Originaltitel: Døden ved vann (2008)
Droemer/Knaur Verlag 2010, 544 S.
Über den Inhalt:
Der 12-jährige Jo hat beschlossen, seinem Leben ein Ende zu setzen und wird in letzter Minute gerettet. Doch um welchen Preis? Jahre später verschwindet in Oslo die Psychotherapeutin Mailin Bjerke spurlos. Was niemand weiß: In ihrer Praxis fehlt auf einmal eine streng vertrauliche Patientenakte. Als Mailin einige Tage später grausam gefoltert und ermordet aufgefunden wird, übernehmen Kommissar Viken und sein Team den Fall. Gleichzeitig beginnt Mailins eigensinnige Schwester Liss, selbst Nachforschungen anzustellen. Immer tiefer gräbt sie in der Vergangenheit und kommt dabei dem Mörder ihrer Schwester gefährlich nahe ...
Über den Autor:
Torkil Damhaug, geboren 1958 in Lillehammer, studierte Medizin und Psychologie. Er arbeitete in Akerhus als Psychiater, bevor er sich ab 1996 dem Schreiben von psychologischen Thrillern widmete.
Meine Meinung:
Jo haßt sein Leben. Der 12-jährige fährt mit seiner alkoholkranken Mutter und deren Freund in Urlaub und muss ständig auf seine kleinen Geschwister aufpassen. Er überlegt, ins Meer hinauszuschwimmen und nicht mehr umzukehren. Im letzten Moment kann ein Fremder ihn davon abbringen.
12 Jahre später: Liss, Mitte 20, magersüchtig, betäubt ihre Lebensangst mit Alkohol und Drogen. Als sie erfährt, dass ihre Schwester Mailin spurlos verschwunden ist und die Polizei nichts unternimmt, beginnt sie nach ihr zu suchen.
Damhaug baut seinen Thriller ähnlich langsam auf wie den Vorgänger „Die Bärenkralle“. Zunächst werden die Protagonisten sehr ausführlich eingeführt, der Leser muss Geduld aufbringen, bis die Thrillerhandlung richtig in Fahrt kommt. Das passiert erst, als die Polizei um Kommissar Viken ins Spiel kommt, knapp nach der Hälfte des Buches. Doch nicht Viken steht diesmal bei den Ermittlungen im Vordergrund, sondern sein Mitarbeiter Roar Horvath, der Unterstützung durch die Gerichtsmedizinerin Jennifer Plåterud erhält.
Neben „Schändung“ von Jussi Adler-Olsen ist dies die zweite skandinavische Herbst-Neuerscheinung, die im Fahrwasser von Stieg Larssons Trilogie mit einer ungewöhnlichen weiblichen Protagonistin aufwartet. Auch hier haben wir es mit einer jungen, intelligenten Frau mit traumatischen Kindheitserlebnissen zu tun. Was Adler-Olsen mit der Figur der Kimmie so grandios vorführt, das gelingt Damhaug mit seinem sperrigen Charakter der Liss nicht ganz so mühelos, wobei beide sich nicht unähnlich sind.
Der erste Teil ist sehr eindringlich geschrieben, so dass er mich beim Weiterlesen stark beschäftigte und die 12 Jahre später spielende Geschichte überlagerte. Bei den vielen Namen und Personen musste ich sehr aufmerksam lesen, um die Puzzleteilchen zu entdecken, die Damhaug in der Handlung versteckt. Im Verlauf der Geschichte lassen sich immer mehr Zusammenhänge erkennen, aber es braucht seine Zeit, bis ein Gesamtbild entsteht.
Zunächst kam ich mit dem Blickwinkel, den der Autor auf seine Geschichte und die Figuren wirft, nicht ganz zurecht. Worauf wollte er hinaus? Damhaug wirbt beim Leser zwar um Verständnis für seine Protagonisten, hält aber gleichzeitig Abstand, begegnet ihnen unterkühlt und distanziert, ja fast emotionslos. Lange war mir nicht klar, wer welche Rolle spielt.
Sehr geschickt in den Handlungsverlauf eingeflochten betritt das Ermittlerteam um Kommissar Viken erst relativ spät die Szene. Von diesem Punkt an ändert sich die Erzählperspektive. Nun sieht man die Personen aus einem ganz anderen Blickwinkel und nimmt sie völlig anders wahr. Die Ermittler begreifen erst sehr spät, fast zu spät, um was es hier eigentlich geht.
Ein außerordentlich gut konstruierter Thriller mit sehr komplexer Handlung, bei dem sich das Thema Kindesmißbrauch als roter Faden durch das ganze Buch zieht. Nach langsamem Beginn steigert sich die Spannung und das Ende wartet mit einer von mir so nicht vorher gesehenen überraschenden Auflösung auf. Ich hatte mich sehr auf dieses Buch gefreut, die Erwartungshaltung war hoch und wurde nicht enttäuscht.