Die erstaunlichen G E R Ä T S C H A F T E N des Herrn Orffyreus - Niels Brunse

  • ASIN/ISBN: 3630621198

    Die erstaunlichen Gerätschaften des Herrn Orffyreus von Niels Brunse
    erschien in Dänemark im Jahr 1997 unter dem Titel „Ramoth-Bezer“.


    Die deutschsprachige Ausgabe, übersetzt aus dem Dänischen von Ulrich Sonnenberg, kam 2007 als Taschenbuchausgabe des Verlages Luchterhand heraus.

    Das Cover ziert ein Ausschnitt des Gemäldes „Der Hl. Antonius in Betrachtung“ von Hieronymus Bosch.


    Über den Autor:


    Niels Brunse wurde 1949 in Silkeborg geboren und lebt aktuell mit Frau und Kindern in Kopenhagen.
    „Die erstaunlichen Gerätschaften…“ ist sein erster auf Deutsch erschienener Roman, sein zweiter heißt „Der Meermann“.


    Niels Brunse ist einer der bekanntesten Übersetzer Dänemarks und erhielt für seine Übersetzung der „Buddenbrooks“ 2005 den Preis der Kunststiftung NRW. Er hat in Dänemark bereits über 150 Romane, Erzählungen und Gedichtbände aus dem Englischen, Deutschen und Russischen veröffentlicht.


    Inhalt: (Klappentext):


    Der emeritierte Germanistikprofessor Robert Zahme lebt allein in seinem Kopenhagener Reihenhaus, gefangen von einer bösartigen Krankheit: Sobald er das Haus verlässt, wird er Opfer schrecklicher Panikattacken.
    In seiner Einsamkeit hat er eine Beschäftigung gefunden, die ihm das Eingesperrt-Sein erträglich macht:
    Kurz vor ihrem Unfalltod hat Roberts hochbegabte Lieblingsstudentin Ulla, mit der ihn mehr verband als nur eine akademische Lehrer-Schüler-Beziehung, ein Manuskript aus dem 18. Jahrhundert überlassen, das er aus Andenken an sie ins Reine tippt.


    Ein gewisser Freiherr von Erlenberg erzählt darin, wie er von einer seltsamen, nirgends verzeichneten Stadt in Mecklenburg-Strelitz hörte, in die sich Menschen zum Sterben begeben und aus der noch nie jemand wieder zurückgekehrt sei. Der Freiherr beschließt, diese Stadt zu suchen – und tatsächlich findet er sie.


    Ramoth-Bezer, benannt nach biblischen Orten des Alten Testaments, erweist sich als eine eigenartige Stadt: Geleitet von einem Ratsgremium leben die Menschen in einer vollkommen gleichberechtigten Gemeinschaft ohne jede materielle Not. Jeder ist jedem gleich, jeder gibt, was er kann. Schwere Arbeit wie Holzhacken u. ä. wird von geheimnisvollen Rädern und Wasserkraft erledigt.


    Allerdings hat die Idylle einen Haken: Die Stadt ist von einem hohen Palisadenzaun umgeben und niemand, der sie einmal betreten hat, darf sie je wieder verlassen.


    Robert Zahme ist von dem Manuskript mehr und mehr fasziniert. Vor allem interessiert ihn die Figur des „Orffyreus“, eines Baumeisters und Erfinders der Räder, der das Prinzip des Perpetuum mobile realisiert zu haben scheint. Dem Professor gelingt es nach vielen vergeblichen Versuchen, das Rätsel der geheimnisvollen Kraft zu lösen, und tatsächlich sieht es so aus, als hätte hier jemand zweihundert Jahre vor Einstein die Relativitätstheorie zu einer praktischen Nutzanwendung geführt. Doch bald muss Zahme entdecken, dass er die ganze Zeit auf der falschen Fährte war…


    Meine Meinung:


    Bisher habe ich noch kein Buch gelesen, das von seinem Ende derartig aufgewertet wird, wie dieses Stück skandinavischer Literatur.
    Aber ich will das Pferd nicht von hinten aufzäumen.


    Das Buch beginnt als eine Art Tagebuch, oder besser Berichterstattung des Professors über sein Leben. Als er das Manuskript zugeschickt bekommt, mischen sich seine daraus abgetippten Texteinheiten aus dem Leben des Freiherrs von Erlenberg darunter.
    So liest man abwechselnd bis zum Ende, beide sind jedoch in der Ich-Form geschrieben; Anführungszeichen werden nur eingesetzt, wenn der Text aus dem Manuskript beginnt, bei wörtlicher Rede fehlen sie komplett. Ich erwähne das, weil ich weiß, dass viele Leute mit diesem Schreibstil nicht zurechtkommen.


    Der Anfang, etwas zäh und schwerfällig, geht über in einen schon spannenderen Mittelteil, obwohl spannend vielleicht zu einfach ausgedrückt ist; nennen wir es also „interessant“. Vor technischen Beschreibungen musste ich leider kapitulieren und habe sie gelesen, ohne mich großartig anzustrengen, um sie zu verstehen oder zu visualisieren. Jedoch kommen diese auch nicht sooo häufig vor.


    Die Geschichte in der Geschichte in der Geschichte ist für mich philosophisch insofern wertvoll, als dass ich die Erkenntnis erlangt habe, dass vor dem Tode alle gleich sind und man großes Glück hat, wenn man im Alter die Gnade von helfenden Händen erfährt.
    Das zum Einen… Zum Anderen stelle ich es mir um vieles schwieriger vor, eine Welt mit den wahren menschlichen Zügen zu erschaffen und zu beschreiben, die uns trotzdem fantastisch und dennoch aus dem Leben gegriffen zu sein scheint, als eine mit fabelhaften Wesen.


    Zitat

    „Die gesamte Ordnung der Stadt ist so, dass Not und Missgunst abgeschafft sind.“


    Der Text auf der Rückseite des Buches verspricht eine intelligente Reise in die Zeit der großen Utopien und einen Roman der Extraklasse: Dieser Aussage schließe ich mich an.


    8 Punkte, Gruß vom killerbinchen :wave


    Edit: Rechtschreibfehler und Grammatik berichtigt.

    „An solchen Tagen legt man natürlich das Stück Torte auf die Sahneseite — neben den Teller.“

    Dieser Beitrag wurde bereits 2 Mal editiert, zuletzt von killerbinchen ()

  • Ich habe dieses Buch im "Geheimtipps 2010"-Thread entdeckt und bin sehr dankbar dafür - mir wäre etwas entgangen!
    Ein "Geheimtipp" scheint es wirklich zu sein: Im Büchereibuch fand ich einen Zettel mit einer Urlaubsplanung von 2007; ich glaube, das wird nicht oft ausgeliehen :lache (steht aber auch auf Fußhöhe im Regal ...)


    Dabei lohnt sich das Buch wirklich.


    Es sind zwei wirklich interessante und durchaus ungewöhnliche Geschichten ineinander verflochten: Die Rahmenhandlung um den emeritierten Germanistikprofessor Robert Zahme sprach mich als Germanistin schon an, das "Buch im Buch", die utopische (oder eher dystopische?) Geschichte der Stadt Ramoth / Bezer wurde dann noch interessanter - Utopien bzw. Dystopien sind genau mein Ding :)
    Besonders gefällt mir, dass sich beide Geschichten abwechseln: Das sorgt dafür, dass es nicht langweilig wird. Ist man die eine Handlung leid, kommt wieder die nächste :D (und zwar ohne die dämliche "Ich mache einen Cliffhanger bei der einen Perspektive und wechsle dann zur nächsten, um ganz billig Spannung zu erzeugen"-Masche)


    Auch der Schreibstil hat mir sehr gefallen, er passt sehr gut zu den jeweiligen Geschichten (der utopische Bericht wurde schließlich vor hunderten Jahren verfasst). Die Ich-Perspektive ermöglicht es, sich gut in die wechselnden Perspektiven hineinzuversetzen, und zwar ohne dass es zu Verwirrungen kommt (könnte bei zwei abwechselnden Ich-Erzählern ja passieren).


    Fazit: Sehr ungewöhnlich, sehr interessant, sehr empfehlenswert. Die psychische Erkrankung und Probleme des Professors, die etwas fragwürdige Konzeption der Stadt Ramoth / Bezer, die Frage nach dem Perpetuum mobile - es hat mir gefallen, ebenfalls 8 Punkte von mir!


    Das Buch ist wohl nicht für jeden etwas, aber verdient noch viel mehr Leser.

    Entspanne dich. Lass das Steuer los. Trudle durch die Welt. Sie ist so schön.
    Kurt Tucholsky

  • Wirklich ein außergewöhnliches Buch und schon jetzt ein Anwärter auf mein Jahreshighlight.


    Mir haben die beiden Handlugnsebenen gleich gut gefallen. Der Auntor versteht es, keine unntötigen Cliffhanger zu erzeugen und genau im richtigen Moment über zu blenden.
    Auch die Sprache der beiden Ebenen unterscheidet sich so deutlich, da man glaubt tatsächlich eine historische Handschrift zu lesen.


    Ich habe bereits sein nächstes Buch auf meine WL gepackt.



    Bitte entschuldigt die Rechtschreibfehler, aber dieser Beitrag wurde am Handy geschrieben.

    Ich weiß nicht, was das sein mag, das ewige Leben.
    Aber dieses hier, das diesseitige, ist ein schlechter Scherz. (Voltaire)

  • Danke für Eure Rezis und den Lesetipp! Das klingt ja alles sehr gut (zwei parallele Handlungen ohne Nerv-Cliffhanger, Germanistik, Gesellschaftsutopie – spannend, spannend). :-)
    Unsere Stadtbibliothek hat das Buch und bei meinem nächsten Besuch kommt es mit zu mir! Freu mich schon drauf.

  • So, ich hab‘s gelesen. Hier ist nun noch meine Meinung:


    Das Buch ist ein guter Schmöker für zwischendurch, aber unbedingt weiterempfehlen würde ich es nicht.


    Denn so ganz packen konnte mich keine der beiden Geschichten.
    Bei der Geschichte um die geheime Stadt hatte ich immer im Hinterkopf, dass hier Grundlegendes nicht stimmen kann, denn, wie schon mein Physiklehrer in der Schule sagte: Es gibt kein perpetuum mobile. Die Geschichte über die Stadt fand ich von der Sprache her ein wenig einfach formuliert. Ein 250 Jahre alter Text hätte ein bisschen mehr altmodisch klingende Begriffe und Wendungen enthalten können. So ein wenig mehr im Stile einer alten Luther-Bibelübersetzung zum Beispiel.
    Die Geschichte um den Professor hat mir schon mehr gefallen, aber vom Hocker hat mich diese auch nicht gerissen.


    Sehr gut gefiel mir, wie der Autor die beiden Geschichten miteinander verknüpft hat. Cliffhanger mag ich nämlich nicht, v. a., wenn sie zu holzhammermäßig eingesetzt werden. Ich hab dann schnell das Gefühl, dass mich der Autor manipulieren will. Und so was mag ich nicht.
    Die Handlungsstränge hier wechseln aber wunderbar miteinander ab, ohne solche "Genre-Marotten".
    Zudem wusste ich immer, in welcher Geschichte ich mich gerade befinde. Bei einem Wechsel wurden jeweils schnell die nun handelnden Personen und/oder der Handlungsort genannt, und damit war alles klar. Wie gesagt, eine deutlichere sprachliche Unterscheidung der beiden Geschichten hätte ich mir gewünscht. In dieser Hinsicht hat der Autor Potential verschenkt.


    Die Auflösung des Buchstabenrätsels am Ende war eine schöne Überraschung, war ich die ganze Zeit nicht drauf gekommen.


    Ich vergebe 7 Punkte für gute Unterhaltung ohne besonderen Glanz.