Niemand den du kennst - Michelle Richmond

  • Englischer Originaltitel: No one you know



    Klappentext
    Als Ellie das Notizbuch ihrer toten Schwester findet, kehren die Schatten der Vergangenheit zurück. Zwanzig Jahre ist es her, seit man Lilas Leiche in einem Waldstück bei San Francisco fand. Warum wurde der Fall nie aufgeklärt? War es wirklich nur ein mysteriöser Unfall? Auf ihrer Suche nach Antworten entdeckt Ellie eine Spur, die in eine gefährlich andere Richtung weist…



    Die Autorin
    Michelle Richmond unterrichtet Creative Writing und ist Herausgeberin der Literaturzeitschrift "Fiction Attic". Für "Ein einziger Blick" wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Sie lebt mit ihrer Familie in San Francisco.





    Wie so oft ist auch hier der Klappentext etwas irreleitend und verspricht evtl mehr Thrill als das Buch wirklich liefert.
    Ellie ist inzwischen 38. 20 Jahre liegt der Mord an ihrer Schwester zurück. Er wurde nie aufgeklärt, obwohl es einen Verdächtigen gab. Einer ihrer Lehrer, mit dem sie sich angefreundet hatte und dem sie nach dem Mord viel über sich und ihrer Schwester erzählte, hatte damals ein True Crime Buch aus dem Fall gemacht. Ellie fühlte sich dadurch verraten, verlor den Kontakt, konnte sich aber der Sicht der Dinge, die das Buch vorgab, nicht entziehen.


    Inzwischen arbeitet sie als Kaffeeverkösterin. Auf einer Geschäftsreise nach Nicaragua begegnet sie dem damals Verdächtigen. Er, ein verheirateter Mann, hatte eine Affäre mit ihrer Schwester Lila. Lila war ein Mathematikgenie. Sie arbeitete zielstrebig auf ihre Karriere hin und versuchte gerade, sich einen Namen zu machen durch den Beweis einer ungelösten mathematischen Behauptung. Die Begegnung mit dem vermeintlichen Täter löst in Ellie wieder all die Fragen auf, die sie vergessen zu haben glaubte bzw auf die sie eine Anwort zu haben glaubte. Und so begibt sie sich auf eine Reise zurück in ihrer Geschichte, die in Wirklichkeit noch unverarbeitet in ihr gärt und sie nicht wirklich ihr Leben leben lässt.


    Das Notizbuch, das im Klappentext erwähnt wird, bekommt sie von eben jenem Mann in Nicaragua. Es enthält aber keine Hinweise auf den Mörder sondern nur Berechnungen und Zahlen. Man sollte bei diesem Buch sowieso keine spannungsgeladene Mördersuche erwarten. Michelle Richmond führt uns mehr in das Seelenleben von Ellie und zeigt, was so ein schreckliches Ereignis aus den Hinterbliebenen macht. Ellie hadert mit sich, das die hochbegabte Lila sterben musste, während sie, die Mittelmässige, weiterlebt. Sie sucht den Kontakt zu ihrem frührern Freund, dem Buchautor, und nimmt so wieder alte Fäden auf und löst letztendlich das Rätsel und kann endlich abschließen.


    Richmond erzählt sehr ruhig diese Geschichte. Das Buch ist eine Gratwanderung zur Belletristik. Mit Sicherheit ist es nicht ein Krimi für jeden Geschmack. Die Autorin verschachtelt ihrer Geschichte, fügt viele Einschübe ein, Dinge aus der Vergangenheit mit Lila, oder auch Anekdoten über große Mathematiker, die Lila Ellie erzählte. Scheinbar mühelos webt die Autorin diese Dinge in die Story ein ohne die eigentliche Handlung aus den Augen zu verlieren. Mir gefiel das unheimlich gut, das es immer passte und die Geschichte harmonisch weiterlief. Die ganze Sache um Lila und Ellies Trauer wird sehr einfühlsam erzählt. Da der Mord an Lila im Vordergrund steht und es auch um die Tätersuche geht, empfinde ich das Buch als Thriller, aber vielen Krimilesern wird er gewiss zu ruhig und unspannend sein. Mir persönlich hat die ruhige Erzählweise, die Verschachtelung, die Tiefgründigkeit sehr sehr gut gefallen. Die Auflösung ist dann recht unspektakulär, aber es passt auch. Manchmal ist es halt einfach ein banaler Grund, auch wenn er großes Leid ausgelöst hat. Bei diesem Buch ist der Weg das Ziel.


    Mir jedenfalls hat Michelle Richmonds Stil so gut gefallen, das ich gleich noch ein Buch von ihr geordert habe.

    “Wer kleine Kinder und Hunde nicht mag, kann kein schlechter Mensch sein



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