Thilo Sarrazin - Deutschland schafft sich ab. Wie wir unser Land aufs Spiel setzen
ISBN: 3421044309
Erscheinungsjahr: August 2010
Auflage: 2.
Verlag: Deutsche Verlags-Anstalt
Über den Autor:
Thilo Sarrazin, geboren 1945 in Gera,entstammt einer Familie mit hugenottischen Wurzeln und ist studierter Volkswirt.
Seit 1975 ist der Autor im öffentlichen Dienst tätig, langjähriges SPD-Mitglied, war von 2002 bis 2009 Finanzsenator in Berlin und arbeitet zurzeit als Mitglied des Vorstands der Bundesbank, die einen Antrag auf Abberufung Sarrazins beim Bundespräsidenten wegen seiner umstrittenen Äußerungen zur Migrationspolitik gestellt hat.
Der Autor ist verheiratet mit der Grundschullehrerin Ursula Sarrazin und hat mit ihr zwei gemeinsame Söhne.
Über den Inhalt:
"Deutschland schafft sich ab - Wie wir unser Land aufs Spiel setzen" ist die Auseinandersetzung Thilo Sarrazins mit der gegenwärtigen Lage Deutschlands. Der SPD-Politiker unternimmt den Versuch einer politischen und wirtschaftlichen Bestandsaufnahme, untersucht die Bevölkerungsentwicklung in Deutschland, beleuchtet kritisch das Thema Zuwanderung und Integration und widmet sich intensiv dem Thema Bildungspolitik.
Meine Meinung:
Kein Zweifel besteht darin, dass der ehemalige Finanzsenator hier ein höchstpersönliches Buch geschrieben hat; die Bewegründe bleiben bis zuletzt jedoch fraglich. Handelt es sich um die Abrechnung eines hochrangigen SPD-Politikers, der in den eigenen Reihen mit seinen Ansichten keine Beachtung gefunden hat oder ging es Sarrazin bei der Erstellung dieses Buches tatsächlich um die Zukunft Deutschlands? Eine Antwort wird der Leser bis zum Schluss nicht erhalten, stattdessen erwarten ihn eine Fülle an Behauptungen und Statistiken, Lösungsansätze und Visionen, aber auch Endzeitstimmung und Meinungsmache eines verbitterten Politikers.
In neun Kapiteln setzt sich der Autor mit den Zuständen in Deutschland kritisch auseinander, beschreibt die Entwicklung unseres Landes von der Nachkriegszeit bis heute und wagt einen Blick in die Zukunft.
Einen Großteil seiner Ausführungen widmet er der Armut in unserem Land, der Einwanderungs- und Bildungspolitik, die eng miteinander verbunden sind und auf die er die Missstände zurückführt. Deutlich spürbar ist, dass aus Sarrazin in erster Linie der Volkswirt spricht und er seine Ausführungen auf die im Buch abgebildeten Statistiken stützt. Ein weiterer Anhaltspunkt für die Fleißarbeit, die diesem Buch zugrundeliegt, sind die 24 Seiten Fußnoten, die eine intensive Beschäftigung mit dem Thema vermuten lassen.
Nach einer gesellschaftspolitischen Bestandsaufnahme äußert sich Sarrazin in den ersten Kapiteln in moderatem Tonfall darüber, warum Zuwanderung notwendig wurde und welche Stellung Migranten heute in der Bundesrepublik einnehmen.
Dabei differenziert er - soweit es ihm möglich ist - zwischen Einwanderern aus der EU, aus Indien, China, Korea und Japan sowie den Migranten aus der Türkei, dem Nahen und Mittleren Osten und Afrika.
Ausgehend vom wirtschaftlichen Erfordernis der Zuwanderung in den 1970-er Jahren kritisiert Sarrazin das Ausruhen auf vergangenen Erfolgen deutlich und macht dafür die Abnahme von Warenproduktion und die Verschlechterung im Bildungssystem sowie die fehlende Integration von Migranten verantwortlich. In beispielhafter Weise macht er deutlich, warum Deutschland bei PISA-Tests nur mittelmäßig abschneidet und es zwischen einzelnen Bundesländern ein großes Leistungsgefälle gibt und eine Korrelation zwischen Bildungsetat und Leistungserfolg nicht besteht.
In fast waghalsiger Weise stellt Sarrazin die Frage nach der Bildungsqualität in Deutschland und fordert von der Politik das ein, was sich viele Eltern schon lange wünschen: Keine Experimente, keine neuen Reformen, sondern hohe Ansprüche an die Leistungsbereitschaft der Kinder und die Vermittlung von Tugenden durch Eltern und Lehrer.
Wer glaubt, dass Sarrazin an diesem Punkt der bürgerlichen Mittelschicht in die Hände spielt, der irrt sich.
Er wendet sich mit seinem Appell auch an die Akademiker unter den Eltern, die es zunehmend vernachlässigen, ihre Kinder an Bücher heranzuführen und ihren Nachwuchs stattdessen unbeaufsichtigt vor den Fernseher setzen oder stundenlang im Internet surfen lassen.
Neben diesen Forderungen darf Sarrazins Anspruch - Einführung einer Ganztagsschule -, die die Kinder vom Massenkonsum der Medien abhalten soll und eine Erziehung nur in den Abendstunden und am Wochenende möglich macht, kritisch hinterfragt werden, wenn Kinder dem Einflussbereich ihrer Eltern entzogen werden und man den Eltern jegliche Erziehungsarbeit abnimmt, weil ihnen bereits im Vorhinein jegliche Kompetenz abgesprochen wird.
Emotionales Kernstück und weniger fein im Ton sind die Kapitel Bildung und Gerechtigkeit sowie Zuwanderung und Integration.
Bereits in vorhergehenden Abschnitten setzt sich Sarrazin eingehend mit dem Begriff der Armut auseinander und erklärt, warum er nicht auf die politische Definition von Armut, sondern Armut in mangelnder Chancengleichheit sieht. Er bejaht die Chancengleichheit für alle Kinder und fragt zurecht, warum viele Deutsche und Migranten ihre Möglichkeiten nicht nutzen, ihre Kinder in der Schule bestmöglich zu unterstützen. Konkret kritisiert Sarrazin türkische und arabische Eltern, die keinen Integrationswillen zeigen, indem sie sich in Parallelwelten einrichten, die deutsche Sprache nicht erlernen, ihre Kinder von deutschen Kindern isolieren und auf den deutschen Staat vertrauen, der sie finanziell aushält. Im gleichen Atemzug fordert der SPD-Politiker die deutsche Politik auf, sich Gedanken zu machen, die Zuwanderungsgesetze zu verschärfen und nur noch gutausgebildeten Ausländern in Deutschland eine berufliche Perspektive zu bieten. Dabei verweist der Autor auf die erfolgreiche Einwanderungspolitik anderer Ländern, u.a. auf die Vereinigten Staaten.
Bei all den berechtigten Ansichten und Vorstößen, die Sarrazin wagt, enthält dieses Buch eine Vielzahl an Kritikpunkten, insbesondere wenn der Autor sich auf das Minenfeld der Erblichkeit von Intelligenz begibt, von Intelligenz und Bildung spricht und nicht immer nachvollziehbare Schlüsse zieht, das mangelnde Interesse an Ingenieurberufen bei Schulabgängern oder die zu hohen staatlichen Transferleistungen bei Kindern beklagt.
Der Autor lässt recht früh durchblicken, dass er der Auffassung folgt, dass Intelligenz zu 50 bis 80 Prozent vererblich sei und belegt seine Ansicht mit Quellen, ohne jedoch über die tatsächlichen Auswirkungen dieser Vererbbarkeit oder auf wissenschaftliche Gegenmeinungen einzugehen. Sarrazin unterstellt zwar eine grundsätzlich weltweite homogene Verteilung von Intelligenz, verweist jedoch auf die geringe Nettoreproduktionsrate von Akademikern und eine größere Geburtenrate von bildungsfernen Schichten, darunter insbesondere Türken und Araber in Deutschland, die sich letztlich auf die qualitative Intelligenz in unserem Land auswirken würde. Dabei blendet der Autor den zweiten und fast wichtigeren Faktor der Intelligenz
- den Umwelteinfluss - nicht aus, misst ihm jedoch einen geringeren Stellenwert zu.
Gerade an diesem Diskussionspunkt vermisst der Leser die gewissenhafte Vorgehensweise des Volkswirtes Sarrazin, der sich zwar nicht dem Vorwurf des Rassismus', aber eine nichtwissenschaftliche Arbeitsweise entgegenhalten lassen muss, weil er nur die für seine Begründung günstigen Argumente zulässt.
Ferner bemängelt der Autor den Unwillen junger Menschen, ein Ingenieursstudium aufnehmen zu wollen und zitiert - unter Entwicklung eines Horrorszenarios für die deutsche Wirtschaft- einen ihm beipflichtenden Vertreter eines großen technischen Unternehmens, ohne jedoch einen Rückblick in die Vergangenheit zu werfen. In den 1980-er und 1990-er Jahren entließen die Fachhochschulen zahlreiche Ingenieure, die von der Wirtschaft nicht abgefragt wurden, in die Arbeitslosigkeit.
An dieser Stelle wären Forderungen an die Wirtschaft, jungen Menschen eine Berufschance zu geben, sicherlich nicht verfehlt gewesen.
Sicherlich hat Thilo Sarrazin einige unbequeme Wahrheiten ans Licht gebracht, die in der Summe der Allgemeinheit lange vor Veröffentlichung dieses Buches bekannt gewesen sind und trotz Meinungsfreiheit in Deutschland aufgrund von political correctness totgeschwiegen wurden. Ob die Ressentiments gegen bestimmte Einwanderergruppen und Arbeitslosengeld-II-Empfänger nötig waren, kann offen bleiben, denn sie (die Betroffenen) wird dieses Buch nicht erreichen, um Veränderungen mit ihnen durchzuführen. Und das ist bedauerlich.
Edit:Rechtschreibung.