Brief aus Manaus – Milton Hatoum

  • Verlag: Suhrkamp Verlag, 2002
    Taschenbuch: 190 Seiten


    OT: Relato de um certo Oriente
    Aus dem brasilianischen Portugiesisch von Karin von Schweder-Schreiner


    Kurzbeschreibung:
    In einer aus dem Libanon ins brasilianische Manaus eingewanderten Familie wächst die Erzählerin als Ziehkind der Matriarchin Emilie auf. Als sie Jahre später erfährt, daß Emilie im Sterben liegt, kehrt sie zurück an den Ort ihrer Kindheit, zurück zu ungeordneten Erinnerungen an fremde arabische Laute und die Unnahbarkeit Emilies. Immer auf der Suche nach ihrer Vergangenheit, trägt sie die Zeugnisse anderer zusammen; die Erzählungen Dorners, des deutschen Fotografen, die Berichte von Hakim, ihrem Onkel, und die von Hindie, der Freundin Emilies, verschmelzen zu einem Brief an ihren in Europa lebenden Bruder, in dem sie ihre Stimme "wie einen riesigen, aber einfühlsamen Vogel über den anderen Stimmen schweben läßt".
    In dichter lyrischer Sprache hat der brasilianische Autor eine Familiensaga komponiert, wobei er es meisterhaft versteht, die leisen Zwischentöne zu treffen


    Über den Autor
    Milton Hatoum wurde am 19. August 1952 als Kind libanesischer Einwanderer im brasilianischen Manaus geboren. 1968 verließ er seine Heimatstadt, lebte für kurze Zeit in Brasília und ging dann nach São Paulo, wo er Architektur studierte. 1979 kam er mit einem Stipendium nach Madrid und Barcelona, anschließend als Postgraduierter an die Sorbonne in Paris. 1984 kehrte er nach Manaus zurück und unterrichtete französische Literatur an der Universidade Federal do Amazonas sowie als Gastdozent brasilianische Literatur an der University of California in Berkeley. Seit 1999 wohnt er wieder in São Paulo. 1989 erschien sein erster Roman Relato de um certo Oriente (dt. Emilie oder der Tod in Manaus, Piper, München 1992, bzw. Brief aus Manaus, Suhrkamp, Frankfurt 2002), für den er 1990 den angesehenen brasilianischen Jabuti-Literaturpreis erhielt und internationale Anerkennung gewann.


    Über die Übersetzerin
    Karin von Schweder-Schreiner, geb. 1943 in Posen, hat in Mainz und in Lissabon studiert und mehrere Jahre in Brasilien gelebt. Sie erhielt zahlreiche Übersetzerpreise und übersetzte u.a. Jorge Amado, Chico Buarque, Rubem Fonseca, Luiz Alfredo Garcia-Roza, Lídia Jorge.


    Meine Meinung
    Dieser 1989 geschriebene Roman erzählt eine ungewöhnliche Familiengeschichte in Brasilien. Die Erzählerin ist Tochter eines aus dem Libanon stammenden Mannes. Sie wurde in Manaus geboren und lebte bei Emilie. Als diese im sterben liegt, kehrt sie zurück und erinnert sich an die Vergangenheit.
    Der Roman ist nicht schlecht zu lesen, wenn auch der Stil für meinen Geschmack etwas zu gefällig ist. Er ist trotzdem vergleichbar mit dem vom brasilianischen Autor schlechthin, Jorge Amado.


    Einiges wundert mich an dem Roman:
    Die Erzählerin hat Wurzeln im Libanon, ist aber in Brasilien geboren. Libanon wird bis auf wenige Ausnahmen relativ wenig thematisiert, obwohl der Autor diese Herkunft teilt. Da hätte ich mehr erwartet.
    Dann heißt das Buch Brief aus Manaus, aber dieser lange Erinnerungstext hat keine Briefstruktur. Kein Wunder, dass eine vorhergehende Veröffentlichung den Titel „Emilie oder Tod in Manaus“ trägt. Um Emilie geht es, doch die Verbundenheit der Erzählerin zu dieser Frau wird nur behauptet, nicht gezeigt. Überhaupt bleibt mir Emilie das ganze Buch durch Fremd, da sie auch keine eigenständigen Szenen innehat. Meistens wird sie nur von anderen betrachtet.
    Die Erzählerin bleibt auch blass. Es funktionieren aber durchaus die Nebenfiguren wie z.B. ihre Cousine Soraya Angela, da sie durch ihre Eigenwilligkeit originell gestaltet ist.
    Eine unnötig kompliziert angelegte Figur, wie der deutsche Fotograf Dorner will mir aber nicht behagen.


    Was mich am Buch aber wirklich störte, war das Betonen des Geheimnisvollen. Und das selbst an Stellen, die für den Leser keine größere Bedeutung haben. Was nützt ein Geheimnis, das niemanden interessiert.


    Dennoch besitzt der Roman natürlich erhebliche literarische Qualitäten. Die im Klappentext angepriesene „dichte, literarische Sprache“ kann man dem Buch nicht absprechen!