Von Hakenkreuzen und gehakeltem Hering
Georg Wertheim und seine Geschwister wachsen im Stralsund der Kaiserzeit unter den denkbar schlechtesten Bedingungen auf: arm und jüdisch. Tadde Abraham ist zwar das offizielle Oberhaupt der Familie, aber Mutter Ida muss den Laden schmeißen. Das tut sie so gut sie kann – will heißen: mehr schlecht als recht. Gehakelter Hering liegt öfter auf dem Teller, als allen lieb ist. Besser wird es für Georg und Bruder Hugo erst, als sie bei Onkel Wolf in Berlin in die Lehre gehen können. Dort zeigt sich schon bald, was in den jungen Männern steckt. Zurück in Stralsund machen sie von ihren Fähigkeiten Gebrauch und legen den Grundstock für das, was einmal der Wertheim-Konzern werden soll. Auch die jüngeren Geschwister werden früh ins Familiengeschäft einbezogen.
Richtig los geht es aber erst, als die Familie nach Berlin umsiedelt. Hier mischt auch Mutter Ida kräftig mit. Aber es gibt auch familiäre Sorgen, an denen Georg beinahe zu zerbrechen droht. Immer wieder sind es die Frauen in Georg Wertheims Leben, die alles einrenken. Hanna Berger wird nicht nur die Liebe seines Lebens und tüchtige Büroleiterin im Hause Wertheim. Aber das Paar kann nicht heiraten, weil es ein dunkles Geheimnis zu hüten gilt. Mama Ida sorgt für eine standesgemäße christliche Ehefrau, und damit für den gesellschaftlichen Aufstieg der Familie. Selbst die verrucht daherkommende Schwägerin Gertrud Pinkus macht sich nützlich. Sie hält Georg und Hanna die Klatschpresse vom Leib. In den Hungerjahren ist es Ehefrau Ursula, die vom Familiengut aus fürs tägliche Brot sorgt – auch bei den ärmeren Schichten Berlins, die bei Wertheim billiges und gutes Essen kaufen können. Gehakelter Fisch kommt zwar immer noch gelegentlich auf den Tisch des Hauses Wertheim, aber nun essen ihn alle aus lieber Gewohnheit.
Mit der Weimarer Republik kommt ein kurzer Aufschwung. Aber es lässt sich nur schwer leugnen, dass hinter dem Glanz so langsam aber sicher der Verfall einsetzt. Georg wird langsam alt, Hanna muss immer öfter das Ruder übernehmen. Jetzt macht sich schmerzlich bemerkbar, dass Eigenbrötler Georg es unterlassen hat, eine politische Hausmacht aufzubauen. Und als die Hakenkreuze überall wehen, ist der „Große Wertheim“ darauf angewiesen, von Ziehsohn Willi Carow und seinem einzigen Freund, dem Deutschbanker von Stauß, vor dem Schlimmsten bewahrt zu werden.
Fazit: Pfaue und seine beiden Mitarbeiter haben das Buch nicht als offizielle Biografie angelegt sondern als einen Roman. Der Leser erfährt viel über das Berlin der Kaiserzeit und der Weimarer Republik, einiges über den Wertheim-Konzern. Aber trotzdem bleibt Georg Wertheim blass. Man muss sich mit den anderen Figuren des Buches genauer auseinandersetzen, um etwas über den Mann zu erfahren, der eigentlich die Hauptperson ist. Hier hätte ich mir mehr die Feder des Romanschreibers gewünscht als die Schreibmaschine des Journalisten. So hängt das Buch irgendwie zwischen Fisch und Fleisch. Alles in allem ein netter Lesespaß, aber die Leihbücherei halte ich für ausreichend.
Vier Sterne.