In der Schule lesen - mal anders

  • Bei uns war diese Woche Elternsprechtag in der Schule. Brauche mir zum Glueck bei meinen Kindern derzeit keine Sorgen zu machen.


    Sprach dann auch die Lehrerin meiner 9jaehrigen drauf an, welches Buch sie als naechstes gemeinsam in der Klasse lesen wollen. Bisher haben sie nur eines gemacht "Number the stars" von Lois Lowry, was ich auch bei den Kinderbuechern hier rezensiert hab. Ein Buch das im von den Nazis besetzten Daenemark spielt.


    Zu meiner Ueberraschung sagte sie - keines. Und erklaerte, dass sie lieber den Kindern individuel Lesestoff gibt. Die Spannbreite dessen, was die Kinder in der Klasse lesen koennen ist einfach zu gross. Offiziell ist es eine gemischte 4./5. Klasse, aber vom Koennen liegen zwischen dem schwaechsten und staerkstem Kind 6 Jahre!!! Dabei ist es eine ganz normale Klasse, unsere Schule liegt nicht in einem sozialen Brennpunkt sondern ganz im Gegenteil in einer der besten Gebiete der Stadt. Nur 2 Kinder sind ESL (English as a Second Language, die bekommen ausserhalb des normalen Klassenunterrichts noch Nachhilfe in Englisch), eines ist autistisch (am oberen Ende des Spektrums und hat Teilzeit eine extra Hilfe im Klassenzimmer) und vielleicht 1-2 weitere verhaltensauffaellige Kinder. Und dazu gut 20 ziemlich "normale" kids.


    Die Lehrerin gibt den Kindern also Titel, die ihren Koennen und Interessen entsprechen. Und die Kinder muessen nach Beendigung ihr eine Inhaltsangabe und Rezension schreiben.


    Meine Tochter ist in der 4. Klasse, vom Leseverstaendnis her auf dem Niveau der 5./6. Klasse. Auf deutsch leider eher Anfang 2. Klasse ... Und entsprechend bekommt sie von der Lehrerin im Moment weitere Titel zum Thema Nazizeit wie "Hitler's Daughter" (siehe Rezension bei den Kinderbuechern) und "When Hitler stole pink rabbit". Im Moment liest sie auch weiterhin ihre Lieblingsserie "Dear Canada", wo aus Sicht von Einwandererkindern so im 19. und Anfang 20. Jhd. kanadische Geschichte vermittelt wird.


    Das ist jetzt nicht nur speziel in dieser Klasse so. Ich kenne das auch von der ersten Klasse meiner kleinen Tochter. Jeden Tag bekommen sie kleine Buechlein nach Hause. Die Klasse hat einen Satz von ca 200 solcher Buechlein, die in Schwierigkeitsstufen kategorisiert sind von A (superleicht) bis Z (schon sehr schwer). Jedes Kind bekommt seiner Stufe entsprechend jeden Tag Buecher nach Hause geschickt zum Lesen zu Hause bis zum naechsten Tag. Meine Kleine ist da so im Durchschnitt, liest derzeit die Buecher der Kategorie D wie die meisten. 1-2 Kinder sind noch bei B/C, 1-2 schon bei G/H. Ich weiss das, da ich gelegentlich in der Klasse aushelfe und die Kinder mir dann vorlesen :-) Und so geht das auch in den naechsten Klassen weiter.


    Aus meiner Schulzeit, die nun auch schon ein paar Jahrzehnte her ist, kenn ich das gar nicht. Wie sieht es denn heute in den Schulen aus? Gibt es da sowas in der Richtung?

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

  • :yikes


    Wow, das find ich genial.. So ein System: :gruebel könnte ich ja auch mal einführen.


    Dummerweise ist das bei MIR nicht so. Es kann sein, dass es in anderen Klassen so gehandhabt wird, .. aber wie gesagt in der Fachoberschule erstmal nicht.
    Wir kriegen ein Buch vor und müssen das in einem Zeitraum gelesen haben, danach reden wir darüber.. (mehr oder weniger.. :grin )


    lg, Kathrin

  • Hm, im Grunde eine wirklich gute Idee, zumindest für die ersten paar Schuljahre.
    Allerdings geht da nicht der Grundgedanke des Lesens in der Schule flöten? Wenn jeder was anderes liest, wie kann man dann über das gelesene reden?


    Davon abgesehen erstaunt mich stark, daß in den unteren Klassen so viel gelesen wird. Wir haben in unserer Grundschulzeit lediglich den kleinen Wassermann gelesen und da hat auch das meiste unserer Lehrerin vorgelesen und wir haben nachher darüber gesprochen.

  • Babyjane,


    du hast recht, die Diskussionen fehlen dann natuerlich. Aber mal ehrlich: wieviel Diskussion bekommt man denn mit den Schuelern, vor allem vor der Oberstufe?


    Letztlich ersetzt so ein System wie bei meinen Toechtern nicht eine Leserunde mit Diskussion, aber es ist eine sehr gute Ergaenzung. Vor allem wenn eh nicht mehr als 1-2 Titel/Jahr gemeinsam gelesen wird. Und so wird eben frueh der Grundstein gelegt, dass Lesen in der Schule und fuer die Schule normal ist.


    Ihr habt in der Grundschule nur den kleinen Wassermann gelesen bzw. vorgelesen bekommen? Das find ich viiiiel zu wenig. Natuerlich suchen auch hier die Lehrer ein Buch aus, das inhaltlich ansprechend aber zum selber lesen vor allem in den ersten 3 Jahren noch zu schwer ist. Das wird dann in der Klasse vorgelesen. ZUSAETZLICH zum selber lesen zu Hause. Und das kann dann Ansporn fuer mehr geben. Meine Grosse hoerte in der 2. Klasse zum ersten Mal ein Buch aus der "Dear Canada" Reihe, da kanadische Geschichte Teil des Curriculums der 2. Klasse war. Zu dem Zeitpunkt war ihr Lesekoennen noch unterm Durchschnitt, sie hinkte etwas hinterher. Las daher zu Hause ganz einfache Sachen. Aber das Buch gefiel ihr gut genug, dass sie dann ab Mitte der 3. selber anfing diese zu lesen.


    In der 3. Klasse ist hier auch Teil des Curriculums, dass alle Kinder einmal im Monat eines ihrer Lieblingsbuecher der ganzen Klasse vorstellen. Sie halten einen kleinen Vortrag, machen Poster dazu. Da kann es auch etwas Diskussion geben, wenn die anderen Kinder nachfragen, was dieses Buch zum Lieblingsbuch gemacht hat. Na ja, in den Anfaengen. Viel mehr als Fragen wie "ist das Buch eher fuer Maedchen oder Jungs" kommt von 8jaehrigen da auch nicht.


    Mir gefaellt an dem System, dass es individuell auf die Leseentwicklung des Kindes eingehen kann. Meine Tochter war in den ersten 2 Jahren sehr langsam mit dem Lesen lernen (eine Krankheit in der 1. Klasse war mit Schuld dran). Sie hinkte weit hinter dem Durchschnitt der Klasse hinterher. Die Lehrer fanden aber immer etwas fuer sie zum lesen, das ihrem Koennen und Interesse entsprach. Inzwischen liest sie ueberdurchschnittlich gut - und vor allem immer noch gerne.

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

  • Ich finde das System wirklich gut - schade, dass es das bei uns nicht gegeben hat.
    In der Volksschule haben wir nämlich überhaupt keine Bücher gelesen...




    Ich habe aber schon damals sehr gerne gelesen (zumindest ab Mitte der zweiten Klase).
    Aber wir hatten statt Bücher kurze Texte und die mussten wir dann der Lehrerin vorlesen und bekamen einen Punkt in unseren Lesepass und wenn der voll war, bekamen wir was - bei mir hat das nie funktioniert. Ich bin nie über den ersten hinaus gekommen, einmal, weil ich ihn verloren hab, und sonst... mich hat das nicht interessiert, irgendwelche kurzen Texte, die von Hasen usw handeln der Lehrerin vorne am Pult vorzulesen...
    Ich habe immer sehr langsam gearbeitet und deswegen hatte ich in der Freiarbeit immer so viel aufzuholen, dass ich dafür keine Zeit hatte :-(
    In der vierten bekamen wir dann eine "Leseliste" für die Bücher - den hatte ich ich dafür am schnellsten fertig!!





    Auf jeden Fall finde ich das System dort (bei euch) besser, viel besser, meiner Meinung nach!

    Ein Mädchen sollte zwei Sachen sein: Elegant und fabulös.

    (Coco Chanel)


    #proannika

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  • Hallo Beatrix,


    ich bin in der 13. Klasse eines Gymnasiums und finde auch, dass es da mitunter schrecklichen Lesestoff gibt...


    Hier eine kleine Auswahl:
    Romeo und Julia auf dem Dorfe
    Kabale und Liebe
    Die Räuber
    Romeo und Julia
    Leben des Galilei
    Im Westen nichts Neues
    Frühlings Erwachen
    Der gute Mensch von Sezuan



    Ich fand nicht (!) alle Bücher langweilig, einige haben mir sehr gut gefallen. ABER bei Büchern wie "Romeo und Julia auf dem Dorfe" frage ich mich wirklich, welchen Nutzen das Lesen haben soll...!


    Bei kleineren Kindern so ein von dir beschriebenes System anzuwenden, halte ich auch dann für sinnvoll, wenn nicht ständig Diskussionen darüber geführt werden können. Man kann nämlich gute Bücher auch totdiskutieren ;)


    Ich freue mich, dass deine Tochter so ans Lesen herangeführt wird - bei uns wurde das alles in der Grundschule leider völlig versäumt. Nur gut, dass meine Mutter mir schon früh tolle Bücher geschenkt hat :)


    LG
    Angelcurse