Jaroslav Rudis - Grandhotel

  • Titel: Grandhotel
    Autor: Jaroslav Rudis
    Übersetzt aus dem Tschechischen von: Eva Profousova
    Verlag: Luchterhand Literaturverlag
    Erschienen: Dezember 2008
    Seitenzahl: 237
    ISBN-10: 3630621392
    ISBN-13: 978-3630621395
    Preis: 8.00 EUR


    Das sagt der Klappentext:
    Fleischman arbeitet als Mädchen für alles im futuristischen Grand Hotel mitten in der tschechischen Provinz. Wenn ihm sein Chef und Cousin mit seinen angeberischen Frauengeschichten zu sehr auf die Nerven geht, träumt er sich in seine Lieblingswelt hinein: die Vielgestaltigkeit der Wolkenformationen. Bislang hatte noch nie eine Frau bei ihm eine Chance, denn Fleischman ist der hübschen Meteorologin aus dem Fernsehen versprochen, der er ständig Briefe schreibt, die mit immer den gleichen Autogrammkarten beantwortet werden. Wird es der Serviererin Ilja gelingen, ihm die echte Liebe beizubringen, und wird er mit ihr seinen größten Traum verwirklichen können: dem Provinzort und dem traurigen Glanz des Grand Hotel zu entfliehen?


    Der Autor:
    Jaroslav Rudis geb. 1972 in Nordböhmen geboren, studierte Deutsch und Geschichte in Prag, Zürich und Berlin. Er hatte zahlreiche Jobs, als Lehrer, Vertreter einer tschechischen Brauerei in Deutschland, als DJ und Manager einer Punkband. Heute ist er Kulturredakteur der Tageszeitung und schreibt Prosa, Gedichte und Songtexte. Jaroslav Rudis lebt heute in Prag.


    Meine Meinung:
    Ist Fleischman wirklich so naiv wie er zuweilen wirkt? Oder durchschaut er die Dinge? In jedem Falle aber findet er Antworten, die teilweise schon verblüffend sind. Fleischman erzählt von sich, lässt uns an seinem Leben teilhaben, nimmt uns mit zu seinen Therapiestunden bei der „Frau Doktor“ und wird auch nie müde uns über das Wetter, das Klima und die Wolkenbildungen zu informieren. Fleischman, immer irgendwie herum geschubst, auch schon in früheren Jahren ausgelacht und gehänselt, dabei aber immer Fatalist geblieben und nie müde werdend sein Päckchen zu tragen. Rudis ist ein sehr eindrucksvolles Buch gelungen. Das liegt wohl auch an seiner freundlichen und behutsamen Schreibweise, an seiner anteilnehmenden Sprache. Der Autor macht deutlich, dass Naivität wohl nicht immer gleich Naivität ist. Er macht nachdrücklich deutlich, dass es sich lohnt einfach auch einmal zuzuhören, einfach auch einmal nicht nur sich selbst im Fokus zu sehen. Denn es gibt auch noch so etwas wie Mitmenschen. Fleischman hört zu, bildet sich eine Meinung und äußert diese dann auch. Nie verletzend, aber immer nachdrücklich. Und das was anfangs wie Realitätsferne anmutend, scheint in Wirklichkeit vielmehr das Erkennen der Realität zu sein. Jaroslav Rudis hat ein Buch geschrieben, dass es lohnt gelesen zu werden. Es ist sicher nicht schlecht und tut auch gar nicht weh, einmal eine andere Sicht der Dinge zu bekommen, die Welt von einer anderen Warte her erklärt zu bekommen. Sehr lesenswert; wahrscheinlich aber wohl nicht für jedefrau/jedermann.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • literarische Weltreise: Tschechien


    Was für ein seltsames Buch! Woran das liegt? Wahrscheinlich, weil nichts ist, wie es scheint in diesem Roman. Das fängt schon beim titelgebenden Grandhotel an, dem in Wirklichkeit jede Grandezza fehlt (und das doch tatsächlich existiert Hotel Jested) und geht bei den Protagonisten weiter, die erst nach und nach ihren wahren Kern enthüllen (und es ist dennoch offensichtlich, dass es einen "wahren Kern" gar nicht geben kann).


    Dabei fängt alles völlig unspektakulär an: Fleischman (sein Vorname ebenso wie das zweite „n“ in Fleischman gingen ihm irgendwann verloren) arbeitet im Grandhotel, einem futuristisch-absurden Hotel auf dem Jested, dem Hausberg Liberecs. Was er da genau tut und wie er dazu gekommen ist, bleibt zunächst im Dunkeln, auch wie der eher unterbelichtete Jegr es dort zum Besitzer bringen konnte, und was Zuzanna und Ilja dort eigentlich tun, bleibt lange Zeit unklar. Schnell stellt sich jedoch heraus, was Fleischmans existentielles Problem ist: er ist gefesselt an diese Stadt, dieses Hotel und womöglich läuft all sein Tun, all seine Motivation darauf hinaus, diese Stadt hintersichzulassen.


    Auch wenn das Buch streckenweise so seine Längen hat, zeichnet Rudis ein faszinierendes Bild einer Parallelexistenz, eines Menschen, dessen Denkweise und Handeln zunächst undurchschaubar erscheint, aber das doch im Laufe der Geschichte immer folgerichtiger und nachvollziehbarer wird. Die losen Fäden werden mehr und mehr, wenn auch auf unkonventionelle Weise, verknüpft und selbst das Personal des Buches, das mir zunächst spröde und unnahbar erschien, habe ich am Ende ins Herz geschlossen. Dennoch ist das ganz sicher kein "Wohlfühlbuch", eher ein "Nachdenkbuch", bei dem selbst das Happyend irgendwie speziell ist.


    Wie würde Fleischman sagen: ein lesenswertes Buch. Falls euch das interessiert.

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Ich habe das Buch vor einigen Tagen gelesen und bis heute bin ich mir noch unsicher, was ich von ihm halten soll.


    Einerseits ist es manchmal interessant, welche Ansichten/Antworten der so naiv wirkende Fleischman zu Tage befördert, aber an manchen anderen Stellen fragt man sich dafür, ob man wirklich so naiv sein kann. Viele Dinge über Fleischman erfährt man erst nach und nach, zum Beispiel von wem die mysteriösen Briefe aus Deutschland kommen, die Fleischman immer ungeöffnet in die Bananenkiste wirft; eine Art Puzzle, das sich mit der Zeit zu seinem Leben zusammensetzt. Und doch hatte ich zumindest das Gefühl, dass manche Puzzleteile fehlen... oder mir verborgen geblieben sind.


    Das Buch hat mich wirklich zwiegespalten zurückgelassen und wie DraperDoyle schon schrieb, ist es sicher kein "Wohlfühlbuch". Aber trotzdem irgendwie lesenswert.


    @DD Danke für den Link zum Foto von dem Hotel, das hatte mich auch interessiert, ob es das wirklich gibt.

    "Es gibt einen Fluch, der lautet: Mögest du in interessanten Zeiten leben!" [Echt zauberhaft - Terry Pratchett]

  • Mein Mann wollte sich kürzlich auf einem Tschechien-Ausflug mit seinen zwei Freunden im "Grandhotel" einquartieren. Tatsächlich scheint das Ding ziemlich runtergewirtschaftet zu sein und war komplett mit pöbelnden und kotzenden Jugengruppen belegt :wow

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)