"Den Tagen mehr Leben geben", von Dörte Schipper - Bastei Lübbe Verlag

  • Es ist ein besonderes Buch zum Hospizleitspruch, ein Vermächtnis von Cicely Saunders: "Den Tagen mehr Leben geben". Es handelt von einem außergewöhnlichen Koch und seinen sterbenskranken Gästen.


    Der erfolgreichen Fernsehjournalistin und Autorin Dörte Schipper ist ein bemerkenswert spannendes und überraschendes Buch gelungen über das Sterben – und das Geheimnis eines erfüllten Lebens. Dem Buch vorausgegangen ist eine Fernsehdokumentation in der ARD, für die die Autorin mit dem Erich-Klabunde-Preis ausgezeichnet wurde.



    Dörte Schipper
    DEN TAGEN MEHR LEBEN GEBEN
    Vorwort von Udo Lindenberg


    Über den Hospizkoch, und seine Gäste


    253 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
    € (D) 19,99 /€ (A) 20,60 /SFr. 34,50*
    ISBN 978-3-7857-2385-2


    "Ich definiere mich als Koch nicht mehr darüber, wie viel gegessen wird, sondern, ob ich die Menschen damit erreiche." Früher war er Küchenchef in einem Nobelrestaurant. Heute kocht er im "Leuchtfeuer", einem Hamburger Hospiz. Die meisten seiner Gäste haben Krebs im Endstadium.
    Ob Steak, Labskaus, Coq au Vin oder eine aufwändige Torte, Ruprecht, der Koch, erfüllt jeden kulinarischen Wunsch. Tagtäglich erlebt er aufs Neue, wie wichtig es den Bewohnern im Hospiz ist, noch einmal ihre Lieblingsgerichte genießen zu können. Kräuter, Gewürze, den individuellen Geschmack zu treffen, ist für den Koch nicht immer leicht. Oft geht es nur um Nuancen, und er braucht mehrere Anläufe.
    "Wenn ich es schaffe, ein Essen genau so zu kreieren, wie ein Sterbenskranker sich das vorgestellt hat, kann ich mich jedes Mal aufs Neue darüber freuen."


    Seit der Gründung des Hospizes vor elf Jahren ist er sein eigener Chef de Cuisine in einem Zuhause für Todkranke. Mitten in St. Pauli bietet das Hospiz Platz für elf Bewohner. Die meisten leben hier nicht länger als ein paar Wochen. In der Eingangshalle hängt in großen Buchstaben der Leitspruch des Hauses: "Wir kön-nen dem Leben nicht mehr Tage geben, aber den Tagen mehr Leben." Diese Worte hat der Koch verinnerlicht. Das Leben der Kranken verlängern kann er nicht, es versüßen schon. Als Ruprecht Schmidt vor elf Jahren den Job annahm, wurde er öfters gefragt, ob es nicht absurd sei, für Todkranke zu kochen. Er selbst hat sich diese Frage nie gestellt. Die Bedeutung, die Essen haben kann, ist ihm durch die Arbeit im Hospiz immer klarer geworden. Seine Erkenntnis klingt so einfach, fast banal: "Essen heißt, ich lebe noch!"
    Der Job ist einzigartig, seine Motivation auch. Viele Jahre hat er in der gehobenen Gastronomie gearbeitet. Als Spitzenkoch hätte er weiter Karriere machen können ... Doch seine Arbeit hat ihn nicht befriedigt, er vermisste den Kontakt zu den Menschen, die er bekochte. Im Hospiz zu arbeiten ist für ihn wie ein Sechser im Lotto – nicht finanziell, aber menschlich betrachtet.


    Rolf Führing hat Bauchspeicheldrüsenkrebs. Nach wochenlanger Appetitlosigkeit im Krankenhaus, wird er schon am ersten Tag im Hospiz Ruprechts hungrigster Gast.
    Seitdem Horst Reckling im Hospiz ist, möchte er immer nur seinen Lieblingsquark. Erst seit neun Jahren ist er mit seiner geliebten Beate verheiratet. Die Beiden hätten sich so gerne noch etwas mehr Zeit miteinander gewünscht.
    "Es mag verrückt klingen", sagt Gudrun Fischer, "aber ich verbringe jetzt am Ende meines Lebens Ferien wie in einem Grandhotel. Mit fast allem, was Freude bereitet." Ausgerechnet ihr, die sie ihr Leben lang gut und gerne aß, drückt ein riesengroßer Tumor auf den Magen.
    Vor vier Monaten zog es Renate Sammer den Boden unter den Füßen weg: Lungenkrebs im Endstadium. Ihr Leben lang hatte sie sich alleine durchgeboxt, jetzt plötzlich ist sie von anderen abhängig. Den Koch schließt sie ins Herz. Sein Steckrübenmus ist ein Gedicht.
    Für eine kurze Zeit werden die Todkranken für den Hospizkoch vertraute Gesichter.
    Er erfährt einen kleinen und gleichzeitig letzten Ausschnitt ihres Lebens. Die Bewohner erzählen von sich, ihrer Vergangenheit, ihrem Umfeld, ihren Sorgen, Ängsten und Freuden. Über das Essen wird Ruprecht Schmidt ihr Vertrauter, ein außergewöhnlicher Sterbebegleiter.


    Mit dem Einzug ins Hospiz rückt für die sterbenskranken Menschen das Endgültige immer näher. Vorbei mit: "Das kann ich noch nächstes Jahr machen." Es gilt nur noch das Heute und Jetzt. So unterschiedlich, wie sie gelebt haben, gehen die Menschen auch mit der Gewissheit um, bald sterben zu müssen.
    Viele fühlen sich wie zu Hause und gut aufgehoben in der familiären Atmosphäre des Hospizes. Einige fühlen sich abgeschoben und lassen ihren Frust genau an den Menschen aus, die sie am meisten lieben. Für die einen ist der Tod ein Tabu, andere reden pausenlos über das Sterben – mit schwarzem Humor, Ironie, oder abgeklärt und nüchtern. Manche finden Trost in der Religion, manche im Sarkasmus.
    Begriffe wie Harmonie und Dankbarkeit werden plötzlich wichtig. Zwischenmenschliche "Baustellen", die schon seit Jahren gären, sollen unbedingt noch schnell bereinigt werden. Es können sich aber auch neue auftun.
    Verhalten, Wünsche und Gedanken der Menschen verändern sich, je näher der Tag rückt. Wer heute noch Scherze macht, kann morgen unendliche Angst haben, verbittert sein oder umgekehrt.
    Trotz der extremen Gefühlsschwankungen, zeigt sich bei den Bewohnern eines durchgehend: Auch wer unwiderruflich weiß, seine Tage sind gezählt, kann noch genießen, lachen und Momente des Glücks erleben.


    Lebensbejahend, wie die Atmosphäre im Hospiz, ist auch das Buch. Es erzählt über einen außergewöhnlichen Koch und die Lebensgeschichten seiner Gäste.

  • Meine Rezension

    in einem stillen Hinterhof direkt in St. Pauli, abseits vom Trubel dieses Stadtviertels befindet sich das Hospiz "Leuchtfeuer". Dort können bis zu 11 unheilbar Kranke Menschen ihre letzten Tage verbringen, umsorgt und umhegt von einem engagierten Team, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, den Kranken ihre letzte Reise so angenehm wie nur möglich zu machen, was sicher nicht einfach ist.

    Einer dieser Menschen ist der Koch Ruprecht Schmidt, der seine Ausbildung in besten Häusern absolviert hat und dem sicher eine Karriere in namhaften Restaurants oder gar mit einem eigenen Lokal bevorgestanden hätte. Doch Ruprecht Schmidt will mehr als nur oberflächliche (und vermutlich auch snobistische) Gäste zu bewirten. Als er das Stellengesuch als Hospizkoch erblickt, bewirbt er sich.

    Damit beginnt eine Karriere der ganz anderen Art. Wir begleiten hier Rupert eine Zeitlang in seinem Alltag, erfahren viel über die aktuellen Gäste des Hauses und wie es ihm gelingt - oder auch nicht - ihnen die letzten Tage "zu versüßen". Ich habe darüber nachgedacht, ob man ihm hier nicht zuviel Stellenwert zugesteht. Aber nein, ich denke, daß es auch der Koch des Hauses ganz unbedingt mit in der Hand hat, wie "gut" es einem in seiner letzten Zeit geht.


    So erzählt Rupert, was seine Gäste sich für Gerichte wünschen und auch warum. Essen ist wichtig, es ist so viel mehr als bloße Nahrungsaufnahme. Mit Essen verbinden wir Erinnerungen und eine Schale Pflaumenquark oder ein bestimmtes anderes Gericht können Erinnerungen wieder ganz lebendig machen. Rupert sucht den Kontakt zu allen Gästen und erfragt, was an Essen für sie möglich und verträglich ist und er fragt auch nach speziellen Essenswünschen, die für sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten liegen würden. Dann versucht er, diese zu erfüllen.

    Doch das Buch dreht sich nicht allein um Rupert. Wir lernen auch einige der Gäste kennen und erfahren mehr über deren Leben und auch den Umgang mit der Krankheit. Manche Patienten haben sich mit ihrer Krankheit versöhnt, manche hadern noch damit.


    Ich finde das Buch traurig, denn wir müssen uns von einigen der Gäste darin verabschieden, aber der Gedanke, daß alle diese Menschen gut umsorgt und behütet waren, als sie ihre Augen für immer geschlossen haben, tröstete mich. Schön fand ich auch, daß auch im Hospiz trotz allem gelacht wird. Hier ist der Tod nicht das "Unaussprechliche", sondern Bestandteil des Lebens.


    Hospize sind sehr wichtig, um schwerkranken Menschen einen Abschied in Würde und dennoch im vertrauten Umfeld ihrer Familie und Freunde zu ermöglichen. Ich würde mir wirklich wünschen, daß jeder, der diesen Weg im Notfall für sich gehen möchte, auch einen Platz in so einem Haus bekommen kann.


    Ich fand das Buch sehr interessant, sehr lesenswert und sehr lehrreich. Leider ist es aktuell nur mehr gebraucht zu kaufen, das finde ich schade, da es nach wie vor viele Leser verdient.


    ASIN/ISBN: 3785723857

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)