Vom Atmen unter Wasser - Lisa-Marie Dickreiter - Diskussionsthread (Spoiler möglich)

  • Jetzt habe ich mit diesem Roman begonnen. Fängt sehr vielversprechend an!


    Ich mag den Anfang. Kann man da von Prolog sprechen?
    Fast hätte der 7jährige Simon es geschafft, seine kleine Schwester loszuwerden. Der Plan war nicht schlecht. :grin


    Dann ist man schon schnell 17 Jahre später und begegnet einer schwer angeschlagenen Familie.
    Hervorragend, wie die Figuren nach und nach eingeführt werden. Die Kapitel tragen als Überschrift immer den Namen der Person, die in diesem Abschnitt im Mittelpunkt steht. Gut gemacht ist auch das Zusammenspiel von Dialog und Gedanken, die einen guten Einblick in das Innere der Protagonisten erlaubt.


    Thematisch werde ich ein wenig an Wir vier – Andreas Schäfer erinnert, die Beschreibung der Stimmung ist auch mit "Alle, alle lieben dich" von Stewart O'Nan vergleichbar.


    Buechereulen-Rezension:
    Lisa Marie Dickreiter - Vom Atmen unter Wasser


    Kurzbeschreibung
    Die Bergmanns waren eine ganz normale Familie. Bis Sarah, die sechzehnjährige Tochter, eines Abends auf dem Nachhauseweg ermordet wird. Jetzt, ein Jahr später, ist der Gerichtsprozess vorbei, der Täter verurteilt. Doch was geschieht mit denen, die zurückbleiben, die mit ihrem Leben nicht einfach weitermachen können? Vom Atmen unter Wasser erzählt vom Versuch einer Familie, mit ihrer Trauer umzugehen. Als die Mutter am ersten Jahrestag von Sarahs Ermordung einen Suizidversuch unternimmt, bittet der Vater den Sohn um Hilfe. Ausgerechnet Simon, der Zeit seines Lebens im Schatten der jüngeren Schwester stand, soll nun die Balance der Familie wiederherstellen. Und tatsächlich: Es gelingt ihm, seine Mutter in ihrem Kokon aus Trauer und Wut zu erreichen - doch dabei gerät er an seine Grenzen und droht sich selbst zu verlieren.


    Über die Autorin laut Verlag:
    1978 in Furth im Wald geboren, studierte an der Filmakademie in Ludwigsburg Drehbuch. Sie erhielt diverse Stipendien und Preise für ihr literarisches Schaffen. „Vom Atmen unter Wasser“ ist Dickreiters erster Roman. Ihr gleichnamiges Drehbuch wurde 2008 mit Andrea Sawatzki, Adrian Topol und Thorsten Merten verfilmt. Lisa-Marie Dickreiter lebt in Berlin.


    www.lisamariedickreiter.de

  • Oh, Herr Palomar, diesen Post habe ich jetzt erst gesehen...


    Zitat

    Original von Herr Palomar
    Jetzt habe ich mit diesem Roman begonnen. Fängt sehr vielversprechend an!


    Vielen Dank, das freut mich sehr! :-)


    Zitat

    Original von Herr PalomarIch mag den Anfang. Kann man da von Prolog sprechen?


    Ja, für mich ist das erste Simon Kapitel ein klassischer Prolog. So hatte ich ihn im MS auch überschrieben. Die anderen Kapitel hatten da auch noch die Überschrift: Kapitel 1 - und dann in der Zeile darunter den jeweiligen Namen der Perspektivfigur. Meine Lektorin hatte dann aber die Idee, nur die Namen der Perspektivfiguren als Kapitelüberschriften zu nehmen, was mir sofort viel besser gefallen hat. Deswegen ist auch das "Prolog" geflogen.


    Zitat

    Original von Herr PalomarIch mag den Anfang. Kann man da von Prolog sprechen?
    Fast hätte der 7jährige Simon es geschafft, seine kleine Schwester loszuwerden. Der Plan war nicht schlecht. :grin


    Ich bin die Älteste von drei Geschwistern und kann Simon da gut verstehen ;-)


    Zitat

    Original von Herr PalomarDann ist man schon schnell 17 Jahre später und begegnet einer schwer angeschlagenen Familie.
    Hervorragend, wie die Figuren nach und nach eingeführt werden. Gut gemacht ist auch das Zusammenspiel von Dialog und Gedanken, die einen guten Einblick in das Innere der Protagonisten erlaubt.


    Vielen Dank! Freu :-)


    Liebe Grüße :wave
    Lille
    Edit: Rechtschreibfehler korrigiert

  • Dem Leser wird durch die Einteilung der Kapitel ein guter Einblick in die Gedankenwelt der Protagonisten Simon, Anne und Jo gewährt. Gleichzeitig geben die Protagonisten dabei auch einen Blick auf die anderen, das finde ich sehr überzeugend.


    Besonders intensiv sind die Momente um Anne, die psychatrische Hilfe in Anspruch nehmen muss. Um sie gibt es bemerkenswerte Stellen, z.B. die Weinanfälle, die Antwort c auf Seite 61, ihre Laufen (Seite 70) und ihr nicht locker lassen in der Trauer. Die anderen Familienmitglieder haben es natürlich auch schwer, da sie zusätzlich die Sorge um Anne haben.


    Die drei gehen unterschiedlich mit der Situation des Verlustes um. Ich kann auch mit Simon mitfühlen, selbst mit Jo, der sich umso mehr als Sozialhelfer einsetzt. Er ist hilflos in der eigenen Familiensituation, aber nicht bei den drogenabhängigen Mädchen Netty, dass er betreut.


    Ich halte die ganzen Szenen für sehr glaubwürdig, auch wenn ich das Glück hatte, so eine Situation noch nicht mitmachen zu müssen.
    Ich glaube, dass eine so sinnlose Gewalttat, die Angehörigen noch viel mehr erschüttert und traumatisiert, als das bei einem Tod durch Krankheit oder Unfall der Fall wäre.

  • Herr Palomar
    Ich habe kurz nach "Vom Atmen unter Wasser" das Buch von Andreas Schäfer gelesen und beide haben mich gleichmaßen erschüttert und gezeigt wie unterschiedlich die Protagonisten mit diesem schrecklichen Ereignis versuchen umzugehen.


    Du erwähnst noch Stewart O´Nan. Dieses Buch habe ich seinerzeit abgebrochen, weil mich der Autor, im Gegensatz zu Dickreiter und Schäfer, nicht erreicht hat.

    Herzlichst, FrauWilli
    ___________________________________________________
    Ich habe mich entschieden glücklich zu sein, das ist besser für die Gesundheit. - Voltaire

  • "Vom Atmen unter Wasser" habe ich mir schon in die Suchaufträge geschrieben - echt tödlich, so ein Bücherforum :cry



    :wave

    Jeder trägt die Vergangenheit in sich eingeschlossen wie die Seiten eines Buches, das er auswendig kennt und von dem seine Freunde nur den Titel lesen können.
    Virginia Woolf

  • Zitat

    Original von FrauWilli
    Herr Palomar
    Ich habe kurz nach "Vom Atmen unter Wasser" das Buch von Andreas Schäfer gelesen und beide haben mich gleichmaßen erschüttert und gezeigt wie unterschiedlich die Protagonisten mit diesem schrecklichen Ereignis versuchen umzugehen.


    Du erwähnst noch Stewart O´Nan. Dieses Buch habe ich seinerzeit abgebrochen, weil mich der Autor, im Gegensatz zu Dickreiter und Schäfer, nicht erreicht hat.


    Ich finde, auch stilistisch kann man die Bücher von Lisa-Marie Dickreiter und Andreas Schäfer vergleichen (in Grenzen natürlich), aber Stewart O´Nan besitzt schon einen ganz andern Stil. Vielleicht liegt es daran, dass er Amerikaner ist.


    Es gibt auch noch einen Haufen anderer Bücher über Trauer aufgrund eines Mordes eiens Familienmitglieds, z.B. In meinem Himmel von Alice Sebald. Das ist stilistisch auch beeindruckend, hat mich aber vergleichsweise kalt gelassen. Andere weniger bekannte Bücher des Themas kommen mit Betroffenheit, das funktioniert nicht so gut.

  • Ich kann jetzt nur "Alle, alle lieben dich" und "Vom Atmen unter Wasser vergleichen", die beiden anderen genannten Bücher kenne ich leider nicht.


    Das Thema ist zwar verwandt, aber "Alle, alle lieben dich" habe ich abgebrochen, weil ich einfach keinen Zugang fand und "Vom Atmen..." habe ich voller Interesse zu Ende gelesen.
    Der Schreibstil der Autorin sagte mir eher zu.

  • Ich glaube, ein ganz wesentlicher Unterschied zwischen den beiden Bücher ist, dass es bei Stewart O´Nans Buch sehr ruhig zugeht und ein großer Zeitraum behandelt wird, während sich bei "Von Atmen unter Wasser" in kurzer Zeit viel abspielt, das betrifft die innerlichen Gefühlsregungen ebenso wie die äußeren Handlungen und Reaktionen der Beteiligten. Das Tempo des Buches ist gut.

  • Zitat

    Original von Lille
    Ihr Lieben,
    ich freue mich riesig, dass ihr euch hier über mein Buch austauscht - weiß aber nicht, ob ich als Autorin lieber die Klappe halten soll oder ob es für euch in Ordnung ist, wenn ich ab und zu einen Kommentar einwerfe ?(


    Gebt mir doch einen Wink, ja?


    Liebe Grüße
    Lille :wave


    Jeder Kommentar ist Willkommen! :-)

  • Zitat

    Original von Herr Palomar
    Ich hatte immer den Eindruck, der Roman wäre in der Ich-Form geschrieben, aber tatsächlich ist es nicht so.


    Dieser erstaunliche Effekt kommt wohl, weil man beim Lesen so tief im Kopf der Figuren drinsteckt. :wow


    Lieber Herr Palomar,
    dass du diesen Eindruck hattest, freut mich sehr! :-] Mir war es sehr wichtig, den Leser ganz tief in die Figuren "hineinzuziehen", um die Intensität dieser Ausnahmesituation zu vermitteln. Begonnen habe ich das MS allerdings mit 3 Ich-Erzählern, aber nach 100 Seiten wurde deutlich, dass die 3 dauernd dabei sind, sich und ihr Handeln zu rechtfertigen. Das hat für mich überhaupt nicht funktioniert. Behalten wollte ich aber die Nähe zum Leser, die durch die Kombination Ich+Präsens sehr stark ist. Deswegen habe ich mich dann für eine sehr nahe personale Erzählperspektve entschieden, die aus drei Figurenperspektiven erzählt. Ich bin also den Figuren so nah auf die Pelle gerückt, wie es die personale Erzählperspektive erlaubt und habe darauf geachtet, alle sprachlichen Stilmittel, die Distanz erzeugen, zu vermeiden.


    Liebe Grüße :wave


    Lille

  • Zitat

    Original von Roma
    Das Thema ist zwar verwandt, aber "Alle, alle lieben dich" habe ich abgebrochen, weil ich einfach keinen Zugang fand und "Vom Atmen..." habe ich voller Interesse zu Ende gelesen.
    Der Schreibstil der Autorin sagte mir eher zu.


    Das dir mein Roman gefallen hat, freut mich sehr, Roma! :wave


    Mir persönlich hat "Alle, alle lieben dich" sehr gefallen. Ich fand es einfach stark, wie Stewart O'Nan die Leere fühlbar gemacht hat, die nach Kims Verschwinden innerhalb der Familie entsteht.


    Liebe Grüße
    Lille

  • Als Frühaufsteher der auch am Wochenende nicht allzu lange ausschlafen kann habe ich heute Morgen mit dem Buch begonnen. Ich liebe es an einem Sonntagmorgen, wenn alles in Haus und die Welt als solches noch am schlafen ist, ein Buch zu lesen. Nur ich und eine grosse Tasse mit heissem dampfenden Kaffee und die Stille. Und genau diese ruhige Morgenstimmung verstärkt den ungeheuer intensiven Eindruck dieser Geschichte. Ich konnte mich voll und ganz auf die Handlung und die Personen einlassen und habe alles konzentriert und ohne Hektik gelesen. Dabei ist mir aufgefallen, dass mein Lesetempo bereits zu Beginn viel langsamer ist als bei anderen Büchern. Nicht weil es kompliziert ist sondern weil ein ruhiges und konzentriertes lesen zu diesem Buch irgendwie dazugehört und der Tragik der Geschichte angepasst ist. Kein Buch zum schnellen weglesen sondern ein Buch bei dem immer wieder kurz innegehalten werden sollte damit sich das Gelesene setzen kann und man sich seine Gedanken machen kann. Ich bin bei Seite 107 angelangt und bin von dieser Buch bis jetzt sehr beeindruckt.

  • Ich hab heute Abend rund eine dreiviertelstunde an meiner Meinungsäusserung rumgewerkelt aber es ist nichts schlaues dabei rausgekommen :cry ich habe geschrieben, gelöscht und umformuliert aber ich konnte meine Gefühle und Meinung nicht wirklich niederschreiben. Was ich geschrieben habe hat nicht dem entsprochen was ich eigentlich schreiben wollte. Ich habe kein Lesetief sondern ein Schreibtief... kann ja mal vorkommen... ich versuchs morgen nochmal.


  • Ich schliesse mich in allem deiner Meinung an.

    Das bedrückendste war, fand ich, dass alle drei ja die Liebe zueinander nicht verloren haben. Sie ist nur verschüttet unter dem Trauma, das jeder für sich allein und anders erlebt und ist vor allem erstickt durch die Sprachlosigkeit, die keiner der drei überwinden kann. Und damit meine ich nicht nur die wörtliche Sprachlosigkeit, sondern auch die Unfähigkeit, sich über körperliche Nähe mitzuteilen.


    Wer einmal so eine entsetzliche Situation (nicht Mord, aber Suizid im engsten Familienkreis) erlebt hat weiss, dass Wärme, eine Umarmung die man zulässt, Mauern einreissen und ein Weg aus der inneren Einsamkeit sein kann, in der jeder der Betroffenen gefangen ist.


    Danke, liebe Lille, für dieses Buch, das mich sehr beeindruckt und sehr nachdenklich zurück gelassen hat.

    lg butterfly49

    "Sapere aude" "Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen."
    (Quintus Horatio Flaccus)

  • Hallo :wave


    Hati und ich beginnen heute/morgen mit diesem Buch. Vielleicht mag sich ja noch jemand anschließen?


    Kurzbeschreibung
    Die Bergmanns waren eine ganz normale Familie. Bis Sarah, die sechzehnjährige Tochter, eines Abends auf dem Nachhauseweg ermordet wird. Jetzt, ein Jahr später, ist der Gerichtsprozess vorbei, der Täter verurteilt. Doch was geschieht mit denen, die zurückbleiben, die mit ihrem Leben nicht einfach weitermachen können? Vom Atmen unter Wasser erzählt vom Versuch einer Familie, mit ihrer Trauer umzugehen. Als die Mutter am ersten Jahrestag von Sarahs Ermordung einen Suizidversuch unternimmt, bittet der Vater den Sohn um Hilfe. Ausgerechnet Simon, der Zeit seines Lebens im Schatten der jüngeren Schwester stand, soll nun die Balance der Familie wiederherstellen. Und tatsächlich: Es gelingt ihm, seine Mutter in ihrem Kokon aus Trauer und Wut zu erreichen - doch dabei gerät er an seine Grenzen und droht sich selbst zu verlieren.