Boxhagener Platz - Torsten Schulz

  • literarische Weltreise: Deutschland


    Ein wenig schwer fällt es mir schon, diese Buchvorstellung zu schreiben, ist doch der nachhaltigste Eindruck dieses Romans seine Belanglosigkeit. Dabei scheint die Geschichte einiges bieten zu können. Holger lebt 1968 in Berlin, allerdings in Berlin, Hauptstadt der DDR. Der Boxhagener Platz ist das Zentrum seiner Kindheit, hier trifft sich die Jugend des Viertels. Den Tag verbringt er bei seiner Oma, die schon einige Ehemänner unter die Erde gebracht hat (Nummer 6 haucht gerade sein Leben im ehelichen Schlafzimmer aus, ein Splitter im Kopp) und die folglich täglich mit der Pflege diverser Gräber beschäftigt ist. Während Oma mit ihrer großen Klappe aber lediglich manchmal etwas peinlich ist, etwa wenn sie lautstark ihre Meinung zu Walter Ulbricht kundtut, ist Holgers Vater ein echtes Problem: der ist nämlich der etwas unterbelichtete, aber linientreue Abschnittsbevollmächtigte des Viertels, dessen Schnüffeleien dafür sorgen, dass Holger immer wieder ans untere Ende in der Cliquenhackordnung rutscht.
    Das ändert sich allerdings schlagartig, als der örtliche Fischhändler, ein alter Nazi, wie man munkelt, mit einer vollen Bierflasche erschlagen wird. Und Holger als Sohn des ermittelnden Beamten (was freilich maßlos übertrieben ist) hat plötzlich einen ganz neuen Status unter den Kindern im Kiez.


    Klingt gut? Ja, leider aber ist die Geschichte in erster Linie langweilig, was gar nicht einmal daran liegt, dass sehr schnell klar wird, dass es sich bei dem Mord, obwohl die dusselige DDR-Kripo sehr lange im Dunkeln tappt, keineswegs um ein ausgeklügeltes Verbrechen handelt. Das hätte man durchaus verkraften können, dient der Mord doch eh nur als Gerüst, um den sich die vermeintlich "witzige Mileustudie voller skurriler Typen" ranken soll.


    Nur leider sind die „skurrilen Typen“ derartig auf ihre Skurrilität reduziert, das dahinter weit und breit kein echter Mensch zu erkennen ist. Das fängt bei Nebenfiguren wie dem "Neigentrinker Anton" an, der sich mangels eigenen Einkommens mit den Neigen aus den Gläsern seiner Saufkumpane zufrieden geben muss und zieht sich durch bis zu den Hauptfiguren, etwa Oma Otti, der ein paar lustige, ha, ha, Attribute angehängt werden (sechs Ehemänner und eine respektlose Berliner Schnauze). Die „Miljö“-Schilderungen sind eine Aneinanderreihung von Anekdoten, die sich nicht einmal durch sonderliche Originalität auszeichnen. Und wären nicht ab und zu einmal Worte wie „Maiparade“ oder „Parteisekretär“ gefallen, wäre es glatt an mir vorüber gegangen, dass diese Geschichte in der DDR spielen soll.


    Schade, vor diesem Hintergrund hätte man wirklich eine außergewöhnliche Kindheitsgeschichte machen können. So aber reiht sich der Roman völlig unspektakulär in die Reihe der vielen lustigen Bücher mit den Untertiteln "Eine Kindheit 19ab in XY" ein, und ist dabei sogar eines der langweiligeren.

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)