Was muss man beachten wenn man einen historischen Roman schreiben will??

  • Hallo büchergirl90,


    ich kann Dir zwar nur mit meiner Meinung als Leser historischer Romane dienen, aber vielleicht hilft Dir das ja auch weiter.


    Zunächst einmal würde ich voraussetzen, dass der Autor das historische Umfeld, in dem er seine Geschichte ansiedelt, recherchiert hat und dieses wiedergibt, so gut es ihm möglich ist. (Insofern würde ich so genannte "Nackenbeißer" nicht in das Genre "Historische Romane oder Liebesromane", sondern grundsätzlich unter "Historical Fantasy" einordnen.)


    Dann lege ich Wert auf eine passende Sprache. Zu früheren Zeiten wurde nicht mit dem heutigem Selbstverständnis geduzt, sondern häufig geihrzt, was leider viele Romane - oder zumindest deren Übersetzungen - sträflich vernachlässigen.


    Dann ist es wichtig, dass die Figuren sich entsprechend ihrer Zeit verhalten. Toughe Frauen gab es sicher zu allen Zeiten, waren aber sicher eine absolute Ausnahme. Auch hier empfiehlt sich eine gründliche Recherche.


    Natürlich sollte auch die Handlung irgendeinen Bezug zum geschichtlichen Hintergrund haben und nicht wahllos in irgendeine Zeit versetzt werden, weil diese so gut gefällt oder man z.B. unbedingt eine Geschichte im viktorianischen England ansiedeln möchte, obwohl Handlung und Figuren besser in den nahen Osten der Gegenwart passen.


    Ein vollkommen authentisches Bild von Zeit und Menschen einer anderen Epoche wird kaum wiederzugeben sein, wenn aus dieser Zeit keine Film- oder Tonaufnahmen existieren; aber das erwarten auch die Wenigsten.


    Kurzum: Für mich steht und fällt ein guter historischer Roman mit der überzeugenden Wiedergabe der jeweils gewählten Vergangenheit und der agierenden Figuren. Eine gute Recherche und Kenntnis der historischen Kulisse ist deshalb wohl unerlässlich, ein passender Stil die halbe Miete. Kommt noch eine packende/berührende Story dazu, dürfte am Ende etwas Brauchbares herauskommen.


    Ich würde empfehlen, dass Du Dir ein paar wirklich gute historische Romane wie etwa "Vom Winde verweht", "Die Geliebte des französischen Leutnants", "Der menschliche Dämon" oder "Sinuhe, der Ägypter" zu Gemüte führst und versuchst zu analysieren, was genau diese Bücher so gut und überzeugend macht.
    Daran merkst Du vielleicht am besten, worauf es ankommt.

    :flowersIf you don't succeed at first - try, try again.



    “I wasn't born a fool. It took work to get this way.”
    (Danny Kaye) :flowers

  • Man sollte unbedingt zunächst definieren, was man unter "historischer Roman" versteht. Es gibt - sehr viele - "historisierende" Unterhaltungsromane, letztlich Geschichtsfantasy. Und es gibt historische Romane, die diese Kategorisierung wirklich verdienen.

  • Sauber recherchieren! Wenn man z.B. von Gegenständen schreibt, die es zur damaligen Zeit noch gar nicht gab, wird das unter Garantie einigen bis vielen Lesern auffallen. Und die fühlen sich dann zu Recht verschaukelt bzw. begeben sich fortan auf Fehlersuche, statt der Handlung zu folgen.

    Und was die Autofahrer denken,
    das würd’ die Marder furchtbar kränken.
    Ingo Baumgartner

  • Neben den geschichtlichen Sachen finde ich vor allem die Kleinigkeiten sehr wichtig:
    d.h. welche Gegenstände waren zu dieser Zeit schon erfunden?
    Durch welche Tätigkeiten war der Alltag bestimmt?
    Welche Kleidung trug man? Hygiene? Textilien?
    Ernährung? Umgang mit Tieren?
    Wie prägten Religionen das Geschehen?
    Welche Probleme beschäftigten die Menschen? (egal, aus welcher Schicht).
    Was ist mit Politik? Welche Gesetze gab es?
    Wichtig ist auch die Geografie, Größe von Städten, Natur, Reise-und Handelswege.


    Und, wie oben schon erwähnt, welchen Stand hatten Frauen, Kinder, alte Menschen, Behinderte?

    Im Moment wird gelesen:


    Simon Beckett - The Calling of the Grave :lesend
    Meinung: :yikes

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  • ...dazu eine kaufmännische Anmerkung:


    ...man sollte sich genau überlegen, in welchem Zeitalter der Roman spielt. Warum?


    Eine Schülerin von mir hat nach jahrelanger Arbeit einen prächtigen Roman fertiggestellt.


    Bei der Verlagssuche, bei der ich half, wurde der Frust immer größer.
    Wir mussten feststellen, das die Verlage unisono auf absehbare Zeit keine historischen Romane wollen, die vor dem 18. Jh spielen.


    Was da immermal wieder auftaucht, wird von Stammautoren besetzt.


    Das nur mal als technische Anmerkung, bevor man sich an die Arbeit macht.


    euer hef

  • Ohen Hef schon wieder widersprechen zu wollen (sorry, Hef!) aber diesen Punkt würde ich außen vor lassen.
    Zuerst mal sollte man zumindest einen Erstling nicht danach schreiben, was der Verlag (den man vielleicht doch nie erreicht) möglicherweise haben oder nicht haben will.
    Als Anfänger sollte man erstmal das schreiben, was erzählt werden will, das ist für den Start schon schwierig genug.


    Vermutlich schreibt man einen historischen Roman auch nicht "mal eben" in ein paar Monaten runter (daher wäre das nix für mich). Lass inkl. umfangreicher Recherche mal mind. ein oder zwei Jahre vergehen bis das Ding fertig für den Verlag ist - dann nochmal etwa ein Jahr Vorlaufzeit.
    Was die Verlage 2013 wollen wissen wir heute noch nicht. Vielleicht macht der Steinzeit-Krimi da gerade einen gewaltigen Boom ;-)
    Vielleicht sind Neuzeit-Romane dann einfach für eine Weile "voll".
    Es gibt immer nur so Ahnungen, wohin der Trend in den einzelnen Genre und Subgenre geht. Indem man denkt zu wissen, was die Verlage wollen, tut man sich einen in die Tasche. Außer sie sagen es dir, weil sie etwas von dir verlegen wollen, aber mit deiner Wahl nicht glücklich sind.

  • Ich kann dir kurz aufzeigen, was ich alles beachtet habe, als ich in diesem Segment schrieb (bzw. noch schreibe) ... in bunter Reihenfolge und ohne Anspruch auf Vollständigkeit. ;-)


    - Sprache
    - Mode
    - gesellschaftliche Strukturen
    - Örtlichkeiten und Fortbewegungsmittel
    - Berufe, Handwerk, Zahlungsmittel
    - Essen, Trinken, Manieren
    - Religion und deren Ausübung, Aberglaube
    - Sitte und Anstand
    - Erfindungen, Entdeckungen
    - Heilmittel und Verfahren
    - Krankheiten
    - Kriege, Eroberungen, Naturkatastrophen
    - Herrscher, Titel, Erbfolge


    etc., etc.


    In dem Genre muss man eine Menge Vorarbeit leisten ... macht aber auch Spass!

  • Wichtig ist, nichts als gegeben anzunehmen. Du fängst bei Null an und musst Dir alles erarbeiten. D.h. wenn Du irgendetwas erwähnst, musst Du sichergehen, ob es das damals tatsächlich schon gab. Selbst bei Tieren oder Pflanzen kannst Du nicht sicher sein (ich meine jetzt nicht nur die berühmte Kartoffel oder den Kaffee), ob die hier vor ein paar hundert Jahren schon heimisch waren. Auf der anderen Seite ist natürlich auch vieles verschwunden, was es früher gab. (Die Wölfe hat es hier z.B. nicht nur im Märchen gegeben.)
    Am Allerwichtigsten ist es m.E., dass man Lust am Detektivspielen hat, daran, wirklich jedes kleine Detail zu überprüfen.
    Der Gewinn bei der Recherchiererei besteht andererseits darin, durch das, was man so nebenbei findet, ohne es gesucht zu haben, wieder auf wunderbare neue Ideen zu kommen.

  • Bestimmte Redewendungen, die einem mal schnell über die Tasten fließen und in einem historischen Plot dann sehr seltsam wirken. Da kann die Heldin noch so kess und für ihre Zeit auch emanzipiert sein, doch im 18. Jahrhundert sagte man nicht: "Aber hey, was solls? Machen wir es eben auf diese Weise."


    Besonders wenn man sich vorher in zeitgenössischen Plots bewegt hat, muss man höllisch aufpassen, wenn man sich gerade im Schreibfluss befindet. Anderseits ist es schon schön, wenn man sich nun mal etwas "gediegen" ausdrücken kann. Es entstehen mitunter schöne Wortspiele aus alten, leicht angestaubten Aussagen, die auf einmal wieder ihren Platz finden.


    Zitat

    "Wäre es mir gestattet, Beinkleider zu tragen, würde ich es begrüßen.“


    Margots Liste finde ich übrigens sehr ausführlich und ja, die Recherche hat es in sich, auch wenn es ein Fantasyroman vor historischem Hintergrund werden soll, sollte man schon wissen, welcher König zur gewählten Zeit herrschte.


    Herzlichst
    Helene :wave

  • Zitat

    Da kann die Heldin noch so kess und für ihre Zeit auch emanzipiert sein, doch im 18. Jahrhundert sagte man nicht: "Aber hey, was solls? Machen wir es eben auf diese Weise."


    Solche Dinge tauchen aber immer wieder in historischen Romanen auf. Wahrscheinlich, weil viele Redewendungen uns so vertraut erscheinen, dass wir uns gar nicht vorstellen können, dass man sie vor hundert Jahren noch nicht verwendet hat. Die alltägliche Aussage "In Ordnung" hätte z.B. im 19. Jahrhundert niemand gebraucht.


    Goldene Regel: Fernhalten von saloppen Ausdrücken oder "cooler Sprache". Die meisten Menschen in früheren Zeiten haben sich sowohl umständlicher als auch gewählter ausgedrückt oder aber sehr einfach.


    Und wie eingangs schon gesagt wurde: Vieles wird mit dem Label "Historischer Roman" versehen, die Gewichtung von Historie kann jedoch sehr unterschiedlich ausfallen. Daher wäre es gut zu wissen, büchergirl90, in welche Richtung Du gehen willst, um genauer darauf eingehen zu können.

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