Originaltitel: Cyteen
Obwohl dies ein zusammenhängender Roman ist, wurde er ursprünglich als Trilogie veröffentlicht:
Der Verrat/The Betrayal
Die Wiedergeburt/The Rebirth
Die Rechtfertigung/The Vindication
Fortsetzung: „Regenesis“
Ebenfalls Union, aber vor „Cyteen“ bzw. teilweise parallel dazu handelnd, weil es hier eine wichtige Rolle spielt: „40000 in Gehenna“
Inhalt:
Ariane Emory ist eine hochbegabte, ehrgeizige und rücksichtslose Forscherin im Reseune-Zentrum auf dem Planeten Cyteen und ein wichtiger Machtfaktor in Unions Politik. Als sie ums Leben kommt, nimmt ihr Kollege und Feind Jordan Warrick die Schuld auf sich, um seinen Sohn (und Klon) Justin und die Azis seiner Familie zu schützen. Um Aris Wissen für Reseune zu erhalten, wird ein Klon von ihr erzeugt und geboren, der in einem geheimen Wissenschaftsprojekt möglichst identisch mit dem Original erzogen werden soll.
Wo beginnt die Identität eines Menschen? Ist ein Klon nur ein später geborener Zwilling oder ist es doch möglich, einen Menschen komplett zu kopieren, indem man ihn – sie! – möglichst gleich wie das Original aufwachsen lässt, ohne Rücksicht auf Gefühle?
Was bedeutet es, wenn Ari II ausgerechnet die Freundschaft von Justin Warrick sucht, der nicht nur der Klon des Mannes ist, der ihre Vorgängerin angeblich ermordet hat, sondern auch ein Opfer der Manipulationen Aris I? Und wer hat sie eigentlich ermordet, da es eben nicht Jordan war? Oder war es doch ein Unfall?
„Cyteen“ ist Preisträger des Hugo Awards 1989 als bester Roman.
Meinung:
Ein Brocken von einem Buch, in jeglicher Hinsicht. Das zugrundeliegende Thema ist das Klonen, denn dies, die „Herstellung“ sogenannter „Azis“, gezielt geklonter und durch sog. "tapes" indoktrinierter Menschen, ist die Hauptaufgabe von Reseune und die Azis sind ein wichtiger Bestandteil, man möchte fast sagen, Wirtschaftsfaktor von „Union“. Wobei man durchaus verstehen kann, warum der Rest der Menschheit ein Problem mit Union hat. Es mögen dies weniger moralische Gründe sein, als vielmehr die Angst vor diesem unheimlichen Phänomen. Doch Azis sind trotz allem in erster Linie Menschen, das wissen wir spätestens, seit wir Josh Talley („Downbelow Station“) kennengelernt haben.
Die Azis sind das Herzstück jeder in Union spielenden Geschichte, und das in jeglicher Hinsicht. Im Forschungszentrum Reseune hat fast jeder mindestens einen Azi-Gefährten, was auf den ersten Blick wie eine Art Leibsklave wirkt, aber tatsächlich etwas komplett anderes ist. Zumindest bei denen, die in ihnen mehr sehen, wie Jordan, Justin und Ari II, sind die Azis die Ruhepole und wichtigsten Menschen im Leben. Die Schutzfunktion geht in beide Richtungen, denn das Unglück nimmt hier zu Beginn seinen Lauf, als der jugendliche Justin bereit ist, alles zu tun um seinen Azi/Ziehbruder/Gefährten Grant vor Ari I zu schützen. Ebenso kapituliert der zu einem Geständnis erpresste Jordan erst, als nach Justin und Grant, den er ebenfalls wie einen Sohn liebt, auch sein Azi-Gefährte Paul bedroht wird.
Diese Verhältnisse, allen voran Justin und Grant, aber auch Ari II mit Florian und Catlin, ist es, was dieses Buch für mich besonders faszinierend macht. Aber wie immer wenn es um Azis geht, ist da auch ein Gutteil Unbehagen dabei, denn man fragt sich doch, wie weit die Zuneigung der Azis freiwillig oder eingeimpft ist.
Und doch sind Justin und vor allem Grant diejenigen, die mir hier am meisten ans Herz gewachsen sind, gemeinsam mit dem verbannten Jordan. Diesmal ist mir auch Yanni Schwartz sehr positiv aufgefallen, Justins nicht immer freundlich wirkender Mentor.
Ari II lernen wir zwar von kleinauf kennen, jedoch kann ich nie ganz die Erinnerung an Ari I abwerfen. Justin ist in dieser Hinsicht erfolgreicher. Es wird sich zeigen, wie sehr Ari II einst zum Ebenbild von Ari I werden wird. Die Idee dahinter, nature vs. nurture, ist eine faszinierende, über die man viel nachdenken kann. Sehr interessant sind auch die „Dialoge“, die Ari II mit den Aufzeichnungen von Nr. 1 führt. Immerhin mochte ich Nr. II diesmal schon mehr als beim ersten Mal. Irgendwann kann ich mich vielleicht mit ihr anfreunden. Denn sie ist ja eigentlich auch ein Opfer, wenn auch eines, das zurückschlägt. Ihr Leben und Aufwachsen hilft vielleicht auch dabei, Ari I zu verstehen.
Auch für Alliance-Fans ist das Buch interessant, denn da „Cyteen“ später spielt, bekommt man aus Sicht der Union auch einen Blick darauf, wie es mit dem zweiten Machtblock weitergeht, der einst auf „Downbelow Station“ geboren wurde. Ebenfalls nicht überlesen werden sollte der Hinweis auf die Aliens, die die Erd-Menschen bei ihren allzu neugierigen Forschungsreisen in die andere Richtung des Alls verschreckt haben, dem „Compact“. Wenn ich es richtig verstehe, bedeutet das, dass auch die „Chanur“-Bücher im gleichen Universum spielen, wenn wir auch nicht wissen, wann.
Zu all dem kommt noch ein gewaltiger Schuss Intrige und Politik hinzu, was das Buch nicht einfacher, aber umso interessanter macht. Einfach zu lesen ist es gewiss nicht, aber wenn man diese Art Geschichten mag und durchhält, wird man belohnt. Für mich, wie generell bei Cherryh und anderen Büchern, wie ich sie mag, sind die spannendsten Stellen praktisch immer die menschlichen Begegnungen, hier zB der Schrecken, als Ari II ohne Hintergedanken dem gutaussehenden Justin ein eindeutiges Angebot macht, ohne zu ahnen, was sie damit in ihm auslöst. Oder die Spannung, wie sie darauf reagieren wird, wenn sie erfährt, wer für den Mord an ihrer Vorgängerin büßt. Oder Justin und Grant, die nach Jordans Verhaftung in einer Art Dauerparanoia leben müssen und nur einander vertrauen können.
Das ist für mich die wahre Action, die mich atemlos lesen lässt. Ich denke, deshalb auch schreibt Cherryh auf meiner Wellenlänge, weil es in ihren Büchern immer wieder solche Konfrontationen und Ängste und Konflikte gibt. Und doch ist dies auch ein Buch, wo man noch zwei Seiten vor dem Ende mitten in einem Kampf steht und kaum fassen kann, dass es eigentlich gleich aus ist. Balance, das ist das Zauberwort. Für mich. Hier ist sie perfekt, von kleinen Durchhängern im Mittelfeld abgesehen, wo wir für meinen Geschmack etwas zu viel Zeit bei der frühen Jugend von Ari II verbracht haben. Aber ein paar wenige Seiten zuviel sind bei so einem dicken Buch wahrlich vernachlässigbar.
Ich habe zwar eine gefühlte Ewigkeit an diesem Buch gelesen, auch schon beim ersten Mal vor einigen Jahren, aber vor allem diesmal habe ich es einfach nur genossen, ohne jegliche Eile. Das schaffen nicht viele Bücher. Es hat mir diesmal auch weit besser gefallen als beim ersten Mal und ich muss ernsthaft in Erwägung ziehen, doch „Cyteen“ als Cherryhs bestes Werk zu betrachten.
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