Der schmale Pfad - Ayse Kulin

  • Erschienen 2010 bei Unionsverlag (Türkische Bibliothek), 280 Seiten. Originalausgabe 2005 erschienen unter dem Titel "Bir Gün"


    Inhalt:

    Zitat


    Die Journalistin Nevra Tuna steckt in einer privaten und beruflichen Krise. Ihre ganze Hoffnung setzt sie auf ein Interview mit der inhaftierten kurdischen Politikerin Zelha Bora, das ihre Karriere retten soll. Doch zwischen den beiden Frauen, deren Lebensverhältnisse unterschiedlicher nicht sein könnten, stehen nur Vorurteile und Vorwürfe. Kurz bevor das Gespräch zu scheitern droht, entdecken sie: In ihrer Kindheit waren die beiden engste Freundinnen, nun versuchen sie, die vergangenen Jahre heraufzubeschwören und ungelöste Rätsel zu lösen. Warum war Nevras Vater, der türkische Landrat, bei der kurdischen Familie Zelhas so angesehen? Weshalb wurde seine Karriere vereitelt? Und was hat das Ganze mit Cengiz zu tun, dem jungen Verwandten Zelhas, der sich den Partisanen anschloss? Letzten Endes ist es die wiedergefundene Freundschaft der beiden Frauen, die politische Gräben überbrückt.


    Meinung:


    Nevra Tuna, türkische Journalistin, ist auf dem Weg ins Gefängnis, um sich mit der inhaftierten Kurdin Zeliha Bora zu einem Interview treffen. Nevra erhofft sich dank dieser Reportage eine Wende in ihrem beruflich und privat gebeutelten Leben. Nachdem sich die beiden Frauen zu Beginn des Interviews über den kurdisch-türkischen Konflikt in die Haare geraten, droht das Gespräch fast zu scheitern. Doch dann gibt sich Nevra als eine sehr gute Freundin aus der Kindheit zu erkennen und das Gespräch nimmt einen neuen Lauf - die gemeinsame Kindheit, das Leben der beiden Frauen im Erwachsenenalter, ein wenig türkische Geschichte und schließlich wieder der türkisch-kurdische Konflikt, der den eigentlichen Schwerpunkt des Buches bildet.


    In der Türkei gab es wohl (sowohl von türkischer als auch kurdischer) Seite einige Diskussion über das Buch, auch wenn Ayse Kulin versucht mit Nevra eine objektive Betrachterin einzuführen, um sowohl türkische als auch kurdische Fehler aufzudecken. Im mittleren Teil geht die Autorin auch ein wenig auf geschichtliche Hintergründe ein, allerdings habe ich hier durchaus nicht alles nachvollziehen können - aber dennoch einige Anregungen mitgenommen. Abgesehen von diesen wenigen Stellen ist das Buch aber sehr klar geschrieben, unterhaltsam, bewegend und lässt sich zudem flüssig lesen.


    Mir hat es alles in allem sehr gut gefallen, da man einen Überblick über Ursachen und Probleme des türkisch-kurdischen Konflikt bekommt - von kurdischer und türkischer Seite.


    Im Anhang des Buches befindet sich ein Nachwort von Jens Peter Laut.


    Edit: was korrigiert.

    "Es gibt einen Fluch, der lautet: Mögest du in interessanten Zeiten leben!" [Echt zauberhaft - Terry Pratchett]

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  • Zwei starke Frauen
    Der Roman „Der schmale Pfad“ von der türkischen Autorin Ayse Kulin behandelt das Thema des Konflikts zwischen Türken und Kurden. Diese Auseinandersetzung ist keine übliche, denn der Autorin geht es nicht darum, aufzuzeigen, wer von den beiden Seiten Recht hat, nein, ihr geht es darum, zu zeigen, wie man den Konflikt auch lösen könnte.


    In dem Roman handelt es sich um zwei Frauen, die eine Türkin (Nevra Tuna), die andere Kurdin (Zelha Bora), die sich im Gefängnis begegnen. Zu dieser Begegnung kommt es, weil Zelha Bora aufgrund ihrer politischen Tätigkeiten zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde, und die Journalistin Nevra Tuna eine Art Biographie über die Inhaftierte schreiben möchte. Zunächst ist die Begegnung im Gefängnis für beide sehr unangenehm und es sieht so aus, als würde das Gespräch scheitern. Die Differenzen zwischen diesen beiden Frauen scheinen zu hoch zu sein, doch dann kommt es zu einer Wendung und es stellt sich heraus, dass diese beiden Frauen eine gemeinsame Vergangenheit haben. Beide Frauen lebten in ihrer Kindheit in irgendeinem türkischen Dorf und waren eng befreundet, aber nicht nur die Freundschaft zwischen diesen beiden Mädchen hatte Bestand, sondern auch die beiden Familien waren befreundet, trotz der kulturellen und politischen Unterschiede. Doch dann zog die Familie von Nevra Tuna weg, weil ihr Vater eine neue Stelle angeboten bekommen hat. Als es zur Trennung der beiden Mädchen kommt, versprechen sie sich, immer in Kontakt zu bleiben und einige Zeit geht dies auch gut, aber wie das Leben so spielt, verlieren sie sich doch aus den Augen und nun die Begegnung im Gefängnis. Es entsteht ein tiefgreifendes Gespräch und beide erzählen sich gegenseitig, was sie in der langen Zwischenzeit alles erlebt haben. Bei diesem Gespräch stellt sich heraus, dass nicht nur das Leben der Kurdin schwierig war, sondern auch das Leben der Journalistin. Natürlich wird auch das Problem des Konflikts zwischen Kurden und Türken besprochen, jeder natürlich aus seiner Sichtweise. Man könnte nun annehmen, dass dadurch auch die beiden Frauen nicht zueinander finden, doch das Gegenteil ist der Fall, sie bringen für ihre jeweilige Gesprächspartnerin Verständnis auf. Es entsteht eine tiefgreifende Nähe zwischen diesen beiden Frauen.


    Jeder, der sich für den Konflikt der Kurden und Türken interessiert, sei dieser Roman ans Herz gelegt. Als Leser bekommt man einen guten Einblick in die Konfliktsituation, ohne das man das Gefühl hat, eine Meinung übergestülpt zu bekommen. Die Autorin zeigt eindrucksvoll, wie der Konflikt gelöst werden könnte, nämlich, indem die beiden Konfliktparteien endlich aufeinander zugehen und miteinander sprechen und gemeinsam nach einer Lösung suchen.
    Der Autorin geht es aber nicht nur darum, den Konflikt zwischen Kurden und Türken darzustellen, sondern sie wollte auch anhand der Protagonistin Zelha Bora das Leben der inhaftierten Kurdin Leyla Zana in gewisser Weise skizzieren. Dies kann man nachlesen auf einer Internetseite und dort erfährt man auch, dass die Autorin gerne eine Biographie über Leyla Zana geschrieben hätte, aber die Inhaftierte Kurdin hat sie bislang nicht dazu autorisiert.



    Kurz zur Autorin Ayse Kulin:
    o geboren: 1941 in Istanbul
    o wuchs vor allem in Ankara auf, verbrachte die Sommermonate aber bei der Familie ihrer Mutter in Istanbul
    o Studium: Literaturwissenschaft
    o arbeitete als Journalistin für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften
    o wirkte als Szenenbildnerin und Drehbuchautorin an TV-, Werbefilm- und Kinoproduktionen mit
    o 1984: ihr erster Erzählband erscheint
    o 1997: ihr erster Roman erscheint
    o gehört zu den meistgelesenen Autoren in der Türkei
    o seit 2007: ehrenamtliche UNICEF-Botschafterin
    o bislang erschien nur ein Roman in deutscher Sprache („Der schmale Pfad“)