So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein - Christoph Schlingensief

  • # Taschenbuch: 256 Seiten
    # Verlag: btb Verlag (20. September 2010)
    # Sprache: Deutsch


    Kurzbeschreibung
    Wie weiterleben, wenn man von einem Moment auf den anderen aus der Lebensbahn geworfen wird, wenn der Tod plötzlich nahe rückt? Christoph Schlingensiefs bewegendes Protokoll einer Selbstbefragung ist ein Geschenk an uns alle, an Kranke wie Gesunde, denen allzu oft die Worte fehlen, wenn Krankheit und Tod in das Leben einbrechen. Eine Kur der Worte gegen das Verstummen – und nicht zuletzt eine Liebeserklärung an die Welt.


    Über den Autor
    Christoph Schlingensief, geboren 1960, ist Theater- und Filmregisseur: Als Theaterregisseur debütierte er 1993 an Castorfs Volksbühne mit dem Projekt "100 Jahre CDU - Spiel ohne Grenzen". 1998 Gründung der Partei 'Chance 2000'; viele weitere provokante Projekte und Stücke. Schlingensief sorgte mit Filmen wie "Kettensägenmassaker", "Die 120 Tage von Bottrop"; Theaterinszenierungen wie "ATTA ATTA - die Kunst ist ausgebrochen!" und Polit-Aktionskunst wie "Chance 2000" oder dem legendären Wiencontainer "Ausländer raus" für Aufsehen. Er wurde u.a. mit dem Prix Futura und dem Prix Europa ausgezeichnet. Christoph Schlingensief verstarb 2010.


    Meine Meinung

    "Die Freude am Kleinen. [...] Wir machen uns dann eine richtig schöne Zeit, erleben kleine Sachen und freuen uns, dass wir sie erleben. Das ist eigentlich die Hauptsache: das Große im Kleinen."


    Christoph Schlingensief erzählt in seinem Krebstagebuch von der Diagnose Lungenkrebs, den Anfängen der Erkrankung und den Kampf, den er gegen den Krebs führt. Die Einträge spricht Schlingensief vor allem während der Nacht in ein Diktiergerät.


    Beeindruckend an dem Buch ist, dass Schlingensief den Kampf gegen den Krebs erbittert auf sich nimmt und alle möglichen Wege - dabei schreckt er auch nicht vor der antroposophischen Medizin oder auch der Zuwendung zur Religion zurück - geht, um so lange wie möglich noch weiter leben zu können. Dies ist auch gleichzeitig sehr erschütternd, da ich jetzt als Leser weiß, dass er nicht mehr so lange leben konnte, wie er sich das immer wieder selbst erhofft hatte.


    Dieser Lebensmut und Wille gegen die Krankheit zu kämpfen, bröckelt jedoch auch immer wieder zwischendurch:


    "Ich werde die Entscheidung treffen müssen, ob ich mir in den Kopf schieße, habe aber keine Pistole; ob ich in die Badewanne steige und mir einfach die Adern aufmache; oder ob ich irgendwie aus dem Fenster falle, dazu ist es hier aber nicht hoch genug. Oder ob ich hoffentlich Tabletten kriege und irgendwas anderes: Denn der Lebenswille, den ich die ganze Zeit geheuchelt habe, dieses Gefühl von, ja, Christoph, der hat Kraft, der macht's - das ist vorbei. Ich bin müde. Ich bin fertig. Ich bin schon lange müde. Ich habe genug gestrampelt. Ich habe genug gemacht."


    Christoph Schliegensief gelingt es der Sprachlosigkeit die einer Krebsdiagnose folgt wieder eine Sprache zu geben; die Ohnmacht in Worte zu kleiden. "So schön wie her kanns im Himmel gar nicht sein" ist ein beeindruckendes, ein schreckliches und vor allem auch ein erschütterndes Buch, das dennoch sehr viel Mut machen kann.


    9 Punkte.


    EDIT: Dank saz stimmt jetzt auch der Titel. ;-)

  • Hallo


    Ein sehr gutes Buch, ich hatte es schon gelesen, als Schlingensief noch lebte und es berechtigte Hoffnung gab, dass er den Krebs besiegen könne. Ausserdem habe ich ihn noch bei Beckmann gesehen und Elke Heidenreich hatte Schlingensief Hoffnung gemacht, da sie ebenfalls seit Jahrzehnten mit nur einem Lungenflügel lebt und immerhin schon über 60 Jahre alt geworden ist.


    Leider hat er den Kampf nicht gewonnen. Das stimmt mich traurig.


    Grüsse
    Eva

    Tilmann Lahme Die Manns Geschichte einer Familie
    Byron Tanja Das Gehirn meiner Großmutter








    Bei tauschticket: wallilanda
    Bei tauschgnom: evalitera

  • Ein wirklich starkes Buch, schonungslos offen und ein erschütterndes Zeugnis von Schlingensiefs Ringen mit der Krankheit, mit sich und Lebenszielen, mit Gott und Freunden und Familie. Er nimmt uns mit in sein Wechselbad der Gefühle, Hoffnungen und auf seinem Weg durch Wichtigkeiten und Werte, lässt uns teilhaben und sehen, wie scheinbar unendlich Wichtiges zurückbleibt und sich der Fokus auf sein ganzes bisheriges Leben verändert.


    Von mir 9 Punkte

  • Christoph Schlingensief, das enfant terrible der Kunstszene. Plötzlich war er mit ganz anderen Schlagzeilen in der Presse, nicht seine Kunst stand im Mittelpunkt, sondern seine Krebserkrankung. Wie man aus der Biographie erfährt, war sein Verhältnis zur Presse nicht unproblematisch und es war ihm gar nicht recht, daß seine Krankheit durch die Medien ging.
    Das Buch zeigt einen Menschen weitab aller reißerischen Zeitungsberichte. Es ist ein nachdenklicher Mensch, der dem Leser da begegnet. Ein Mensch, der hadert und verzweifelt ist, der mit seinem Glauben ringt und der dennoch den Humor nicht verliert. „So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!“ zeichnet ein zutiefst menschliches und berührendes Bild des als Provokateurs bekannt gewordenen Christoph Schlingensief. Er vermittelt trotz aller Flapsigkeit seine Trauer und Wut und gleichzeitig einen ungeheuren Lesenswillen.
    Man kann dieses Buch immer nur in kleinen Dosen lesen, sonst wäre es zu viel, zu bedrückend. Lesenswert ist es allemal.

    liebe Grüße
    Nell


    Ich bin zu alt um nur zu spielen, zu jung um ohne Wunsch zu sein (Goethe)

  • Zitat

    Original von Nell
    Man kann dieses Buch immer nur in kleinen Dosen lesen, sonst wäre es zu viel, zu bedrückend. Lesenswert ist es allemal.


    So ging es mir auch. Beeindruckend aber auf jeden Fall diese unglaubliche Offenheit: Da wurde ein Mensch hinter der Fassade "Provokateur" sichtbar, der Angst hat, der Leben will, der verzweifelft und nicht aufgeben will, dem alles zum Hals heraushängt (er würde sicherlich ein anderes Wort benutzen), der mit seinem Gott ins Gespräch kommt und auch da nicht nachgeben will. Meine Hochachtung gilt diesem mutigen Mann, der einen Kampf führen musste, den er letztlich nicht gewinnen konnte, das aber in einer Art und Weise angegangen ist, die Respekt abnötigt.
    Bleibt zu hoffen, dass er seinen Himmel erreicht hat und dieser für ihn Überraschungen bereit hält, die er sich nicht einmal erträumen konnte.

  • Zitat

    Original von Lipperin
    So ging es mir auch. Beeindruckend aber auf jeden Fall diese unglaubliche Offenheit: Da wurde ein Mensch hinter der Fassade "Provokateur" sichtbar, der Angst hat, der Leben will, der verzweifelft und nicht aufgeben will, dem alles zum Hals heraushängt (er würde sicherlich ein anderes Wort benutzen), der mit seinem Gott ins Gespräch kommt und auch da nicht nachgeben will. Meine Hochachtung gilt diesem mutigen Mann, der einen Kampf führen musste, den er letztlich nicht gewinnen konnte, das aber in einer Art und Weise angegangen ist, die Respekt abnötigt.
    Bleibt zu hoffen, dass er seinen Himmel erreicht hat und dieser für ihn Überraschungen bereit hält, die er sich nicht einmal erträumen konnte.


    Es freut mich, dass dir das Buch auch gefallen hat, Lipperin. 'In kleinen Dosen lesen' stimmt wirklich; anders konnte ich das, was ich gelesen habe, gar nicht aushalten.


    Interessieren würde mich ja auch der Band zur Biennale, der aber leider sehr teuer ist. Hat eine Eule da vielleicht schon mal reingeschaut?

  • Leider kann ich nix dazu sagen, Buzzaldrin.


    Um das Buch schleiche ich schon so lange drumherum, Christoph Schlingensief hat mir immer so imponiert mit seiner unangepassten, störrischen, intelligenten Art. Besher habe ich mich nicht rangetraut, und Eure Rezis bestätigen meinen Eindruck- ganz schön heftig. Irgendwann werde ich das aber mal lesen, ich taste mich ganz langsam ran. :-)

    Ailton nicht dick, Ailton schießt Tor. Wenn Ailton Tor, dann dick egal.



    Grüße, Das Rienchen ;-)

  • Ein sehr bewegendes Leseerlebnis!


    Schlingensief war für mich immer nur der Provokateur, der sich selbst viel zu wichtig nimmt. Nun hat sich mein Bild von ihm zum Glück nachträglich sehr geändert, und zwar nach der Lektüre dieses sehr persönlichen Buches. Schlingensief gibt dem Leser tiefen Einblick in das Seelenleben eines Mannes, der von 100 auf 0 geworfen wird, durch die Diagnose Krebs. Sonst immer am arbeiten, machen, rennen, wirken, tun, muß er auf einmal das Tempo runterfahren und sich auf einmal fast nur Gedanken um sich selbst machen. Ungewöhnliche Situation, aber er nutzt diese Situation zur inneren Betrachtung und kann unheimlich wertvolle Eindrücke gewinnen und auch mitteilen.
    Der Leser nimmt dabei schonungslos Anteil und ich fand viele Gedanken sehr inspirierend.
    Das Buch umfaßt die Zeit von der Diagnose bis zum Wiederaufflackern des anscheinend schon besiegten Krebses, dem er sich nun ein weiteres Mal stellen muß und will, allerdings in nicht mehr sehr kämpferischer Form. Zum Schluß klingt fast eine gewisse Demut für das Schicksal mit. Er ahnt ja auch, daß es nicht gut ausgehen wird und der Leser weiß ja auch, daß die Krankheit letzten Endes Sieger war. Bei Erscheinen des Buches war das allerdings noch nicht zu wissen und ich bin froh, daß ich das Buch nicht damals gelesen habe, sonst hätte mich sein Tod wahrscheinlich richtig bedrückt.


    Wer sich den Eindrücken dieses Tagebuchberichtes stellen mag, wird mit einer beeindruckenden Persönlichkeit überrascht. Absolut lesenswert!

    ...der Sinn des Lebens kann nicht sein, am Ende die Wohnung aufgeräumt zu hinterlassen, oder?


    Elke Heidenreich


    BT