'Die Landkarte der Zeit' - Seiten 001 - 101 (Kap. 01 - 05)

  • Zitat

    Original von Mulle
    Interessant. Für mich ist er quasi immer da. Er erzählt die Geschichte, ich habe seinen Ton permanent im Ohr und tauche gar nicht in die Perspektiven der handelnden Figuren ein. Was diese auf Abstand hält, mich aber in dem Fall überhaupt nicht weiter stört.
    Auf die Idee, dass sich am Ende aufklärt, wer das ist, wäre ich noch gar nicht gekommen. Ich glaube, er ist und bleibt einfach der Erzähler.


    Genau so habe ich das auch empfunden. Ein Erzähler, der mir eine Geschichte in Bildern erzählt, wie in manchen Filmen.

  • Ich finde den Erzähler klasse :-)
    Spätestens nach dieser Unterbrechung, (eigentlich auch schon vorher)


    S 85
    „Erlauben Sie mir, die Erzählung jetzt zu unterbrechen ...


    Dies ist der Blickwinkel, aus dem ich Ihnen das Geschehen berichten und Sie darum bitten möchte, die Diskrepanzen, die zweifellos zwischen den Ereignissen und ihrem Verhältnis zur verrinnenden Zeit auftreten, nicht meiner erzählerischen Ungeschicklichkeit anzulasten.“


    sitzt er (in meinem Kopf) in einem fetten, roten, abgewetzten Sessel und hat ein dickes, in Leder eingebundenes Buch auf dem Schoß aus dem er vorliest. Er trägt einen Frack und natürlich einen Zylinder auf dem Kopf. Vom Typ her, ein bisschen wie Heinz Rühmann. Immer ein schelmisches Lächeln auf den Lippen. Hin und wieder hebt er den Kopf und gibt dem Filmvorführer, der mit einer Handkurbel einen Stummfilm auf eine zerknitterte Leinwand projiziert ein lapidares Handzeichen, um in oben geschilderter Art, in das für ihn wahrscheinlich seltsam wirkende Geschehen einzugreifen. Toll.


    Meines Erachtens deutet der Schreibstil aber auch eher auf einen Erzähler hin. Unter diesem Aspekt lässt es sich für mich auf jeden Fall leichter lesen.


    Mal sehen, ob sich meine Meinung noch ändern wird ... es kommen ja noch so viele Seiten, die alles wieder umwerfen könnten.

  • Endlich bin ich auch durch den ersten Abschnitt durch. ich hatte extreme Schwierigkeiten, in die Geschichte hineinzufinden. Ich musste mich, vor allem auf den ersten Seiten, voll auf das Lesen konzentrieren und das ging leider dank herumgröhlender Mitreisender nicht :-(
    Ich hatte am Anfang Schwierigkeiten mit der Erzählweise und habe pffensichtlich auch vieles überlesen, was hier erwähnt wurde. Mittlerweile bin ich eher "drin" in der Geschichte und gespannt, wie es weitergeht.
    Eines ist mir jedoch aufgefallen:
    Der Britain Pub wird auf S. 46 recht ausführlich beschrieben, aber das "Heer von Kellnern" erscheint mir doch recht unwahrscheinlich. Seit Einführung der Theke in den Pubs holt man sich sein Getränk dort selbst. Und in einer Gegend wie Whitechapel kann ich mir einen Kellner schlicht nicht vorstellen, zumal es sich nicht um einen Lounge room handelt. Das hat mich zum Beispiel ziemlich gestört, weil es einfach nicht zur sehr detaillierten Beschreibung des Pubs passt.

    :lesendR.F. Kuang: Babel


    If you don't make mistakes, you're not trying hard enough. (Jasper Fforde)

  • Frag mich nicht woher- aber irgendwo habe ich in Erinnerung es müssen mindestens fünf gewesen sein- dazu müsste man mal bei den Verhörprotokollen recherchieren, es kann nämlich sein, dass ich diese Zahl aus einem anderen Roman habe.Frag mal Charlie, ob die das für ihren Lernschmöker recherchiert hat.

  • Ich bin nun mit dem ersten Abschnitt fast durch und es gefällt mir sehr gut. Der Schreibstil ist flüssig und wenn ich am Wochenende nicht so viele Familientermine gehabt hätte wäre ich bestimmt schon weiter. Das Zwischendurch mal immer wieder der Erzähler auftaucht und einen leicht aus dem Fluß der Geschichte reißt stört mich überhaupt nicht de er es mit einem kleinen Augenzwinkern macht. Vieles was anderen auffällt wie die zeppelinförmige Wolke überlese ich einfach. Hoffe nun heute schneller voran zu kommen.

  • Zitat

    Original von Pelican


    Genau so habe ich das auch empfunden. Ein Erzähler, der mir eine Geschichte in Bildern erzählt, wie in manchen Filmen.


    Dem schließe ich mich an. Für mich ist der Erzähler auch immer präsent. Er hat den Überblick, manchmal spricht er den Leser direkt an. Wenn in diesem Buch der Humor aufblitzt, dann der des Erzählers und nicht der seiner Figuren. Mir gefällt das sehr gut.

  • Auch ich hatte mit den ersten Seiten so meine Probleme. Man weiß nicht, was vorgefallen ist, das Andrew so mitnimmt.


    Der Schreibstil gefällt mir gut, also dass der Leser angesprochen wird. Aber manche Beschreibungen sind mir dann doch zu detailgetreu. Das nervt mich dann. Ich hab keine Lust, ewig über Gärten oder sonstige unwichtigen Sachen aufgeklärt zu werden.


    Außerdem verstehe ich nicht, wie man sich in ein Portrait verlieben kann. Zumal sie ja angeblich gar nicht so toll aussehen soll. Nur der Charme soll ihn so zu ihr hingezogen haben. Das kann ich nicht ganz nachvollziehen. Das Gemälde soll ja auch nicht sonderlich gut gewesen sein. Also wie bitte will der Maler Charme zum Ausdruck bringen?


    Ich bin sehr gespannt, wie es weitergeht und wer der mysteriöse Erzähler ist.

    Ein Raum ohne Bücher ist ein Körper ohne Seele.
    - Cicero


    :lesend Harlan Coben - Ich vermisse dich


  • So geht es mir auch. Der Erzähler ist immer irgendwie präsent, wenn die Sätze plötzlich ins Präsens wechseln und er auf einmal wieder in den Vordergrund tritt.
    Ich finde, dass durch diese Zeitformwechsel auch immer wieder der Bezug zum Zeitthema des Romans hergestellt wird, eben wie auf einer Landkarte der Zeit.

  • Die Hauptperson des Buches, der Sohn aus reichem Hause Andrew, erfährt innerhalb kürzester Zeit enormes Glück und enormes Leid. Die ersten fünf Kapitel dienen dazu, den Ist-Zustand um die Person und die Gemütsverfassung des Hauptprotagonisten zu erläutern, bevor die schon frühzeitig erwähnte Zeitmaschine eine Rolle spielen wird.


    Die gesellschaftlichen Unterschiede und vor allem der historische Bezug zu Jack the Ripper lassen das Buch - trotz der hier und da sehr blumigen Umschreibungen - sehr lebendig wirken. Ich habe ein kaum existentes Halbwissen um den Mörder Jack the Ripper und konnte daher alle eingeflochtenen Fakten so recht unkritisch annehmen. Dies scheint mir bisher ein kluger Kunstkniff, um den Leser mit zunehmendem Interesse an das Buch zu binden.


    Der Einstieg in 'Die Landkarte der Zeit' fiehl mir extrem leicht, auch wenn ich sonst eher kein Fan langer, verschachtelter Sätze bin. Obwohl sich mehrere Passagen wirklich lang hinziehen, konnte ich dem Kontext immer folgen und bin nahezu begeistert, wie man über eine solche Anhäufung von Teilsätzen nicht den Überblick verliert - als Autor, wie als Leser.


    Auffällig ist - im positivsten Sinne - wie Palma in allen fünf Kapiteln immer wieder einen Bezug zur zeitlichen Dimension herstellt. Seien es Zeit-Empfindungen oder Redewendungen über die Zeit. Das ließ mich immer wieder schmunzeln, denn es bereitet den Leser schön darauf vor, was uns wohl noch im Zusammenhang mit einer Zeitreise erwarten wird.

  • Zitat

    Original von Bouquineur
    Spannend, die unterschiedlich die Auffassungen sind :-)


    Für mich ist er nie präsent, nur dann, wenn er seinen kurzen Auftritt hat, danach richtet sich mein Fokus wieder auf die Protagonisten und der Erzähler verschwindet aus meinem Kopf.


    Das ist auch mein Empfinden - ich habe extra nochmals in mich hinein gehorcht - der Erzähler ist für mich keinesfalls durchweg präsent!

  • Zitat

    Original von savanna


    Das ist auch mein Empfinden - ich habe extra nochmals in mich hinein gehorcht - der Erzähler ist für mich keinesfalls durchweg präsent!


    So gehts mir auch, er taucht auf, sagt was und verschwindet wieder. Aber Bescheid weiss er über alles.

    Liebe Grüße :wave


    Waldmeisterin


    Every day I give my family two choices for dinner: take it or leave it!


    Nulla unda tam profunda quam vis amoris furibunda

  • Heute habe ich nun auch begonnen zu lesen.


    Mir gefällt das Buch bereits rein optisch. Der Einband ist schön, ich bin ja auch immer Fan von Lesebändchen.


    Zitat

    Original von Mulle:
    Was mich erstmal ziemlich abgeturnt hat, war ein Satz im "Vorwort", welches mir ansonsten super gefallen hat, mit den Zitaten und dann der Ansprache des Autors. Aber dieses: STAUNEN UND SCHRECKEN GARANTIERT! hat mich genervt.


    Ich mag das- es klingt ein bißchen wie: Besuchen Sie uns und erleben Sie die einzigartige bärtige Frau! und erinnert an die Variete-Shows dieser Zeit.


    Ebenso mag ich den Erzähler. Ich hab nichts dagegen, daß er (oder sie?) mich direkt anspricht. Das war in "Mein kleines schmutziges Buch von der gestohlenen Zeit" von Liz Jensen genauso, und auch in "Das Albtraumreich des Edward Moon" von Jonathan Barnes, welches übrigens mit folgenden Worten beginnt:


    Zitat

    Seien Sie gewarnt. Dieses Buch besitzt keinen wie auch immer gearteten literarischen Wert.


    Das ist zwar genau das Gegenteil vom garantierten Staunen und Schrecken, aber der Erzähler möchte mit seiner Tiefstapelei letztendlich das Gleiche erreichen.



    Diese Art, wie der Erzähler durch das Geschehen führt, war in der damaligen Zeit glaube ich gar nicht so unüblich und erzeugt bei mir gleich eine ganz bestimmte Lese-Stimmung.


    Bislang habe ich noch nichts zu meckern, mal sehen, wo wir noch hingeführt werden.

    Ich weiß nicht, was das sein mag, das ewige Leben.
    Aber dieses hier, das diesseitige, ist ein schlechter Scherz. (Voltaire)

  • Zitat

    Original von JaneDoe


    Dem schließe ich mich an. Für mich ist der Erzähler auch immer präsent. Er hat den Überblick, manchmal spricht er den Leser direkt an. Wenn in diesem Buch der Humor aufblitzt, dann der des Erzählers und nicht der seiner Figuren. Mir gefällt das sehr gut.


    Ich kann mich euch nur voll und ganz anschließen, für mich ist der Erzähler auch immer präsent, er "leitet" die Geschichte. Und das er den Fluß manchmal durch andere "Gedanken" aufbricht, stört mich nicht im geringsten, das lockert alles ein wenig auf, ich mag das. Ich bin auch immer so "konfus" :grin und "sprunghaft" beim erzählen (ist er ja nicht wirklich), das macht symphatisch. :lache

    Jeder Mensch ist nur so glücklich, wie er sich zu sein entschließt. (Irisches Sprichwort)


  • Gut dass Du es sagst, Liz Jensen steht noch bei mir auf der WL. wenn ich mit dem Erzähler gar nicht warm werden, kann ich das gleich runterwerfen.

    :lesendR.F. Kuang: Babel


    If you don't make mistakes, you're not trying hard enough. (Jasper Fforde)


  • Ich finde, das hat auch so ein bißchen von Jahrmärkten der damaligen Zeit.

  • Wow - endlich wieder ein Buch, bei dem das Lesen nur Spaß macht!


    Mir gefällt, wie gut das Buch durchkomponiert ist: angefangen beim "Staunen und Schrecken garantiert!"-Aufdruck auf der ersten Seite, der von einigen schon bemängelt wurde, für mich allerdings ganz hervorragend zur Atmosphäre passt. Da enstehen Bilder von Varieté oder Circus, Freakshow und diverse "viktorianische Gruselliteratur", die mir ganz stimmig scheinen.


    Der namenlose Erzähler gefällt mir ausgesprochen gut, auch er passt ganz ausgezeichnet, denn ich meine, dass es in der Literatur jener Zeit (19. Jh.) ein nicht unübliches Stilmittel war. Kann mich aber auch irren. Mir gefällt auf jeden Fall, wie Félix J. Palma seinen Erzähler die Geschichte berichten läßt. Mir ist dieser Erzähler stets präsent, da reichen kleine Einschübe wie z.B. der auf S. 62:


    Zitat

    "Das galt auch für die Eichhörnchen, die ja ohnehin nicht dazu neigen, sich irremachen zu lassen."


    Ich liebe derartige Seitenhiebe! Ich mag den Humor und die wundervoll verschroben-antiquierte Sprache und auch wenn Andre noch ein bißchen blass um die Nase wirkt, bin ich mir sicher, dass er noch wird. Also, zum Helden. Ansonsten halten wir uns an Cousin Charles, der scheint auch ein ganz patenter zu sein.


    Den Eindruck, dass Marie keinerlei Gefühle für Andrew hegte, hatte ich beim Lesen nicht. Ich denke schon, dass sie sich in "ihren" schmucken, feinen Herrn verguckt hat. Ihre wachsende Enttäuschung oder Ernüchterung über sein mangelndes Handeln wird ja ganz gut angedeutet.


    Ganz gespannt bin ich, wie sich das Ganze hinsichtlich "unserer" Realität entwickelt. Entkommt Jack the Ripper wegen der Zeitmaschine??? Aber dann wird Marie ja trotzdem getötet, denn sie zählt ja auch "bei uns" zu den Opfern.


    Wird sich der Erzähler am Ende noch einen Namen geben oder bleibt er schwebend über dem Ganzen als großer, allwissender Unbekannter?


    Hier kann man übrigens ganz spannende Dinge über den Jack-the-Ripper-Fall nachlesen, u.a. die originalen "Autopsieberichte" u.ä. Tatortfotos gibts auch (uärgs)

  • Zitat

    Original von Tilia Salix
    Mir gefällt auf jeden Fall, wie Félix J. Palma seinen Erzähler die Geschichte berichten läßt. Mir ist dieser Erzähler stets präsent, da reichen kleine Einschübe wie z.B. der auf S. 62:


    Über genau diesen Satz habe ich mich schlappgelacht. Fand ich echt echt witzig. :lache

    Jeder Mensch ist nur so glücklich, wie er sich zu sein entschließt. (Irisches Sprichwort)