Macht anspruchslose Literatur unfähig und/oder ungeduldig?

  • Zitat

    Original von xania
    Kann man denn ueberhaupt verdummen?


    Nö, jedenfalls nicht durchs lesen.
    Selbst wenn ein kluger Mensch Comics liest, bleibt er duchaus in der Lage, sich anschließend wieder Fachliteratur zuzuwenden.


    Was passieren kann, daß ein kluger Mensch Comics langweilig, weil zu flach, findet oder auch sogenannte Trivialliteratur (was immer das sein mag)
    Muß aber nicht.
    Man kann auch seinem Gehirn mal "Trivialpausen" gönnen, die ihm durchaus gut tun können. Als Erholungsphase, zum ablenken, einfach nur zum genießen.....

  • Erst einmal zu dem Punkt, ob "anspruchslose" Literatur unfähig, ungeduldig und dumm macht ... Unfähig, sich auf schwierigere Texte einzulassen? Kommt darauf an, wie man liest. Ungeduldig? Kommt darauf an. Dumm? Kommt darauf an ... :grin


    In erster Linie denke ich tatsächlich, dass es darauf ankommt, wie man liest. Lese ich, um mich schlicht unterhalten zu lassen, mir die Zeit zu vertreiben? Oder lese ich, um für mich etwas aus einem Buch mitzunehmen, darüber nachzudenken, mich mit einer anderen Welt, anderen Ansichten und Meinungen auseinanderzusetzen, mich bei Interesse weiter mit dem Thema eines Buches zu beschäftigen?


    Natürlich ist es etwas anderes, wenn ich einen Goethe statt einen Liebesroman lese. (Aber ist "Die Leiden des jungen Werther" nicht auch ein Liebesroman?) Der Schreibstil Goethes stammt aus einer anderen Zeit, niemand spricht heute mehr so. Um mich auf diesen Schreibstil einzulassen, brauche ich etwas Zeit. Um die Geschichte, die Handlungen und Meinungen der Protagonisten nachvollziehen und begreifen zu können, muss ich mich anders, intensiver damit auseinandersetzen, mich mehr konzentrieren. Am Ende des Buches bin ich vielleicht genervt, weil die Geschichte langweilig oder der Schreibstil zu kompliziert war, und nehme nichts aus diesem Buch mit außer dem Gedanken "Nie wieder!".


    Wenn ich nun einen "leichten" Liebesroman aus der heutigen Zeit lese, der in einfachen Worten geschrieben ist - kann ich da nicht genauso etwas mitnehmen wie aus Goethes Werther? Vielleicht etwas anderes - ein zufriedenes, vielleicht glückliches Gefühl, weil die Protagonisten ein Happy End erleben dürfen. Vielleicht den Gedanken, dass ich anders als die Dame im Buch gehandelt hätte. Vielleicht habe ich mich in diesem Liebesroman nicht geistig weiter gebildet, aber vielleicht menschlich? Ich habe etwas empfunden, mehr als bei dem staubtrockenen Goethe, den ich nicht verstehe? (Nicht falsch verstehen, ich liebe "Die Leiden des jungen Werther"! :chen)


    Es gibt sicherlich viele Menschen, die ungeduldig beim Lesen sind und nicht die Zeit und die Muße aufbringen, sich durch Goethe zu lesen. Ich wage zu behaupten, dass es die Menschen sind, die ewig auf dem Laufenden sein müssen, dauernd am Handy hängen und das Gefühl haben, etwas zu verpassen, wenn sie nicht regelmäßig ins Internet schauen. Das sind aber auch die Menschen - behaupte ich -, die Bücher zum Zeitvertreib lesen, wenn sie überhaupt lesen.


    Ich bin jedenfalls der Meinung, wenn man aufmerksam liest, sich mit dem Thema eines Buches auseinandersetzt, dann kann man nicht verdummen. Ja, vielleicht wird man etwas ungeduldiger, wenn man zwanzig "leichte, anspruchslose" Romane zum Zeitvertreib liest und sich dann mit einem schwieriger geschriebenen Roman beschäftigt, weil man nicht sofort "drin" ist wie in den Romanen davor. Aber verdummen? Nö. Wichtig ist vielleicht eine gesunde Mischung beim Lesen, wie auch beim Essen. Ich esse nicht jeden Tag Pizza, sondern auch mal einen Kartoffelauflauf, Suppe etc. Genau so lese ich nicht jeden Tag Goethe oder Liebesromane. Mal ist es ein blutiger Thriller, mal ein spannender historischer Roman, mal eine romantische Liebesgeschichte, mal ein fantastisches Abenteuer, mal einen Goethe.


    Zum Thema anspruchslose Literatur: Was soll das sein? Ich habe an jede Art von Literatur einen Anspruch: Ich möchte das Gefühl haben, nicht meine Zeit zu vergeuden, ich möchte darüber nachdenken können, mal lachen, weinen oder vor Wut schreien können, um am Ende möchte ich das Gefühl haben, dass ich etwas Sinnvolles für mich in meiner Freizeit getan habe. Ich habe den Anspruch, dass ich mich auch noch ein Jahr später an ein Buch erinnern, etwas zum Inhalt sagen kann und ich möchte noch wissen, wie es mir gefallen hat.


    Wenn ein Buch etwas von den oben genannten Punkten erfüllt hat, dann ist es kein anspruchsloses Buch. Für mich. Finde ich. Und ich für meinen Teil versuche, aus jedem Buch etwas mitzunehmen. Wenn ich es am Ende gelangweilt in die Ecke haue, ist es für mich anspruchslos.

  • Noch einmal zum Thema Heinrich 8.


    Ich halte dessen Darstellung in der arg aufmodernisierten TV-Reihe auch für ähnlich realitätsnah wie Albert Einstein durch Arnold Schwarzenegger verkörpern zu lassen.


    Der echte Heinrich war einfach kein besonders ansehnlicher Geselle, und auch als junger Mann bestenfalls als "plain" zu bezeichnen. Ein Blick auf die Eltern, Henry VII. und Elizabeth of York genügt eigentlich, um eine Vorstellung von Aussehen des Sohns zu bekommen.


    Mich ärgern diese aktuellen Versuche durch die Medien, Heinrich 8. als Mann mit Sex Appeal darzustellen, die dadurch auch völlig das historische Bild verzerren. Ähnliche Romantisierungsversuche gab und gibt es ja auch in Bezug auf Richard III. oder Napoleon, dabei lassen sich auch diese beiden nur schwer in "loverboys" ummodeln - aus vielen und unterschiedlichen Gründen - aber Hauptsache, die Story verkauft sich. Dass das Publikum daran keinen Anstoß nimmt lässt tatsächlich auf eine gewisse Anspruchs- oder Kritiklosigkeit schließen.

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  • Oder einfach Ahnungslosigkeit, zudem ist Serie ausgesprochen unterhaltsam und gut gemacht. Es ist nur hart, wenn man jemanden sagt, das war soundso und man habe sich im Studium intensiv damit beschäftigt und der andere antwortet: Im Fernsehn war es aber so (und damit ist es richtig).


    Ich frage mich manchmal, ob ich die Nachfolgeserie Die Borgias sehen soll, da kenne ich mich weniger aus und werde auch die eine oder andere Falschinformation mitnehmen. Und Gesehenes prägt sich auch bei mir tiefer ein, als wenn ich kurz bei Wikipedia nachsehe.


    Es gibt eine Menge Falschinformationen auch in Büchern, so steht Lincoln Childs `Wächter der Tiefe`auf einer vor Jahrzehnten aufgegebenen schottischen Insel ein vollbesetzes Kloster - wie gesagt, seit Jahrzehnten lebt dort niemand mehr, ein Kloster gab es nie. Was an naturwissenschaftlichen Kram stand, kann ich nicht überprüfen. Man kann sich also eine Menge falscher Bildung anlesen.

  • Zitat

    Original von Alice Thierry
    Ich halte dessen Darstellung in der arg aufmodernisierten TV-Reihe auch für ähnlich realitätsnah wie Albert Einstein durch Arnold Schwarzenegger verkörpern zu lassen.


    Da gibt es ein schönes Lied der EAV:


    ... ich bin eine Mischung,
    die ist ziemlich lecker,
    aus Albert Einstein und Arnold Schwarzenegger.
    So weit so gut, doch das Dumme ist nur,
    ich hab Schwarzeneggers Hirn und von Einstein die Figur....

    Wenn mein Kopf auf ein Buch trifft, klingt es hohl. Das muß nicht immer am Buch liegen...
    (Georg Christoph Lichtenberg)

  • Ehrlich gesagt stören mich sogar schon die TV-Dokumentationen, in denen ständig Szenen nachgestellt werden. Mir reicht es völlig, wenn ein paar Bilder oder Dokumente eingeblendet werden und dazu ein Fachkundiger seinen Senf (vorzugsweis aus dem Off) abgibt.


    Dieses Nachstellen verfälscht meiner Meinung nach auch und wirkt meist ziemlich platt.


    Falsches Wissen anlesen dürfte heute aber zumindest insoweit schwieriger sein als früher, da jeder leichter im Internet recherchieren kann. Der Gang zur Bibliothek oder sogar Griff zum Lexikon dürfte da doch mehr Überwindung gekostet haben.

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  • Die Frage, was denn überhaupt "anspruchsvolle Literatur" sei, ist bisher nicht einmal ansatzweise beantwortet worden. Ist, wenn etwas in einer einfachen Sprache geschrieben ist, anspruchslos? Wäre somit Charles Bukowski anspruchslos? Und ist etwas, was umständlich und kaum verständlich geschrieben ist anspruchsvoll? Ist etwas anspruchsvoll, nur weil eine selbsternannte elitäre Gruppe meint, nur sie könne es verstehen, nur sie wisse wie man liest?


    Ist beispielsweise die Gebrauchsanweisung für eine Waschmaschine anspruchsvoll, nur weil wenige sie wirklich verstehen? Auch eine Gebrauchsanweisung ist übrigens Literatur, wenn vielleicht auch nur "Gebrauchsliteratur".


    Zudem finde ich es schon sehr anmaßend, wenn jemand meint, sie/er wäre in der Lage die allgemein gültigen Kriterien für "anspruchsvoll" und "anspruchslos" festzusetzen. Genaugenommen wird doch jede/jeder für sich selbst entscheiden, was anspruchsvoll und was anspruchslos sei. Was für den einen Anspruch bedeutet, kann für den anderen wiederum ohne jeden Anspruch sein.


    Nur weil Erwachsene beispielsweise meinen, die Harry-Potter-Geschichten seien eher anspruchslos, können doch Kinder und Jugendliche hier zu dem Ergebnis kommen, diese Bücher sind anspruchsvoll. Wer hat denn nun Recht? Niemand bzw. jede/jeder für sich.


    Shakespeare war zu seiner Zeit nichts anderes als ein Erzähler von ganz trivialen Geschichten. Heute dagegen wird er quasi als die Ikone des Anspruches gefeiert. Zu Recht? Mitnichten! Der Wesensgehalt seiner Stücke ist nach wie nicht sehr tiefgehend und hat nichts von seiner Trivialität verloren; trotzdem wird es ganz sicher zu diesem Punkt auch völlig andere Ansichten geben.


    Anspruchsvoll und anspruchslos sind Begriffe, die jede/jeder für sich allein definieren muss - allgemein gültige Regeln dazu gibt es nicht.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Zitat

    Original von Voltaire
    Anspruchsvoll und anspruchslos sind Begriffe, die jede/jeder für sich allein definieren muss - allgemein gültige Regeln dazu gibt es nicht.


    Ich habe in diesem Thread nicht mitgekriegt, dass irgendjemand für sich in Anspruch nehmen würde, allgemeingültig festlegen zu wollen, was anspruchsvoll bzw. -los ist. :gruebel


    Vielmehr hat doch die Threaderöffnerin selbst konstatiert, dass sie durch die Lektüre (von in ihren Augen anspruchslosen) Büchern die Fähigkeit verloren hat (in ihren Augen anspuchsvolle) Bücher zu lesen. Und Grundtenor bei den Antworten scheint mir zu sein, dass die meisten nach einem anstrengenden Arbeitstag auf dem Sofa nur Anspruchsloses lesen können, dann aber wird Futter fürs Hirn brauchen und zu anspruchsvolleren Lektüre greifen. Hier hat nicht eine "elitäre Gruppe" den Anspruch definiert, sondern jeder Leser für sich persönlich.

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Zitat

    Original von Voltaire
    Zudem finde ich es schon sehr anmaßend, wenn jemand meint, sie/er wäre in der Lage die allgemein gültigen Kriterien für "anspruchsvoll" und "anspruchslos" festzusetzen.


    Konkret eben gerade nicht, aber wen meinst du mit jemand? Mir ist hier kein derartiger Jemand begegnet, ist diese Aussage also rein hypothetisch gemeint?


    Zitat

    Die Frage, was denn überhaupt "anspruchsvolle Literatur" sei, ist bisher nicht einmal ansatzweise beantwortet worden.


    Dann müsstest du ja glücklich und zufrieden sein, schließlich würde ich mich in dem Augenblick, wo ich diese Frage beantworten wollte, in deinen Augen anmaßend verhalten :rolleyes


    edit hat noch einen sinnentstellenden Rechtschreibfehler entfernt. Da war wohl Freud am Werk....

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

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  • Zitat

    Original von Voltaire
    Die Frage, was denn überhaupt "anspruchsvolle Literatur" sei, ist bisher nicht einmal ansatzweise beantwortet worden.


    Wie soll man diese Frage auch beantworten?


    Du sagst ja selbst:

    Zitat


    Anspruchsvoll und anspruchslos sind Begriffe, die jede/jeder für sich allein definieren muss - allgemein gültige Regeln dazu gibt es nicht.


    Aber diese Erkenntnis haben wir bereits seit der ersten Seite dieses Threads. Jetzt kann höchsten jeder Eulenuser hier noch schreiben, was für ihn persönlich anspruchsvoll ist und was nicht. Teilweise haben einige dazu schon etwas gesagt. Auch ich habe da eine relativ klare Meinung zu. Würde ich diese hier schreiben, würde aber wahrscheinlich in kürzester Zeit jemand meine Ansicht als "falsch" abtun.


    In diesem Forum sind zu viele User, sodass man hier wohl nicht einen Konsens finden wird. Am Ende würde man sich nur im Kreis drehen.

  • So wie ich die Eingangsfrage verstanden habe, geht es nicht darum zu klären, was anspruchsvoll ist und was nicht, sondern nur , wie die Leser mit beidem umgehen und ob sie meinen, dass sich der Konsum des einen auf den Konsum des anderen auswirkt.


    Ich schätze, was als anspruchsvoll empfunden wird, richtet sich immer nach der eigenen individuellen Wahrnehmung, wobei ich Einflüsse durch Medien oder gesellschaftliche Grundhaltunge à la "Goethe ist anspruchsvoll, Hedwig Courths-Mahler nicht" nicht ausschließen möchte.


    Entsprechend kann jeder die Frage nur von seinem Standpunkt aus beantworten: Finde ich es mühsam, mir eine Lektüre, die nach meinem eigenen Dafürhalten "anspruchsvoll" ist, zu Gemüte zu führen, wenn ich sonst eher - nach meinem eigenem Empfinden - anspruchslose Bücher lese?

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    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von Alice Thierry ()