Kurzbeschreibung:
Seit zwei Monaten treffen sich der Bauarbeiter José María und das Hausmädchen Rosa heimlich in einem Hotel in Buenos Aires, um sich zu lieben. Als Rosas Dienstherren in Urlaub fahren, lädt sie ihren Freund in die Villa ein, doch dann kehrt die Herrschaft früher als erwartet zurück. José María verschwindet fluchtartig, hat tatsächlich aber das Haus nie verlassen - aus gutem Grund: Er wird verdächtigt, seinen Vorarbeiter ermordet zu haben und muss sich verstecken. Während Rosa aus Sorge um ihn fast verzweifelt, nistet José María sich in einem ungenutzten Mansardenzimmer der Villa ein. Bei seinen nächtlichen Ausflügen in die bewohnten Teile des Hauses beobachtet er, was Rosa in der Villa alles über sich ergehen lassen muss. Und er kann nicht tatenlos zusehen...
Über den Autor:
Sergio Bizzio, 1956 im argentinischen Villa Ramallo geboren, begann seine Karriere als Drehbuchautor und Filmregisseur und arbeitet seit Ende der achtziger Jahre auch als Schriftsteller. Für sein Filmschaffen wurde er mehrfach mit Preisen ausgezeichnet, für Animalada erhielt er den Regiepreis des Nationalen Filminstituts in Argentinien und den Preis für den besten ausländischen Film, beim Latin American Cinema Festival of New York. Sein Roman Stille Wut erschien 2004, wurde mit dem Premio Internacional de Novela de la Diversidad und dem Premio La Mar de Letras ausgezeichnet und machte den Autor international bekannt. Sergio Bizzio lebt heute in Buenos Aires.
Meine Meinung:
Als Erstes fiel ihm auf, wie deutlich die Geräusche von der Straße im Haus zu vernehmen waren; zu bestimmten Zeiten in der Nacht konnte man sogar die Krallen der Hundepfoten über den Bürgersteig schaben hören. Je mehr er das Innere des Hauses erkundete, desto mehr war er von dessen Größe überrascht. Von außen war es ihm viel kleiner vorgekommen, ganz einfach weil man es dort mit einem Blick erfassen konnte, was von innen unmöglich war.
Stille Wut von Sergio Bizzio ist eines dieser Bücher, die man am frühen Abend beginnt, um dann Stunden später verwundert festzustellen, dass es a) schon Mitternacht ist und b) man schon über die Hälfte gelesen hat. Der präzise, knappe Stil des Autors saugt einen regelrecht in die Geschichte hinein, die für mich wie ein Kammerspiel anmutet. Der Großteil der Handlung spielt in der weitläufigen Villa der Blinders, bei denen Rosa als Hausmädchen angestellt ist. Die Villa, in der sich José María über Jahre hinweg versteckt, in der er zum "Hausgeist" wird, der unsichtbar das Leben der Bewohner und vor allem das seiner Liebsten, Rosa, beobachtet. Er ist ihr nah, vielleicht näher als er es in den zwei Monaten vor seinem "Verschwinden", vor seinem Abtauchen in der Villa, je gewesen ist: Hatte er sich schon an jenem Tag im Supermarkt in Rosa verliebt? Oder war das erst später mit seinem Einzug in die Villa geschehen, im Geheimen, als er nicht mehr mit ihr zusammen sein konnte?
Als Hausgeist muss José María zu anfangs machtlos mitansehen, was Rosa im Innern der Villa passiert, doch irgendwann ist seine Wut so groß, dass er handelt und die Liebste rächt. Bizzio belässt es aber nicht dabei. Obwohl José María und Rosa die meiste Zeit des Romans über getrennt voneinander leben, bleiben sie miteinander in Kontakt, durchläuft ihre Liebe verschiedene Stadien von (nichtkörperlicher) Intimität und Entfremdung. Und beide werden sie in dieser Liebe Opfer und Täter, verletzen und demütigen sie sich. Mal wissentlich, mal unwissentlich.
Obwohl man nur wenig über die Figuren und ihr Leben vor Beginn der Geschichte erfährt, hatte ich zu keiner Zeit Probleme, ihnen in ihren Handlungen und Entwicklungen zu folgen. Konsequenterweise erzählt Bizzio diese Geschichte mit einer dezenten auktorialen Erzählperspektive, die wiederum als Beobachter über dem, die Bewohner der Villa beobachtenden, "Hausgeist" José María schwebt. Und genauso konsequent wird diese dezente auktoriale Erzählperspektive gegen Ende des Buches zu einer personalen Erzählperspektive, dann, wenn der "Hausgeist" nicht mehr über allem schwebt.
Bizzio erzählt die Geschichte mit hohem Tempo, springt manchmal Wochen oder Monate vor und baut die die wichtigsten Ereignisse dieser ausgelassenen Zeit geschickt in den Vorwärtsfluss der Handlung ein, was die Zuspitzung der Ereignis noch unterstützt. Einzig das Ende ging mir persönlich dann aber zu schnell und abrupt über die Bühne. Da hätte ich mir etwas weniger Tempo gewünscht.
Alles in allem war Stille Wut für mich aber ein sehr packendes Lesevergnügen!
Liebe Grüße
Lille
Edit: Rechtschreibfehler