Jonathan Franzen - Freiheit

  • # Gebundene Ausgabe: 736 Seiten
    # Verlag: Rowohlt (8. September 2010)
    # Sprache: Deutsch


    Kurzbeschreibung
    Patty und Walter Berglund - Vorzeigeeltern und Umweltpioniere, fast schon ideale Nachbarn in ihrer selbst renovierten viktorianischen Villa in St. Paul - geben plötzlich Rätsel auf: Ihr halbwüchsiger Sohn zieht zur proleten haften repub likanischen Familie nebenan, Walter lässt sich zum Schutz einer einzigen Vogelart auf einen zwielichtigen Pakt mit der Kohleindustrie ein, und Patty, Exsportlerin und Eins-a-Hausfrau, entpuppt sich als wahrlich sonderbar. Hat Walters bester Freund, ein Rockmusiker, damit zu tun? Auf einmal lebt Patty ihre kühnsten Träume, führt sie ein Leben ohne Selbstbetrug.


    Über den Autor
    Jonathan Franzen, 1959 in der Nähe von Chicago geboren, wuchs in Webster Groves/Missouri auf, einem Vorort von St. Louis. Für seinen Weltbestseller «Die Korrekturen» erhielt er 2001 den National Book Award. Er veröffentlichte außerdem die Romane «Die 27ste Stadt» und «Schweres Beben» sowie die Essaysammlungen «Anleitung zum Alleinsein» und «Die Unruhezone. Eine Geschichte von mir». Seit 2010 ist er Mitglied der Berliner Akademie der Künste. Jonathan Franzen lebt in New York und in Santa Cruz, Kalifornien.


    Meine Meinung

    "Die Leute sind entweder wegen des Geldes oder der Freiheit in dieses Land gekommen. Hat man kein Geld, klammert man sich desto grimmiger an seine Freiheiten. Selbst wenn das Rauchen einen umbringt, selbst wenn man es sich nicht leisten kann, seine Kinder zu ernähren, selbst wenn diese Kinder von Irren mit Sturmgewehren erschossen werden. Man mag arm sein, aber das eine, das einem keiner nehmen kann, ist die Freiheit sich das eigene Leben zu versauen, wie man will."


    Jonathan Franzen beschreibt in "Freiheit" das Leben der Familie Berglund, die in dem Vorort St. Paul lebt. Walter engagiert sich als Umweltaktivist, während seine Frau Patty eine erfolgreiche Basketballspielerin war - bis sie sich eine Verletzung am Knöchel zuzieht. Der Sohn Joey zieht mit 16 Jahren zu den Nachbarn um dort mit seiner Freundin Connie für sich zu sein und seine Schwester Jessica bemüht sich unscheinbar darum, einfach nur perfekt zu sein und alle Erwartungen zu erfüllen.


    Franzen greift in seinem Roman ziemlich weit zurück und erzählt von der Kindheit Walters und Pattys bis in die heutige Zeit. Beide hatten das Gefühl von ihren Eltern nicht richtig behandelt worden zu sein und nehmen sich vor, ihre eigenen Kinder besser zu behandeln - nur um am Ende erkennen zu müssen, dass es nicht leicht ist, keine Fehler zu machen. Dazu passt auch, dass die immer wieder eingewobenen Ausschnitte aus Patty Berglunds Biographie den Titel "Es wurden Fehler gemacht" haben. Beschrieben wird eine Familie, die so gefangen ist davon, ein perfekts Bild wider zu spiegeln, dass jeder einzelne sich selbst betrügt und sie beinahe schon zwangsläufig scheitern müssen.


    Von der Geschichte kann man kaum etwas erzählen, ohne nicht schon zu viel verraten zu haben. Was ich aber sagen kann, ist, dass ich einen tollen Roman gelesen habe, der unheimlich dicht geschrieben ist und mir das Gefühl vermittelt hat beinahe schon mit den Charakteren zusammen zu leben. Meiner Meinung nach ist Jonathan Franzen - fast zehn Jahre nach "Die Korrekturen" - erneut ein ganz großes Buch gelungen.


    10 Punkte.

  • Zitat

    Original von buzzaldrin
    Was ich aber sagen kann, ist, dass ich einen tollen Roman gelesen habe, der unheimlich dicht geschrieben ist und mir das Gefühl vermittelt hat beinahe schon mit den Charakteren zusammen zu leben. Meiner Meinung nach ist Jonathan Franzen - fast zehn Jahre nach "Die Korrekturen" - erneut ein ganz großes Buch gelungen.


    Herzlichen Dank für diese sehr eindrucksvolle Rezi. Bisher hatte Frantzen in meinen Augen außer den "Korrekturen" nicht allzuviel Vernünftiges auf die Beine gestellt. Aber offensichtlich scheint ihm ja hier etwas ähnlich Gutes gelungen zu sein. Das Buch kommt ganz nach oben auf die Wunschliste. :wave

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Danke auch von mir für die Rezi. :wave Das klingt ja alles sehr positiv, aber der Klappentext konnte mich nicht so richtig überzeugen. Ich glaube, ich warte doch lieber auf die Taschenbuchausgabe.

    "Es gibt einen Fluch, der lautet: Mögest du in interessanten Zeiten leben!" [Echt zauberhaft - Terry Pratchett]

  • Zitat

    Original von saz
    Danke auch von mir für die Rezi. :wave Das klingt ja alles sehr positiv, aber der Klappentext konnte mich nicht so richtig überzeugen. Ich glaube, ich warte doch lieber auf die Taschenbuchausgabe.


    Meiner Meinung nach wird der Roman durch den Klappentext aber auch nicht wirklich gut widergespiegelt - das sollte dich nicht abschrecken.


    Voltaire
    Mir ging es ähnlich: die Bücher die Franzen nach "Die Korrekturen" veröffentlicht hatte, haben mir größtenteils nicht gefallen - manche sogar überhaupt nicht. Mit "Freiheit" knüpft er aber - meiner Meinung nach - wieder an "Die Korrekturen" an. Mir hat es wirklich gut gefallen.

  • Zitat

    Zitat: Original von buzzaldrin Was ich aber sagen kann, ist, dass ich einen tollen Roman gelesen habe, der unheimlich dicht geschrieben ist und mir das Gefühl vermittelt hat beinahe schon mit den Charakteren zusammen zu leben. Meiner Meinung nach ist Jonathan Franzen - fast zehn Jahre nach "Die Korrekturen" - erneut ein ganz großes Buch gelungen.


    Oh fein! Vielen Dank für die Rezi und vor allem den Hinweis auf die Korrekturen. Das Buch, seine Auseinandersetzung mit Familienstrukturen hat mich damals und bisher auch als einziges von Franzen sehr beeindruckt. Falls ihm nun ein ähnlicher Wurf gelungen sein sollte, hätte sich mein Spontaneinkauf gelohnt - ich habe nämlich "Freiheit" bereits in meiner Tasche kann noch heute abend anfangen zu lesen :chen

    Liebe Grüße vom Eulengrünschnabel Melesa


    :flowers Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt.


    Ich will auch einen SUB! :-)

  • Seltsam unbefriedigend


    Franzen erzählt eine Liebesgeschichte, eingebettet in mehrere Familiensagas, darüber hinaus spielen Umweltschutz, der Irakkrieg und viele andere Themen ihre Rollen.


    Patty, die von ihren politisch ambitionierten, liberalen Eltern etwas vernachlässigte, gut aussehende Basketballspielerin, verliebt sich in Richard Katz, den Lebemann und Rockmusiker, der aber weniger von ihr will als sie von ihm. Also wählt sie die zweitbeste Lösung, nämlich Richards besten Freund Walter, ein engagierter und feingeistiger Gutmensch, dem der Schutz des Planeten - und insbesondere dessen Singvogelbestand - wichtiger ist als fast alles andere, von Patty abgesehen, die er anbetet. Die beiden führen eine Ehe, die wie alle Ehen Hochs und Tiefs bewältigen muss und aus der Jessica, praktisch Pattys Ebenbild, und Joey, ein zunächst selbstsüchtiger, erfolgsorientierter Egozentriker, der sich im Verlauf aber stark wandelt, hervorgehen. Irgendwann allerdings wird der Punkt erreicht, an dem die seinerzeit unmöglichen Alternativen über mehr Reiz zu verfügen scheinen als das kompromissreiche, zuweilen sogar schmerzhafte Leben miteinander.


    Patty, die während ihrer Highschoolzeit vergewaltigt wurde, der aber in dieser extremen Situation der Rückhalt durch die Eltern versagt blieb, sieht sich fortwährend in Konkurrenz zu allen anderen, vor allem aber zu sich selbst - sie ist niemals wirklich zufrieden. Sie hadert mit der Entscheidung für den vermeintlich falschen Mann, obwohl Walter liebe- und fast schon pathologisch verständnisvoll ist. Auch Katz, der Musiker und jahrzehntelang Walters bester Freund, kommt nie darüber hinweg, diese Option verpasst zu haben.


    Nach der Lektüre der fraglos unglaublich stilsicher, intelligent und detailliert verfassten 730 Seiten bleibt ein merkwürdig unbefriedigtes Gefühl. Franzen erzählt präzise, facettenreich, glaubwürdig und nicht selten wunderschön, aber die über allem stehende Frage, wovon er erzählt, lässt sich nur schwer beantworten. Die vielen Themen, die angerissen oder auch vertieft werden, etwa Joeys Verstrickungen in den Irakkrieg, seine Ehe mit der Nachbarstochter Connie, Walters Anbiederung an die Militärindustrie, Katz' Musikerkarriere, das als Motiv und Schauplatz immer wieder auftauchende Ferienhaus am See, die familiären Merkwürdigkeiten auf Pattys Seite, Überbevölkerung, Fundraising, anarchistische Politfans, wildernde Hauskatzen, Kohleförderung durch Gipfelabbau, Alkoholismus, Kindererziehung, Zersiedelung und so weiter und so fort - nur wenig davon erreicht eine Tiefe, die das oft recht Plakative der Ausführungen begründen würde. Als pure Würze auf der tragischen, manchmal auch komischen Familien- und Liebesgeschichte ist all das überdosiert, davon abgesehen auch zu bedeutungsvoll, aber am Ende bleibt das etwas fade Gefühl, mit vielen Elementen nur konfrontiert worden zu sein, weil sie Beiwerk zu einer zwar enorm weitreichenden, dennoch merkwürdig konstruierten Figurenzeichnung waren.


    "Freiheit" mag ein Sittenbild der neunziger Jahre und des beginnenden neuen Jahrtausends sein, ein Buch über die Dranghaftigkeit und Selbstbezogenheit der amerikanischen Gesellschaft, eine Anklage gegen den Raubbau, die Umwelt- und damit Weltzerstörung, aber in der Hauptsache ist es die Geschichte von Patty und Walter, die der Leser auf durchaus intensive Weise miterlebt. Das hat seine sehr eigene Schönheit, verfügt über viel Nähe und Plastizität, gleichwohl kommt echte Empathie nicht so recht auf, was auch an der niederdrückenden, ungebremsten Sprachgewalt des Autors liegen mag, in der Hauptsache aber wohl daran, dass die Figuren bei allem Detailreichtum das Holzschnittartige niemals abzustreifen in der Lage sind.

  • Ich habe den Roman gerade beendet und mache es kurz und knapp - ich schließe mich Toms aufschlussreicher Rezension an. (Ich wüsste jetzt auch nichts, was ich noch schreiben könnte ;-))


    :wave

    Jeder trägt die Vergangenheit in sich eingeschlossen wie die Seiten eines Buches, das er auswendig kennt und von dem seine Freunde nur den Titel lesen können.
    Virginia Woolf

  • Alles in allem fand ich "Freiheit" ein gutes Buch, mir haben "Die Korrekturen" aber besser gefallen.
    Für meinen Geschmack hat Franzen hier zu viele Baustellen aufgemacht...und ganz ehrlich, Walters Verstrickungen in Sachen Umweltschutz habe ich nicht immer verstanden. :gruebel


    Dennoch: Franzen ist ein großartiger Schriftsteller und Erzähler und das bewerte ich mit 9 Punkten.

    Herzlichst, FrauWilli
    ___________________________________________________
    Ich habe mich entschieden glücklich zu sein, das ist besser für die Gesundheit. - Voltaire

  • Nun, buzz, da das Ding irgendwie zarte 740 Seiten hat, wird es einen Moment dauern.


    Aber was mich besonders freut, noch viel mehr als die umjubelten Besprechungen im Tagesspiegel und der Süddeutschen, ist die Tatsache, dass es Franzen ja anscheinend geschafft hat, das Niveau der Korrekturen zu halten bzw. noch zu steigern...



    echt gespannte Grüße von Elbereth :wave

    “In my opinion, we don't devote nearly enough scientific research to finding a cure for jerks.”

    ― Bill Watterson

  • Ich hatte irgendwie das Gefühl ich finde das Buch toll, aber.. Ich konnte meinen Eindruck nicht in klare Gedanken fassen, geschweige den formulieren, mag sein bei 34 Grad im Schatten am Swimmingpool war das auch falsche Lesezeit und Leseort aber jetzt kann ich sagen, dass Tom mein Lesegefühl exakt getroffen hat. :anbet :wave

  • Ich habe dieses Buch bei 40° am Schwarzen Meer gelesen, und war von der ersten bis zur letzten Seite hingerissen.


    Mag sein, dass das daran lag, dass mich dieser Roman auf einer ganz persönlichen Ebene gepackt hat, Gedanken formulierte, die ich schon immer mal denken wollte, Konflikte aufwarf, die mir irgendwie bekannt vorkamen und dabei so wunderbar geschrieben ist.


    Ich habe über den Eindruck, dass die Figuren "holzschnittartig" seien, nachgedacht und denke, dass darin unter anderem die Faszination begründet liegt, die der Roman auf mich ausübte. Denn gerade die Distanz, die ich zu den Personen behielt, ermöglichte eine so gnadenlos analytische Draufsicht auf die Verhältnisse.


    Für mich ist dieses Buch ein nahezu perfekter Roman :anbet

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Ich bin hin- und hergerissen nach Lektüre der knapp über 700 Seiten. Die erste Hälfte war es tatsächlich ein perfekter Roman, ab der Mitte jedoch wurde es mir zu langatmig und ausufernd mit den Beschreibungen von Walters Aktivitäten in punkto Vogelschutz.
    Was für den gesamten Roman gilt, sind der unglaublich tolle Stil und die Sprachmächtigkeit des Autors, da sind Sätze von großer Schönheit ebenso enthalten wie völlig überraschende Wendungen und Figurenentwicklungen.
    Alles in allem ein recht guter Roman, der aber in meinen Augen bei weitem nicht an Franzens Jahrhundertwurf "Die Korrekturen" heranreicht.

  • Nur wenige Autoren schaffen es, so tiefsinnig über das hintergründige Beziehungsgeflecht einer Familie zu schreiben wie Franzen. Der Leser kann die Motive, Träume, Gefühle, Grenzen … bis zu den Lebenslügen der Figuren sehr gut nachvollziehen. Dass die nächste Generation die Fehler der Alten wiederholt, ist nichts Neues; wie der Autor jedoch die Übertragung der Verhaltensmuster von alt auf jung schildert, wie er begründet, warum die Protagonisten scheitern, weder ohneeinander noch miteinander leben können, und dann doch wieder zusammenfinden, das ist wahrlich meisterlich – hier zeigt sich die Klasse des feinen literarischen Psychologen. Wer hat schon den Mut, eine Geschichte zu schreiben, in der die Charaktere so schonungslos durchleuchtet werden, dass all ihre Facetten und Widersprüche sichtbar werden?


    Obwohl Franzen sich manchmal auf psychologisches Glatteis begibt, rutscht er nie aus und gerade diese Fertigkeit macht ihn zum Kunstläufer. Ein wunderbares Buch, das noch tiefer in die Seelen eintaucht als „Die Korrekturen“. Nur eins missfiel mir: Das Reflexive und Narrative hätte er durchaus etwas kürzer halten können, da wäre weniger mehr gewesen. Aber dieser Eindruck schmälert das sehr gute Gesamtergebnis überhaupt nicht: Volle Punktzahl! Wer immer schon mal wissen wollte, was Freiheit eigentlich ist, der sollte dieses Buch lesen.

  • Ich habe das Buch in der Leserunde gelesen. Zum Inhalt kann ich ja nichts mehr hinzufügen, dazu ist schon alles geschrieben worden. Mir selbst hat das Buch sehr gut gefallen. Ich hatte zwar anfangs leichte Startschwierigkeiten, aber dann hat es mich richtig gefesselt.


    Es war mein erstes Buch von Jonathan Franzen, aber bestimmt nicht mein letztes.


    Von mir gibt es hier 9 Punkte.
    Viele Grüße :wave

  • Da es mir nicht gegeben ist, Rezensionen in o.z.s. Länge auszuformulieren, beschränke ich mich auf "mir hat 'Freiheit' besser gefallen als 'Die Korrekturen', und ich denke, auch hier werden mir die Personen noch lange im Gedächtnis bleiben".

    Manchmal hatte ich Lust, Sätze mit pinkfarbenem Marker anzustreichen, sei es aufgrund sehr gelungener Formulierungen oder einer Art des Wiedererkennens eigener Gedanken oder Erklärungen für das Verhalten von eigenen Familienmitgliedern.


    9 Punkte und große Lust auf 'Crossroads' lasse ich da.

    Oder vielleicht doch vorher noch 'Unschuld'? :gruebel

    „An solchen Tagen legt man natürlich das Stück Torte auf die Sahneseite — neben den Teller.“