Sappho - Siegfried Obermeier

  • Kurzinfo des Verlags:


    Platon bezeichnet sie als zehnte Muse im griechischen Götterpanoptikum. Sie gilt als die größte Dichterin des Altertums und Erfinderin der lesbischen Liebe: Sappho, geboren um 615 v. Chr.


    Ihre Kindheit ist außergewöhnlich. Als erste Frau schreibt sie Gedichte, die sie schon bald über die Grenzen von Lesbos hinaus berühmt machen. Zwar heiratet sie einen Händler aus Andros, mit dem sie eine Tochter hat, er setzt sich jedoch schon wenige Jahre später während politischer Unruhen wieder in seine Heimat ab. Mit Kleis, ihrer Tochter, muss Sappho nach Sizilien in die Verbannung, wo sie eine bittersüße Liebe mit einem Zeuspriester erlebt.


    Immer deutlicher wird ihr die eigentliche Bestimmung ihres Lebens: Mädchen eine Ausbildung zu ermöglichen, ihnen Lesen, Schreiben, Rechnen beizubringen, sie auf ihre Aufgaben als Hausfrau vorzubereiten, sie aber auch vor der Hochzeit in die Geheimnisse der Liebe einzuweihen. Zurück auf Lesbos, verwirklicht sie sich diesen Lebenstraum. Es dauert jedoch nicht lange, bis ihre unkonventionellen Lehrmethoden Anstoß erregen …


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    Ein historischer Roman ist ein seltsames Ding: Er ist erfunden und ist es doch nicht. Vor einer historisch belegten Kulisse schreibt er Personen, die es tatsächlich gegeben hat, und Personen, die er hinzuerfindet, ein Leben zu, wie es hätte sein können.


    Als Geschichtsunterricht taugt er nicht, denn der Autor verrät nicht, deutet allenfalls in einem kurzen Nachwort an, welche Teile des Erzählten wahr und welche erdichtet sind. Oder ist es womöglich gleichgültig, ob alles so passiert ist oder nicht? Ist es der Zweck des historischen Romans, geschichtlich Belegtes in leicht verdaulicher Form auch denjenigen zugänglich zu machen, die sonst nichts mit der Historie am Hut haben, auch wenn dabei die Korrektheit des Details geopfert wird?


    An dieser Stelle ist das Coming-out der Rezensentin fällig: Sie ist eine Geschichtsbanausin. Sie kann mit Jahreszahlen, Kriegen und Belagerungen nichts anfangen. So ist sie auch historischen Romanen gegenüber skeptisch und liest lieber eine gute Geschichte ohne weltpolitisch bedeutsame Kulisse. Auf die Belehrung verzichtet sie dabei gern.


    An den Sappho-Roman von Siegfried Obermeier hat die Rezensentin sich gewagt, weil sie sich für die Frau, Liebende und Dichterin Sappho interessierte und weil ihr Siegfried Obermeier als Autor historischer Romane empfohlen worden war. Dass sie dabei auch Geschichtsunterricht in Sachen Lesbos bekam, entlockte ihr in der ersten Hälfte so manches Stirnrunzeln, und das Buch lag einige Monate in der Ecke.


    In der Zwischenzeit entdeckte sie "Lesbos" von Eva Demski. Sie las, wie sehr sich die berühmte Insel dem Zugang der Reisenden entzog, wie viele zweite Blicke, wie viel Hartnäckigkeit notwendig waren, um sich die Schönheiten der Insel und ihrer Stimmungen zu erarbeiten. Wie sehr sich das lohnte. Und sie beschloss, auch "Sappho" eine zweite Chance zu geben.


    Sie las weiter. Und entdeckte eine wunderbare Geschichte einer Frau, die ihrer Zeit in vielem voraus war, vor allem, was die Erziehung und Mündigkeit junger Frauen betraf. Sappho erzählt in diesem Buch ihrer Tochter Kleïs ihre Lebensgeschichte. Sie zeichnet den zeitgeschichtlichen Hintergrund, der ihren Werdegang so sehr geprägt hat - auch die Rezensentin war schliesslich froh, dass sie sich darauf eingelassen hat, Sappho zunächst durch die Wirren der lesbiotischen Adelsherrschaft hindurch zu folgen, um dann so viel besser zu verstehen, wie Sappho in ihrer Familie gelebt haben mag, wie sie dazu gekommen sein mag, in ihrer Schule junge Mädchen auf das Leben als Ehefrau vorzubereiten, wie ihr Wirken als berühmte Verseschmiedin ausgesehen haben mag.


    Vor allem, jedenfalls für lesbische Frauen, die sich auf die Suche nach ihrer eigenen Geschichte machen wollen, zeigt dieses Buch eine unvoreingenommene Interpretation der sagenumwobenen Frauenliebe Sapphos. Es beschreibt, wie es für junge Männer jener Zeit selbstverständlich war, von ihrem erwachsenen "Mentor" auch in sexueller Hinsicht aufs Mannsein vorbereitet zu werden. Wie Sappho den bisher völlig naiv in die Ehe gehenden jungen Frauen auf den Weg zu einer selbstbestimmten Sexualität half. Wie sie zu einigen ihrer Schülerinnen dabei eine ganz besondere Beziehung entwickelte. Wie sie auch Beziehungen zu Männern pflegte, ohne dass ihre Zeit sie gezwungen hätte, ihre "sexuelle Orientierung" zum Thema zu machen und sich in eine Schublade stecken zu lassen. Können wir Lesben Sappho heute als unsere "Urmutter" in Anspruch nehmen? Nein, so leicht macht sie es uns nicht. Wir erinnern uns an Eva Demski: Auf Lesbos gibt es keine einfachen Antworten.


    Das Gleiche gilt natürlich für die Frage, die wir an Siegfried Obermeiers "Sappho" stellen müssen: Ist dies wirklich Sapphos Lebensgeschichte? Nein. Dazu ist viel zu wenig überliefert, viel zu viel an Zeitzeugnissen und Werken verloren gegangen. Dies ist ein historischer Roman, kein Geschichtsbuch. Aber es ist Siegfried Obermeier hervorragend gelungen, das Wenige, was bekannt ist, zu einem schlüssiges Bild zusammenzufügen, das genügend Fragen offen lässt, um plausibel zu bleiben. Und spannend und gut erzählt ist seine Geschichte noch dazu.


    Meine Meinung: Ein Schmöker, der historischen Hintergrund und spannende Lebensgeschichte auf gelungene Weise mischt.

    Surround yourself with human beings, my dear James. They are easier to fight for than principles. (Ian Fleming, Casino Royale)