Nacht und Nebel - Ahmet Ümit

  • Originaltitel: Sis ve Gece
    Aus dem Türkischen und mit einem Nachwort von Wolfgang Scharlipp


    Kurzbeschreibung:
    Ein Roman aus dem Innersten des Geheimdienstes: Die Suche nach der verschwundenen Geliebten konfrontiert Sedat mit seiner eigenen Schuld.


    Mine, die heimliche Geliebte des Geheimdienstmitarbeiters Sedat, ist verschwunden. Er selbst hat bei der Aushebung eines Terroristenunterschlupfs kaltblütig auf Fliehende geschossen. Gibt es zwischen diesen beiden Ereignissen einen Zusammenhang? Sedat, der nur knapp einem Attentat entkommen ist, macht sich auf die Suche. Sie führt ihn in Istanbuls Künstlerszene, in die Schattenwelt der Kinderprostitution und Kleinstadtganoven. Kategorien wie »Gut« und »Böse« lösen sich auf. Das herrschende System verliert für Sedat Tag für Tag an Glaubwürdigkeit. Je näher er der Lösung des Falls kommt, desto mehr zerfällt seine Selbstsicherheit. In einem furiosen Finale bricht seine Lebenslüge zusammen.


    Über den Autor:
    Ahmet Ümit, 1960 in Gaziantep im Südosten der Türkei geboren, schloss 1983 das Studium der Verwaltungslehre in Istanbul ab und schrieb im gleichen Jahr seine erste Erzählung. Von 1974 bis 1989 beteiligte er sich an Untergrundaktionen. Von 1989 bis 1998 arbeitete er in einer Werbeagentur.
    Er gilt als der Autor, der für die Türkei den Kriminalroman literaturfähig gemacht hat. Viele seiner Erzählungen wurden verfilmt. Neben Romanen, Gedichten, zahlreichen Kurzgeschichten und einem Märchen schrieb er auch Essays über u. a. Kafka, Dostojewski, Highsmith und Poe.


    Über den Übersetzer:
    Wolfgang Scharlipp (geboren 1947) verbrachte seine Jugendjahre auf verschiedenen Kontinenten, was ihn inspirierte, nach seiner Rückkehr in Deutschland Turkologie, Tibetologie , Indologie sowie Chinesisch zu studieren. Nach seiner Promotion und Habilitation unterrichtete er die Sprach- und Literaturgeschichte der Türken an den Universitäten in Freiburg/Breisgau, Zürich, Nikosia (griechischer Teil) und seit 1997 in Kopenhagen.


    Meine Meinung:
    Vordergründig ist Nacht und Nebel ein realistisch geschilderter, knallharter Kriminalroman. Die Handlung ist in den frühen 80ziger Jahren in der Türkei angesiedelt. Eine junge Frau ist verschwunden, ein Geheimdienstler wird ermordet, ein anderer, Sedat, angeschossen.
    Entscheidend ist die Erzählhaltung. Sedat ist Ermittler beim Geheimdienst und der Ich-Erzähler des Romans. Er ist persönlich involviert in dem Fall, der Ermordete war sein Partner, die Verschwundene seine heimliche Freundin.
    Sedat ging sein Beruf über alles, gegen extremistische Gruppen geht er voller Härte vor, das schließt auch andersdenkende ein. Bei Verhören von Verdächtigen schlägt er brutal zu. (Es wird nicht genau benannt, aber die Vorgehensweise könnte auch Gewalt gegen Linke und gegen Kurden einschließen). Aber langsam ändert sich sein Bewusstsein.
    Auf Seite 257 sagt er zu seinem Kollegen:
    „Aber ich habe mich verändert. Ihr habt mich verändert. Ihr habt mir nicht vertraut. Ihr habt mir die Hände gebunden. Ihr habt mein Vertrauen zerstört.
    Und
    „Ich bin mitschuldig an den Operationen, die von der politischen Polizei durchgeführt wurden...“


    Hauptthema ist staatliche Gewalt und Verstösse gegen die Menschenrechte. Der Roman ist politisch und komplexer als der amerikanisch geprägte, üblicherweise in Deutschland gelesene Kriminalroman.
    Als Kriminalroman ist das Buch ausgezeichnet gelungen. In den Denkprozess Sadets, die seine Zweifel säen, wäre ich als Leser gerne genauer und intensiver eingebunden gewesen. Aber auch so imponiert der Roman durch melancholische Momente und seinen krassen Realismus.