Genauso wie von Carl Morck nach der erfolgreichen Lösung des Falles der verschwundenen Merete Lynggard weitere Erfolge erwartet werden, genauso erwarten die Leser einen weiteren spannenden Fall mit dem pragmatischen Morck und seinem gewitzten Assistenten Assad. Genauso schnell wird aber klar, dass diese Story anders ist, viel langatmiger und nicht so sehr überraschend und krimilastig. Morck selber wirkt wie eine Diva, er ist ungerecht und oft mürrisch seinen Mitarbeitern gegenüber. Ihm wird eine weitere Kraft, Rose, zugeteilt, die er mit allen Mitteln versucht, wieder zu vergraulen. Aber Rose ist zäh, und ihre Einfälle sind die Lichtblicke in dem ansonsten recht grauen Spektakel. Assad findet lange nicht zu seiner Form aus dem ersten Band, seine Bemerkungen Verdächtigen gegenüber sind beleidigend und aggressiv, was eigentlich gar nicht so richtig zu ihm passt. Ein neuer, ausländischer Mitarbeiter im Dezernat beunruhigt ihn, man erfährt noch nicht warum, immerhin gibt es ja noch einen weiteren Band.
Gut gelaunt kommt Morck aus seinem Urlaub wieder, um sich weiteren ungeklärten Fällen zu widmen. Assad hat wie immer eine Vorauswahl getroffen, diesmal ist es ein zwanzig Jahre alter Fall, der eigentlich aufgeklärt ist. Der Mörder sitzt seit einigen Jahren hinter Gittern, warum also sollte sich Morck mit dem Fall noch einmal beschäftigen? Als er sich intensiver mit der Akte, den Verhörprotokollen und dem Gerichtsverfahren beschäftigt, stößt er auf Ungereimtheiten. Der Mörder gehörte einer Clique sehr wohlhabender Jugendlichen in einem Internat an, deren Beziehungen bis in die höchsten Regierungskreise reichen. Seine allerdings nicht, er kam aus einfachen Verhältnissen. War er somit das passende Opferlamm? Je mehr Carl gräbt, desto prominenter werden die Namen, denn die betuchten Söhne haben auch ihren Weg gemacht. Es ist aber nicht alles Gold, was glänzt. Das einzige Mädchen der Gruppe, Kimmie, bleibt verschwunden. Nach einem Krankenhausaufenthalt ist sie einfach untergetaucht, keiner hat sie danach mehr zu Gesicht bekommen. Morck sucht in der Obdachlosenszene, aber Kimmie ist schlau – wenn die Stimmen sie denn mal in Ruhe lassen. Weitere Fälle und Zusammenhänge werden im Zuge der Ermittlungen aufgedeckt, eine unvorstellbare Flut an bestialischen Grausamkeiten, Misshandlungen und sonderbaren Unfällen. Mord? Es sieht so aus, als ob die Mitglieder der Clique Sadisten sind, die Spaß an den Qualen anderer Lebewesen haben. Dazu passt, dass sie heute immer noch gerne alle zusammen auf die Jagd gehen und dort nicht nur Wildschweine jagen. Sie kennen keine Hemmungen und sind der Meinung, dass Geld ihnen Macht und Immunität verleiht.
Über lange Strecken erzählt Adler-Olsen lediglich die Entwicklung und Lebensweg der einzelnen Schüler. Was passierte damals, wie leben sie heute. Besonderes Augenmerk wirft er dabei auf Kimmie, die eindeutig die Schlüsselperson ist. Ausführlich beschreibt er ihr Leben und Überleben auf der Straße, immer mehr Einzelheiten zu vergangenen Taten kommen ans Licht. Abschreckend und äußerst kaltschnäuzig wirken die Protagonisten, man kann bei ihnen kein Gewissen oder zumindest etwas Menschlichkeit finden. Dies alles zieht sich unheimlich lange hin, die Story tritt sehr oft auf der Stelle. Dazu die ausschweifenden Erzählungen über Kimmie, viel mehr, als man als Leser überhaupt wissen möchte, machen das Buch diesmal nicht zu einem Pageturner. Viele Aktionen und Ermittlungen sind einfach überflüssig, zu oft landet Morck in Sackgassen und die Reise nach Madrid war weder interessant noch besonders aufschlussreich. Das Ende ist haarsträubend und wirkt weit hergeholt, die Handlungen sind unrealistisch und viel zu viele handelnde Personen sind hochnäsig und unsympathisch. Schon in der Mitte des Buches erfährt man Motive und Täter, wirklich überraschen können die letzten Enthüllungen am Schluß nicht mehr. Die wechselnden Erzählperspektiven sorgen noch für eine minimale Spannung, man erfährt, was in den einzelnen Köpfen vor sich geht und erkennt die Hintergründe der Taten. Vieles, was den ersten Band ausgezeichnet hat, ist hier nicht mehr vorhanden. Man kann nur hoffen, dass der Autor im nächsten Band das Rad noch einmal umdrehen kann.
Fazit
Mehr eine Milieustudie im Obdachlosenbereich als ein Thriller wirkt der zweite Band um Carl Morck und sein Ermittlerteam, den man auch ohne Vorkenntnisse des ersten Bandes lesen kann. Brutal, grausam und unmenschlich wirken die Verdächtigen, sie alle haben eine Menge Dreck am Stecken und halten sich für unbesiegbar. Immer wieder gibt es unnötige Ausflüge zu Misshandlungen, grausamer Brutalität und Erzählsträngen, die so gar nichts mit der Handlung zu tun haben. Sie bauschen das Buch nur ungemein auf und sind oft nicht mal besonders spannend. Morck und Assad verkommen zu Karikaturen ihrer vorherigen Person, einzig Rose ist ein wahrer Sonnenschein. Unrealistische Handlungen machen das Ende sehr unglaubwürdig, die Spannung ist da schon längst verloren.