Abschiedswalzer – Milan Kundera

  • Verlag: Carl Hanser
    Gebundene Ausgabe: 241 Seiten
    Originaltitel: Valcik na rozloucenou
    Geschrieben 1972 in Böhmen


    Kurzbeschreibung:
    In einem Kurort umarmen sich acht Personen im Rhythmus eines Walzers, der immer schneller wird …


    In einem böhmischen Kurort begegnen sich acht Personen im Rhythmus eines Walzers, der immer schneller wird: die hübsche Krankenschwester Rosa, die ihren Geliebten mit einer unterstellten Vaterschaft zur Heirat zu zwingen versucht; Klima, der Jazzmusiker, der jedoch seine Frau Kamila liebt, die krankhaft eifersüchtig ist; Franta, Rosas Verehrer und wahrer Vater des Ungeborenen; Dr. Skreta, ein extravaganter Gynäkologe; der reiche Amerikaner Bertlef, der sich aus Angst vor dem Tod der Liebe und der Kunst hingibt; Jakub, ein aus der Haft entlassener politischer Gefangener, der in den Westen aufbricht, und die Patientin Olga, Jakubs Ziehtochter, in die er sich entgegen seiner Absicht verliebt.
    Sie alle suchen in immer neuen - verzweifelten - Paarungen der Aussichtslosigkeit ihrem Leben einen Sinn abzugewinnen


    Über den Autor:
    Milan Kundera, 1929 in Brünn/Tschechoslowakei geboren, ging 1975 ins Exil nach Frankreich, wo er seither lebt und publiziert. Sein Werk wurde in alle Weltsprachen übersetzt und mit zahlreichen internationalen Preisen ausgezeichnet.


    Meine Meinung
    In Filmklassikern gab es schon öfter so einen Reigen, der an einem Ort verschiedene Personen zeigt und wie sie zueinander in Beziehung stehen.
    Kundera macht es in Prosaform genauso und wählt einen tschechischen Kurort in den frühen 70ziger Jahren als Schauplatz. Die Stimmung ist von diesem Ort geprägt.


    Der Roman ist in 5 Teile gehalten, jeder Teil behandelt einen Tag.


    Es beginnt mit Rosa, die im Sanatorium als Schwester arbeitet. Sie ist schwanger vom Trompeter Klima, der aber mit Kamila verheiratet ist. In Rosa verliebt hingegen ist der junge Franta. Dann sind da noch Olga, eine Patentin, Bertlef, ein Geschäftsmann, der skrupellose Gynäkologe Skreta, und als entscheidende Figur Jakub, ein Intellektueller und ein Regimekritiker, der dafür im Gefängnis saß. Er ist mit Skreta und Olga befreundet. Seine gedanklichen Reflexionen unterscheiden sich von der Geradlinigkeit der anderen.


    Es werden die Figuren von einer Innen- und einer Außensicht betrachtet. Das wirkt aufschlussreich für den Leser. Die Figuren sind oft nicht so, wie sie auf die anderen wirken, z.B. wird Klima aufgrund seines Ruhmes als Musiker von den Frauen angehimmelt, aber in Wirklichkeit hat er Angst vor Frauen. Der Doktor Skreta wirkt beruhigend auf die Frauen, in Wirklichkeit handelt er seelenlos und verachtet sie anscheinend. Jakub hingegen wird wie beiläufig vom Opfer zum Täter.


    Manche dieser Personen begegnen sich nur am Rande und beeinflussen doch jeder ein wenig den Walzer des Lebens. Die Geschichte der Personen verflechten sich miteinander.


    Wie von Milan Kundera zu erwarten, besitzt auch dieses Buch neben Komplexität eine Leichtigkeit, das ist seine besondere Qualität und deswegen kann man das relativ kurze Buch gut lesen.

  • In dem Buch „Abschiedswalzer“ werden die Sehnsüchte und Lebenseinstellungen und auch Visionen von sehr unterschiedlichen Menschen dargestellt, die sich alle in einer kleinen, abgeschlossenen Welt, dem Badestädtchen, das Frauen fruchtbar machen soll, treffen und dann wieder trennen. Während der Zeit, die sie alle dort miteinander verbringen, kommt es natürlich zu verschiedenen zwischenmenschlichen Verwicklungen, die mal komisch, mal tragisch, mal ergreifend sind. Jeder Figur kommt gerade so viel Aufmerksamkeit zu, dass man von ihren Hoffnungen und Ängste und Wunschvorstellungen ein gutes Bild erhält.


    Rosa, die in dem Badestädtchen lebt und arbeitet, in dem ein Frauenüberschuss besteht, sodass ihre eigene Jugend und Schönheit unter all den Frauen untergeht und deren größte Angst es ist, hier zu versauern, bevor sie das, was sie sich unter dem richtigen Leben vorstellt, überhaupt gekostet hat. Dem berühmten Trompeter Klima versucht sie deshalb einzureden, dass sie von ihm ein Kind erwartet.


    Dann ist da Bertlef, der wohlhabende Amerikaner, der unter einer schweren Krankheit leidet, das Leben aber als Einziger in vollen Zügen zu genießen scheint. Er ist ein gläubiger Mensch, der die Frauen als Gottes Geschöpfe liebt, nicht nur im übertragenen Sinne. Obwohl er verheiratet ist, wirkt die Liebesnacht, die er mit einer der Figuren verbringt, nicht wie ein Fremdgehen, denn er liebt auch diese ihm fast fremde Frau tatsächlich, er möchte ihr Liebe und Freude schenken. Dieser Bertlef ist ein Mensch, der sich den Genüssen des Lebens voll hingibt, auf die anderen Figuren im Buch übt er eine starke Anziehungskraft aus, auf den Leser ebenso. Es scheint ihn sogar eine Art Heiligkeit zu umgeben.


    Eine weitere sehr interessante Figur ist Jakub. Er kommt, um sich von zwei Personen zu verabschieden, da er das Land für immer verlassen wird. Er hat eine politische Vergangenheit, die ihn verbittert und desillusioniert hat. Er sieht alle Menschen dieses Landes als Feinde, die sofort bereit sind, einen anderen auszuliefern, selbst, wenn sie gar nicht wissen, worum es geht und ob derjenige überhaupt etwas verbrochen hat. Doch dann trifft er in einer sehr kurzen Begegnung auf Kamila, Klimas Ehefrau, und ist von ihrer Schönheit bezaubert. Plötzlich stellt er sein ganzes Leben in Frage:


    „Die Botschaft, die diese Frau ihm überbringt, sagt aber noch etwas mehr. Sie ist gekommen, um ihm im letzten Moment die Schönheit zu verkünden. Ja, die Schönheit, und Jakub wurde fast mit Schrecken klar, dass er eigentlich nie etwas von ihr gewusst, sie übersehen und nie für sie gelebt hatte. Die Schönheit dieser Frau faszinierte ihn. Mit einem Mal hatte er das Gefühl, dass in all seinen Entscheidungen immer ein Fehler gelegen hatte. Dass er einen bestimmten Posten zu berechnen vergessen hatte. Hätte er diese Frau gekannt, schien es ihm, hätte er sich anders entschieden.“


    Noch ein Zitat möchte ich anbringen. In einem Gespräch soll Jakub erklären, warum er keine Kinder haben möchte:


    „‘Ein Kind zu haben, bedeutet absolute Zustimmung zum Menschen. Habe ich ein Kind, ist es, als sagte ich: ich bin geboren worden, habe das Leben gekostet und festgestellt, es ist gut so, dass es verdient, wiederholt zu werden.‘ ‚Und Sie haben das Leben nicht für gut befunden?‘ fragte ihn Bertlef. Jakub versuchte, präzise zu sein und sagte vorsichtig: ‚Ich weiß nur, dass ich nie aus der Tiefe meiner Überzeugung sagen könnte: der Mensch ist ein vorzügliches Geschöpf, und ich möchte ihn wiederholen.‘


    Die Figur des Jakub hat mich besonders angesprochen, seine Traurigkeit und Enttäuschung über sein Land, also dessen Bewohner, berührt den Leser, ebenso seine innere Veränderung, als ihm aufgeht, dass er vielleicht gar nicht anders ist als sie alle und dass er selbst sein Leben ganz anders hätte führen können, dass er sein Land hätte lieben können. Man spürt mit ihm einen großen Verlust, wenn er am Ende aus seiner Heimat hinausfährt.


    Anfangs war ich von dem Roman nicht so ganz angetan, da Kundera wieder sehr konstruiert und distanziert geschrieben hat, aber irgendwie hat er es dann doch geschafft, dass mich die Figuren berührt und überrascht haben. Die Gedanken über Motive von Menschen, über ihre Wünsche und Sehnsüchte, die sie auf ihre Mitmenschen projizieren, wie ein Mensch für einen anderen durch eine einzelne Begebenheit plötzlich ein ganz anderer wird als der, den er vorher in ihm gesehen hat – solche Dinge kann Kundera unglaublich gut beobachten und wiedergeben, sodass ich einiges in diesem Roman angestrichen habe. Deshalb kann ich das Buch auch unbedingt weiterempfehlen, weil es sensibel, intelligent und anregend ist.