aufarbeiten, zentral.

  • Zitat

    Original von Tom
    ...man ist geneigt, von einem historischen Roman erst dann zu sprechen, wenn die Protagonisten längst zu Staub zerfallen sind und selbst hartgesottene Würmer zum Husten bringen.


    Zwar offtopic, aber ich musste diesen Satz einfach nochmal hervorheben. Köstliche Formulierung! :-)


    Gruss,


    Doc

  • also für mich ist historysch alles was vor unserer zeit ist. denn zweiten weltkrieg würd ich schon historisch nennen. aber einen echtzeit roman kann man nicht historisch nennen auch wenn er vor 30 jahren gespielt haben mochte. es kommt eben auf das buch selbst drauf an.
    aber eigentlich geh ich nach einem historischen ereignis. oder wenn es eben sehr in der vergangenheit spielt. aber dann darf es auch nicht all zu sehr erfunden wirken wie die päpstin zum teil. das ist für mich fantasie auch wenn es 800 irgendwas gespielt haben will.
    man muss da mehr abgrenzen und nicht nur an der zeitspanne des romanes gehen!

  • Im 19. und 20. Jahrhundert galt die Regel, dass etwas dann historisch ist, wenn es um eine Zeit geht, aus der es eine Zeitzeugen/innen mehr gibt.


    Eine weitere Regel, die zumindest von den Literarhistorikern/innen aufgestellt wurde, war damals, dass ein gelungener historischer Roman nie mehr als 150 Jahre zurückliegen darf. Im 20. Jahrhundert wurde Sir Walter Scott hier als Paradebeispiel dafür zitiert, als seine besten historischen Romane galten damals jene Romane, die in seiner Heimat Schottland spielen (bei denen er also die Schauplätze gewöhnlich selbst kannte) und die im 16. / 17. Jahrhundert. spielten (eine Zeit, die zu Anfang des 19. Jahrhunderts, als er gelebt und geschrieben hat, tatsächlich erst 150 Jahre zurücklag.)


    Seine (historischen) "Mittelalter"-Romane (die gewöhnlich auch nicht in Schottland spielen), so z. B. "Ivanhoe", "Der Talisman" oder "Quentin Durward - Im Auftrag des Königs" wurden von der Qualität her negativer beurteilt, auch wenn sie es wohl waren, die ihn auch außerhalb von Großbritannien bekannt gemacht haben dürften.


    Manchmal frage ich mich, ob an dieser Regel (Beobachtung? ) etwas Wahres dran sein könnte, jedenfalls trifft dies z. B. für einen (historischen) Roman wie "Vom Winde verweht" zu, und bei den frühen Romanen von Tanja Kinkel halte ich "Unter den Zwillingssterne" für ihr Bestes. :lesend


    ---------------
    Als ich vor längerer Zeit einen Aufsatz zu dem Schauspiel "Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand" von Johann Wolfgang von Goethe gelesen habe, war ich sehr überrascht von der Information, dass Goethe das "Spätmittelalter am Übergang zur Neuzeit" gewählt hatte, da es zu seiner Zeit bei den Menschen noch sehr präsent war.
    ---------------


    Interessant fand ich auch eine weitere Sicht zum historischen Roman, die mir in einer wissenschaftlichen Arbeit vor einigen Jahren untergekommen ist. Hier wurde ein Vergleich zwischen Felix Dahn und Karl May gezogen und Dahns "Roman-Ausflüge" in die Zeit der Völkerwanderung mit den fiktiven "Reiseabenteuern" von May in die Weiten des damaligen Orients und die Prärie verglichen. In beiden Fällen macht Leser/in einen Ausflug in eine ihm/ihr "unbekannte" bzw. "exotische" Welt, die keineswegs der "tatsächlichen" Welt entspricht. (Mays Ausflug ist in der Gegenwart angesiedelt, in der es in damals noch weitgehend unbekannte "Lande" geht. Dahns Ausflug spielt in der damals bekannten europäischen Welt und führt in "unbekannte" vergangene Zeiten.)


    Ich habe durchaus den Eindruck, dass das bei den meisten "Mittelalter"-Romanen des 21. Jahrhunderts auch der Fall sein dürfte: ein Ausflug in eine längst vergangene Zeit ...

    --------------------------------
    Die gefährlichsten Unwahrheiten sind Wahrheiten, mäßig entstellt. (Georg Christoph Lichtenberg)

    Dieser Beitrag wurde bereits 3 Mal editiert, zuletzt von Teresa ()