Kurzbeschreibung (amazon)
Nicht immer hält das Leben, was es verspricht, das muss auch
Zarentochter Olga erkennen. Ihre Ehe mit Kronprinz Karl von Württemberg
bleibt kinderlos, der Hof in Stuttgart ist ihr lange Zeit fremd. Als der
Zar sie bittet, seine Nichte Wera aufzunehmen, willigt Olga freudig
ein. Doch das Mädchen ist schwierig, wild und unberechenbar. Olga setzt
alles daran, aus Wera eine würdige Großfürstin und einen glücklichen
Menschen zu machen. Beide Frauen müssen viele Träume begraben. Doch ihre
Freundschaft hilft ihnen, neue Wege zu gehen und dem Leben ein wenig
Glück abzutrotzen.
Meine Beurteilung
Keine heile Welt
"Die russische Herzogin" ist der Folgeband zu "Die Zarentochter" und
beschäftigt sich mit dem Leben der Olga Nikolaewna Romanowa (genannt "Olly",1822 - 1892) nach ihrer Eheschließung mit dem Kronprinzen Karl
von Württemberg (später König Karl I). Die Romanhandlung setzt 1863 ein.
Olgas Leben ist nicht so verlaufen, wie sie es sich bei der Hochzeit 17
Jahre zuvor erträumt hatte. Ihr Schwiegervater, König Wilhelm I, hält
nicht viel von seinem Sohn und beteiligt das junge Ehepaar nicht an der
Regierung. Besonders Olly ist geistig ziemlich unterfordert und hat sich
karitativen Aufgaben verschrieben. Sie ist unermüdlich unterwegs, um
den Armen zu helfen, oft finanziert sie ihre sozialen Tätigkeiten aus
ihrer eigenen Schatulle, da der Königshof ihr nur wenig Geld zur
Verfügung stellt. Auch in ihrer Ehe steht es nicht zum Besten: Karl und
Olly sind kinderlos geblieben und haben sich zunehmend voneinander
entfremdet. Dass ihr Ehemann homosexuell ist, will Olly lange Zeit nicht
wahrhaben.
Ihr Leben erhält einen neuen Sinn, als ihr Bruder Konstantin sie
bittet, seine neunjährige Tochter Wera Konstantinowna Romanowa (1854 - 1912) bei sich aufzunehmen, da die Eltern mit dem unangepassten,
quirligen Mädchen völlig überfordert sind und ihm keine Liebe
entgegenbringen (können). Auch Olly, Karl, die Hofdame Evelyn von
Massenbach und die gestrenge Gouvernante Helene Trupow erleben mit dem
aufgeweckten, aber schwierigen Mädchen (heutzutage würde man wohl ADS
diagnostizieren) allerlei unangenehme und peinliche Situationen.
Trotzdem gelingt es Olly im Laufe der Jahre, zu Wera eine liebevolle
Beziehung aufzubauen und in ihr soziales Interesse und Engagement zu
wecken. Sie ist auch an Weras Seite, als diese - inzwischen von Olly und
Karl adoptiert - in ihrer eigenen Ehe schwere Schicksalsschläge
hinnehmen muss. Die beiden Frauen sind sich darin ähnlich, dass sie auch
unter widrigen Umständen niemals aufgeben und für das Wohl der
Stuttgarter Bevölkerung im Einsatz sind. Noch heute bestehen die von
Olly und Wera ins Leben gerufenen wohltätigen Institutionen, die
seinerzeit bahnbrechend waren: Wera gründete das erste "Mutter und Kind Heim" , in dem verarmte alleinstehende Mütter mit ihren Kindern ein
menschenwürdiges Leben führen konnten.
Der Roman ist in einen Prolog, drei Hauptteile und einen Epilog
(1909) gegliedert, die drei Hauptteile passen sich den Lebensabschnitten
von Wera an, die neben Olly eine gleichwertige Hauptfigur darstellt.
Wie schon der erste Band ist auch dieses Buch von der Autorin gründlich
recherchiert und sehr flüssig erzählt. Oft kann man sich ein Schmunzeln
über Weras kindliche Missetaten nicht verkneifen, andererseits werden
die Armut und die unwürdigen Lebensbedingungen der einfachen Leute sehr
eindringlich geschildert. Besonders beeindruckend ist die differenzierte
Charakterzeichnung aller Hauptfiguren, die nicht in Gut und Böse
eingeteilt werden, sondern mit ihrer Zurschaustellung sympathischer und
weniger sympathischer Züge sehr lebensnah wirken.
Dieser Roman bietet nicht nur gute Unterhaltung, sondern auch
Hintergrundwissen über die politischen und gesellschaftlichen
Entwicklungen des ausgehenden 19. Jahrhunderts (Forderung nach mehr
Demokratie, Auflehnung gegen die russische Zarenfamilie und ihren
autokratischen Regierungsstil) . Ein Buch, das unterhält und nachdenklich macht!
Wenn möglich, sollte man zuerst "Die Zarentochter" gelesen haben,
damit man den komplizierten Verwandtschaftsverhältnissen folgen kann.