Hörspiel
Regie: Leonhard Koppelmann
Musiker: Jürgen Seefelder, Jürgen Schwab, Günter Lenz
Kurzbeschreibung:
Wer unsere Zeit verstehen will, muss ihre Wurzeln kennen: Die Menschen versuchen, sich mit den schwierigen Gegebenheiten im Nachkriegsdeutschland zu arrangieren. Die Stimmen von Ulrich Noethen, Werner Wölbern, Jens Harzer und vielen anderen lassen diese Zeit zwischen Trümmern, unverbesserlichen Nazis, Wiederbewaffnung und Wirtschaftsboom wiedererstehen. Hörspielbearbeiter und Regisseure Leonhard Koppelmann ( Wassermusik, Doktor Faustus ) und Walter Adler ( Der Krieg geht zu Ende, Orientzyklus, Otherland ) vereinen kaleidoskopartig die einzelnen, sich immer wieder kreuzenden Schicksale und erschaffen einen akustischen Spiegel jener Jahre.
Über den Autor:
1906 als uneheliches Kind in Greifswald geboren, schlug Wolfgang Koeppen sich in der Weimarer Zeit als Platzanweiser, Eisverkäufer, Schiffskoch und Dramaturgievolontär in Würzburg durch, ehe er im Berlin der späten zwanziger und frühen dreißiger Jahre eine Heimat fand, vor allem in jenem 'Romanischen Cafe', das er später in einem seiner eindrucksvollsten Prosastücke festgehalten hat. Schon damals musste ihn sein Verleger, Bruno Cassirer, förmlich einsperren, damit er ein Werk zu Ende schrieb. Als sein Romandebüt 'Eine unglückliche Liebe' 1934 erschien, lebte er bereits in Holland. 1938 kehrte er wieder nach Deutschland zurück und hielt sich mit dem Schreiben von Drehbüchern für die Ufa bis Kriegsende über Wasser. In der Nachkriegszeit blieb Koeppen ein Außenseiter, der mit seinem Werk an die Tradition der klassischen Moderne anknüpfte. Kurz vor seinem 90. Geburtstag starb Wolfgang Koeppen am 15.3.1996 in München. 1962 wurde der Autor mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet.
Sprecher
Erzähler: Jens Harzer, Imogen Kogge, Leslie Malton, Felix von Manteuffel, Ulrich Noethen, Timothy Peach, Walter Renneisen, Siemen Rühaak, Markus Scheumann, Renate Schroeter, Regine Vergeen, Werner Wölbern, Andrea Wolf
Philipp: Martin Feifel
Emilia: Sascha Icks
Odysseus: Oscar Pearson
Josef: Axel Eichenberg
Susanne: Susanne Böwe
Washington Price: Calvin E. Burke
Carla: Christiane Roßbach
Tante Behrend: Irm Hermann
Christopher: Wolfram Koch
Ezra: Moritz Pliquet
Heinz: Marian Funk
Richard: Tom Zahner
Mr. Edwin: Berthold Toetzke
u. a.
Meine Meinung:
Ich habe nur „Tauben im Gras“ gehört und bespreche nur dieses Hörspiel.
Auf der verlinkten CD befinden sich noch 2 weitere Hörbücher. (Das Treibhaus, Der Tod in Rom)
Durch eine Vielzahl von Sprechern, die entweder Rollen übernehmen oder eine der Erzählerstimmen, erreicht das Hörbuch die erforderliche Vielstimmigkeit, die die Buchvorlage erfordert.
Da im Prinzip alle Sprecher herausragende Leistungen abliefern, verbietet es sich einen besonders herauszustellen.
Hinzu kommen gelungene musikalische Einspielungen, meist jazziger Art, die zwischen oder hinter den Monologen viel Atmosphäre erzeugen.
Das Hörbuch besteht aus vielen kurzen Szenen mit verschiedenen Protagonisten, die teilweise miteinander verknüpft sind, teilweise aber auch unabhängig voneinander sind und bleiben. Trotzdem werden kleine Geschichten von einem einzigen Tag erzählt.
Es gibt viele beeindruckende Szenen, die durch die Protagonisten und ihre inneren Gedanken bestimmt werden, wie z.B.
Der frustrierte Schriftsteller Philip im Schreibmaschinengeschäft, als er vor seiner eigene Stimme erschrickt. Philip ist sicher ein alter Ego seines Schöpfers.
Seine Frau Emelia, die sich mit Alkohol und Selbstbefriedigung durch den Tag treiben lässt.
Das Gegenstück zu Philip ist der erfolgreiche Schriftsteller Edwin.
Die Lehrerin Kay ist Fan, fast schon Groupie der Schriftsteller.
Es gibt weitere wichtige Figuren:
Der schwarze Washington Price, der mit einer positiven Zukunft mit der deutschen Carla träumt. Doch ob sie, die von ihm schwanger ist, ihn wirklich liebt? Eine Liebe zwischen schwarz und weiß ist schwierig, doch sie wollen nach Frankreich gehen.
Carla hat auch noch einen Sohn, Heinz.
Kraftvoll ist der schwarze Soldat Odysseus, der beim Würfelspiel gewinnt, wobei er aber auch ein rassistisches Schild in seiner Heimatstadt denken muss, Als ihm später von Susanna sein Geld gestohlen wird, kommt es zu körperliche Auseinandersetzungen. Schließlich tötet er den alten Josef, den er für den Dieb hält, im Affekt.
Auffällig ist Christopher Gallaghers Telefongespräch mit der jüdischen Schauspielerin Henrietta. Henrietta erinnert sich an die ersten Diskriminierungen der Juden in Berlin und dem Abtransport ihres Vaters. Jetzt lebt sie in Paris.
Und noch viele andere, die ich aus Platzgründen hier nicht mehr anführe.
Es gibt auch Sätze, die mir nicht so gefallen, z.B. „Der Tag war müde“, um in der Szene eigentlich zu sagen, Carla war müde.
In der Gesamtheit entsteht ein Bild des Nachkriegsdeutschlands.
Durch das sorgfältige Lesen aller Beteiligten entsteht eine Stimmung. Die Rollen werden von den Sprechern als Schauspieler gesprochen, die so die Figuren mit Leben erfüllen. Die Erzählerstimmen sind neutral, werden aber ebenfalls großartig gesprochen. Es gibt immer einen schnellen Wechsel zwischen Rollen- und Erzählerstimmen. Das erzeugt trotz der vielen verschiedenen, unabhängig voneinander handelnden Szenen, für ein Gesamtbild.
Fazit: Tauben im Gras ist kein leicht zugängliches Buch und literarisch auch umstritten, aber als so geschickt gestaltetes Hörbuch funktioniert es gut!
Hier geht es übrigens zu den Büchereulen-Rezensionen der Buchausgabe: Wolfgang Koeppen: Tauben im Gras