Zur Autorin:
Isolde Sammer arbeitet seit Jahren erfolgreich als Drehbuchautorin, u.a. für Tatort, Bella Block, Die Kommissarin, Eurocops, Ein Fall für zwei und Der Fahnder. Dies ist ihr erster Roman. Sie lebt mit ihrem Mann in Hamburg.
Inhalt:
Martin sitzt in Untersuchungshaft. Er wird beschuldigt, seinen jüngeren Stiefbruder getötet zu haben, als dieser in einer Scheune einen Jungen vergewaltigt und bestialisch ermordet hat. Martin behauptet, er habe im Affekt gehandelt, da er selbst jahrelang vom eigenen Vater missbraucht wurde. Das Gericht glaubt ihm und spricht ihn frei. Auch das aus problembehafteten Familienverhältnissen stammende Mädchen Tina, das sich nach Zuneigung und Anerkennung sehnt, ist von Martin’s Unschuld überzeugt, sucht seine Nähe und verliebt sich in ihn. Allein seine Stiefmutter Irene hat Zweifel an Martin’s Aussage und dem Tathergang und begibt sich zusammen mit dem ermittelnden Kommissar auf die Suche nach der Wahrheit. Was hat sich tatsächlich in der Scheune ereignet? Was wird Martin nach seiner Freilassung tun? Könnten sogar Tina und ihr kleiner Bruder in Gefahr sein?
Meine Meinung:
Der Roman setzt sich aus 2 Handlungssträngen zusammen. In normaler Erzählform wird das Geschehen um Martin, seine Stiefmutter und den Kommissar geschildert, in Ich-Form verfasst Tina Aufzeichnungen, in denen sie ihre Sichtweise und Gefühlswelt auszudrücken versucht. Der so gestaltete Aufbau erzeugt Spannung und bewirkt, dass man sich inmitten der Ereignisse befindet und die Verhaltensweisen der Hauptfiguren größtenteils nachvollziehen, wenn auch des Öfteren nicht verstehen kann. Die Sprache ist einfach und prägnant, an manchen Stellen vielleicht zu anschaulich. Beim Lesen entsteht eine gewollt beklemmende und beängstigende Atmosphäre.
„Die Stille nach dem Schrei“ ist kein Psychothriller im herkömmlichen Sinne. Es geht nicht darum, den Täter aufzuspüren, denn wer der Täter ist, erkennt der Thriller-Kenner schon recht bald. Die Handlung nimmt ihren vorhersehbaren Lauf, was aber der Dramatik keinen Abbruch tut. Erlebnisse aus Vergangenheit und Gegenwart werden geschickt miteinander verbunden, so dass langsam ein komplettes Bild entsteht. Hinter allem steht in erster Linie die Frage nach dem Warum und Wieso.
Isolde Sammer hat sich eines aktuellen und hochbrisanten Themas angenommen, nämlich das des Kindesmissbrauchs. Sie erstellt nahezu ein Psychogramm eines pädophilen Gewaltverbrechers, durchleuchtet seine Vergangenheit und hinterfragt, wie es zu solch abnormalem Verhalten kommen kann. Zudem schildert sie auf eindringliche Art und Weise die Gefühle und Gedanken der betroffenen Angehörigen, hier die von Irene, die sich intensiv mit der Frage nach ihrer eigenen Schuld beschäftigt. Mit der Person Tina gelingt es der Autorin, eindringlich und anschaulich ein nicht unbekanntes Phänomen darzustellen.
Der Thriller hat mich von Anfang an angesprochen und gefesselt. Große Überraschungen passieren zwar nicht, dafür ist die psychische Komponente der Erzählung beeindruckend und faszinierend. Das Ende ist konsequent und schlüssig, der „Ausblick“ in die Zukunft hat mich allerdings nicht überzeugt. Zudem hat mich im Verlauf des Romans die zum Glück im Keim erstickte Beziehungsgeschichte ein wenig gestört. Positiv hervorzuheben sind die offensichtlich fundierten Recherchen und die umfassende Auseinandersetzung der Autorin mit einem äußerst schwierigen Thema.
Fazit:
Das Buch hinterlässt mich innerlich aufgewühlt und nachdenklich. Die Geschichte ist sicherlich keine Lektüre für dünnhäutige Leser, jedoch sehr aufschlussreich, interessant und mit Tiefgang.
Was den Thriller zu etwas Besonderem macht, sind die gut herausgearbeiteten Charakteren und der vorhandene Bezug zur traurigen und erschreckenden Realität. Man betrachte den Fall Jürgen Bartsch und ähnlich gelagerte Fälle in jüngster Vergangenheit.
Das Erstlingswerk von Isolde Sammer ist meiner Meinung nach geglückt und lässt hoffen auf weitere Veröffentlichungen.