Robert Brack - Blutsonntag

  • Titel: Blutsonntag
    Autor: Robert Brack
    Verlag: Edition Nautilus
    Erschienen: Juni 2010
    Seitenzahl: 252
    ISBN-10: 3894017287
    ISBN-13: 978-3894017286
    Preis: 13.90 EUR


    Das sagt der Klappentext:
    Am sogenannten Altonaer Blutsonntag, dem 17. Juli 1932, kam es bei einem großen Aufmarsch der SA durch das traditionell rote Altona bei Hamburg zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit 18 Toten. Klara Schindler, Reporterin und kämpferische Kommunistin, deckt mithilfe eines verkrachten Kabarettisten, eines Straßenmädchens und eines ehrenhaften Gauners die Vertuschungen der Polizei auf und entschließt sich zur Rache.


    Der Autor:
    Robert Brack, geb. 1959, lebt in Hamburg. 1993 wurde er von der Raymond-Chandler-Gesellschaft mit dem "Marlowe" ausgezeichnet, 1996 erhielt er den "Deutschen Krimi-Preis". Seit 1999 schreibt er auch unter dem Pseudonym Virgina Doyle.


    Meine Meinung:
    In seiner Nachbemerkung weist der Autor darauf hin, dass die Bücher „Altonaer Blutsonntag 17. Juli 1932“ und „Justizmanipulationen“ seine Quellen für diesen Roman gewesen seien. Auch zahlreicher Zeitungspublikationen hätte er sich bedient, aber auch Polizeiberichte, Spitzelprotokolle und Zeugenaussage zog er als Quellen heran. Fleißig, fleißig der Mensch. Nur fragt man sich als Leser, wieso er dann ein so schlechtes Buch geschrieben hat. Ich habe dieses Buch als ein einziges Ärgernis empfunden. Grausam gestelzte Dialoge, kein Klischee wurde ausgelassen. Tumbe Nazis, verräterische Sozialdemokraten und heroische Kommunisten – dass sind so die handelnden Personen. Und wenn der Autor ein wenig recherchiert hätte, dann hätte er sicher herausgefunden, wie die Hamburger Arbeiter im Jahre 1932 wirklich miteinander gesprochen haben – nämlich Plattdeutsch, sicher aber nicht in gestelztem Hochdeutsch. Mag sein, dass die historischen Fakten mehr oder weniger stimmen, aber Fakten allein sind sicher nicht ausreichend wenn man einen Roman schreiben möchte. Und Fakten können auch so verstümmelt werden, dass im Endergebnis halt ein mehr als unbefriedigendes Buch dabei heraus kommt. Mensch Brack, wenn man keine Ahnung vom Bücherschreiben hat, dann sollte man tunlichst die Finger von dieser Tätigkeit lassen. Ein schwaches Buch, ein Buch das flüssiger ist als Wasser – nämlich überflüssig. Ein Buch das dem Andenken der damals getöteten Menschen in keiner Weise gerecht wird. Nicht lesenswert, die 13.90 EUR kann man sicher für sinnvollere Dinge ausgeben. Und wo nun einordnen? Ein Krimi ist es eigentlich nicht? Vielleicht ein historischer Roman – auch wenn man es offensichtlich mit der Historie nicht so ganz genau nimmt.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • „Schlagzeilen versperren der Wahrheit den Weg.“


    Am 17. Juli 1932 war ein SA-Aufmarsch[1] in der Stärke von 7000-Mann vom Polizeipräsidenten der Stadt Hamburg-Altona – Otto Eggerstedt[2] – genehmigt worden; angekündigt war ein Demonstrationszug durch die Altonaer Altstadt (auch „Klein-Moskau“ genannt), in der vorwiegend die sozialdemokratisch- oder kommunistisch-gesinnte Arbeiterschaft lebte. Beim Demonstrationszug durch die Große Marienstraße, die Schauenburgerstraße und Johannisstraße kam es zunächst nur zu verbalen Auseinandersetzungen (Anstimmen der „Internationalen“ als Reaktion auf die Schmährufe der Marschierenden), später dann gezielte Angriffe mit Wurfgeschossen und Waffen, wie Totschlägern und Karabinern durch die SA an den Zuschauern, ungeachtet Alter, Geschlecht oder politischer Positionierung. Es fielen zwei Schüsse, zwei Mitglieder der SA wurden getötet, woraufhin die Altonaer Polizei folgerte, von Dächern und den Häusern angegriffen zu werden. Sie evakuierten den Demonstrationszug, schossen auf Häuser, Dächer und Fenster, durchsuchten die Häuser, verhafteten 90 Personen und erschossen – bzw. „starben im Kugelhagel“ – sechzehn Menschen der Wohnbevölkerung[3]. Wer für den Tod der zwei SA-Angehörigen verantwortlich ist, ist unbekannt; hingerichtet wurden vier Kommunisten – Bruno Tesch, Walter Möller, Karl Wolff und August Lütgens[4] – nach einem Sondertribunal der NSDAP am 1.August 1933.


    „Mein Name ist Klara Schindler. Ich werde einen Menschen töten. Vorsätzlich, aber nicht aus niederen Beweggründen, es ist meine Pflicht.“[5]


    Protagonistin des Romans ist die bei der Hamburger Volkszeitung angestellte Reporterin und überzeugte Kommunistin Klara Schindler. Mithilfe eines Aufnahmegerätes[6] sammelt sie Zeugenaussagen und Berichte über den Altonaer Blutsonntag, mit dem Ziel einer Veröffentlichung dieser Aussagen und, mehr noch, um dieses Verbrechen aufzuklären und den Tätern ihrer gerechten Strafe, damit der Gerechtigkeit zuzuführen: „Es ging mal wieder um Strategie, nicht um Wahrheit. Spricht die Wahrheit keine deutliche Sprache? Muss man Mörder nicht anklagen? Brauchen die revolutionären Massen nicht ein Ziel, müssen sie nicht aufgepeitscht werden in ihrem Gerechtigkeitsstreben, und hilft es da nicht, wenn man die Namen der Verbrecher nennt, denen das Blut der Arbeiter an den Händen klebt?“[7]
    Die Stärke des Buches liegt in der Dokumentation dieser Aussagen; in ihnen prahlen Lebenssituation der Arbeiter und Handwerker und damit ihrer (mehr oder weniger) demokratischen, damit politischen Gesinnung aufeinander. Es ist ein auf Authentizität ausgelegtes Zeit- und Sittenbild von Altona der 1930er Jahre. Auffallend dabei ist die Dichotomie der Aussagen, die drei bzw. eher zwei große politische Lager erkennen lässt: Kommunisten / Sozialdemokraten und Sympathisanten und Mitglieder von NSDAP/SA bzw. SS, die sich beide durch Radikalität und fehlendes Verständnis für demokratische und faire Spielregeln auszeichnen.


    „Warum stehen die Arbeiter nicht auf und folgen ihrer Bestimmung? Warum, zum Donnerwetter, verläuft die Geschichte nicht so, wie es ihr vorherbestimmt ist?“


    So auch Klara. Als überzeugte, dennoch intelligente junge Frau und Kommunistin angelegt, tritt sie als die Zeichen der Zeit verkennende, phrasendreschende Figur auf, die zwar Kant, Rousseau und Marx gelesen, aber wenig Wissen über die praktische Umsetzung dieser Ideologie (vor allem in Sowjetrussland) vorzuweisen hat. Sie ist eine Figur der Widersprüche, wenig fassbar für den Leser; sie bietet keinerlei Identifikationspotential, weil ihre Vehemenz, ihre Intoleranz gegenüber politisch Andersdenkenden, ihre Ignoranz gegenüber sich nicht mit ihrer Meinung deckenden Argumentationen, ihre politische und auch persönliche Naivität eine Idee von ihrer Umsetzung zu unterscheiden, sich als Konfliktpotential erweisen. Sie ist anderen Argumentationslinien nicht zugängig, agiert emotional und unsachlich und zeigt sich damit nicht in der vom Autor beschriebenen Intelligenz:


    „Na Mädchen, dann sieh mal her! […] Das sind Arbeiterhände. Und glaub bloß nicht, dass ich nicht ins Schwitzen komme, wenn ich durchführe, was ihr ständig propagiert. Ich praktiziere Enteignung.“
    „Zum persönlichen Gewinn.“
    „Na und? Wenn alle so beherzt zugreifen würden, dann wären eure Feinde bald mittellos. Meine Faust ist nicht leer, da steckt ein Schweißbrenner drin.“
    “Sie propagieren planlose Anarchie!“
    „Anarchie? Meinetwegen, aber weißt du denn, wie genau ich planen muss, bevor ich losschlage?“
    „Es ist sinnentleerter Individualismus.“
    „Ganz genau, bravo! Was bleibt mir denn übrig in einer sinnentleerten Welt? Ich hab mein Sach auf nichts gestellt.“[8]


    Konfrontationen dieser Art dienen wahrscheinlich dazu, das politische Profil der Figur, aber auch ihre Beständigkeit und ihre Durchsetzungskraft, ihren Sinn für Gerechtigkeit darzustellen und den Weg vorzuweisen – den des meisten Widerstandes – den sie gehen wird, um ein „Zeichen gegen den Nazismus“ (Klappentext) zu setzen. Dem Autor ist es, meiner Ansicht nach, dennoch nicht gelungen mir die Motivation der Figur, sich überhaupt für diese Ereignisse zu interessieren, zu erläutern, mir ihre Art und Weise zu leben und zu handeln nachvollziehbar zu machen und – in letzter Konsequenz – ihre Form des Widerstand als etwas Höheres zu werten, als einen durch Selbstjustiz und damit niederen Beweggrund („Vorsätzlich, aber nicht aus niederen Beweggründen…“, siehe [5]) provozierten Mordversuch.


    „Es ist doch… mein Kampf, und ich stehe allein.“[9]


    Viel weniger verständlich als die Motivation von Klara, ist die der anderen Charaktere ihr zu helfen, sie zu unterstützen oder auch nur ihr in Gesprächen zu begegnen. Eingeführt werden Diebe (Ludwig Rinke), Seemänner (Bandura), Straßenkinder (Elly, Paul), gescheiterte Künstler (Kurt), Polizisten (Weber, Behn) – Sie alle bleiben Rollenbilder, Pappkameraden ohne Innenleben, die bewegungslos wie Schaufensterpuppen sind und, aufgrund ihres fehlenden emotionalen Kostüms, nur wenig zum Handlungsverlauf beitragen können. Sie dienen eher als Reibepunkte, als Konfrontation für Klara. Mit Bedauern allerdings stellt der geneigte Leser fest, dass ausgerechnet die Figuren, die auf ihre Art und Weise ihr gegenüber Widerstand leisten, nur wenig Eigenleben bekommen, wie Bandura, der Seemann, von Klara als „Anarchist“ bezeichnet, weil er den von ihr als Vorbild verehrten Sowjetkommunismus unter Stalin kritisiert und als Diktatur bezeichnet: „Diktatur ist immer das Gegenteil von Freiheit, egal in wessen Namen sie errichtet wird.“[10] Nicht die erste stilistische Spitze, die dem Leser zu gefallen weiß:


    „Die Schranktür blieb offen, so dass Klara die Buchrücken betrachten konnte. Es waren philosophische Werke: Machiavelli, Hobbes, Spinoza, Descartes, Fichte, Hegel, Schopenhauer, Kierkegaard, Nietzsche.
    „Da fehlen Rousseau, Kant und Marx“, stellte sie fest.
    […] Während er vorsichtig einschenkte, sagte er: „Der Schwärmer, den Tugendbolzen und den Kirchenvater der Zwangsarbeit hab ich absichtlich liegen lassen. Lasse ich immer wieder liegen.“ [...]„[11]


    Treffsichere Analysen von Zeitphänomen, politischen Richtungen und auch Menschen, die eher unbeteiligt in der Handlung ihre Rolle wahrnehmen („Der Stellvertreter, ein untersetzter Mann mit Buchhalterbrille und klebrigen Haaren, war der Meinung, dass Politik und Kultur das Gleiche seien und man deshalb auf Kultur im Kulturteil verzichten könnte. „Umgekehrt wird ein Schuh draus“, hatte Klara ihm in einer Diskussion darauf geantwortet. Seitdem polemisierte er, so oft er konnte, gegen ihr „kleinbürgerliches Kunstverständnis“.“[12]) bleiben allerdings in dem 250-Seiten starken, dialoglastigen Roman eine Seltenheit; es regiert ideologie-verzerrtes Sprechen (Selbst Klara sich ein neues Sprechen frei von „hohler Propaganda“ wünscht, spricht nur von „Massenstreiks“, dem „Volkseigentum“, dem „Klassenfeind“.), Treffen von Allgemeinplätzen bzw. starken Pauschalisierungen. Es fehlt an poetischer Verbindung, an sprachlichen Bildern, an emotionalen Beschreibungen allgemein, die ein tieferes Bild der Protagonisten hätte geben können und vielleicht damit die Motivationen der Figuren logischer hätte erscheinen lassen.


    Fazit:


    Sprachlich wenig versiert, wird der Leser mit dem Hamburg der 1930er Jahre konfrontiert; mit Dieben, Seemännern, Kommunisten, Angehörigen der SA versucht Robert Brack ein authentisches Bild zu zeichnen und politische sowie soziale Eindrücke der Alltagswelt einzufangen; es misslingt ihm mehr auf inhaltlicher denn sprachlicher Ebene. Die Protagonistin ist in ihrer Rolle wenig überzeugend und bittet kein Identifikationspotential, es fehlt gänzlich am Innenleben, an Motivationen, Gefühlen und nachvollziehbaren Gedanken. Sie ist Fleisch, aber kein Mensch.


    Abschließend bleibt eine Korrektur bzw. die Erweiterung um eine Position. Brack schreibt: „Ohnmächtig ist der Einzelmensch im Taumel der Weltgeschichte, und voller Schrecken muss er zusehen, wie alles, was geschieht, nicht so geschieht, wie es geschehen sollte.“[13] Dem möchte ich etwas gegenüber stellen: „Never doubt that a small group of committed people can change the world. Indeed, it is the only thing that ever has.“ – Margaret Mead.


    ~*~


    [1] Unter dem Kabinett Franz von Papens wurde das Verbot von SA und SS (verhängt am 13. April 1932, von Reichswehrminister Wilhelm Groener durchgesetzt, in der Regierungszeit von Reichskanzler Heinrich Brüning (Zentrum), zur Verhinderung von Putschversuchen und Stabilisierung des politischen Systems: „… je nach ihrer parteipolitischen Einstellung mehr oder weniger offen die Beseitigung der SA´s begrüßen, da sie sich durch deren Bestand in ihrem politischen Dasein bedroht fühlen.“ (A.L. Mannes: Heinrich Brüning. Leben, Wirken, Schicksal. Olzog, München 1999)) aufgehoben, um eine Tolerierung, gar Unterstützung der Minderheitenregierung zu erwirken. In Folge kam es zu passiv-politischen, aber auch offen- aggressiven Zusammenstößen der politischen Kräfte, vor allem zwischen Anhängern und Mitgliedern der Parteien KPD und NSDAP, mit 99 Toten und mehr als 1100 Verletzen. (Virtuelle Ausstellung: Weimarerzeit (1918-1933))
    [2] Eggerstedt – Mitglied der SPD bzw. Reichsabgeordneter von 1921-1933 – erhält später eine wesentliche Schuld am Ablauf der Ereignisse; er selbst war aufgrund einer Wahlkampfveranstaltung nicht zugegen, hatte auch seinen Stellvertreter freigestellt und auch seinen Vorgesetzten, den Regierungspräsidenten, uninformiert gelassen. Mit dem so genannten „Preußenschlag“ als Folge des „Altonaer Blutsonntags“ von Papens, bei dem die gesamte preußische Regierung aufgelöst und die Beamten ihres Postens enthoben wurden, verlor auch Eggerstedt seine Position. Nach der Machtübernahme 1933 tauchte er unter, wurde verhaftet und in „Schutzhaft“ genommen und „auf der Flucht“ am 12.Oktober 1933 im KZ Esterwegen erschossen. (Informationen zum Stolperstein in: Erforschung des Nationalsozialismus in Schleswig-Holstein e.V. | Bild des Stolpersteins)
    [3] Dazu vermerkt Robert Brack im Epilog: „Der Tod der sechzehn Unschuldigen, die am 17.Juli 1932 von Angehörigen der Hamburger und Altonaer Polizei ermordet wurden, blieb ungesühnt. Bis heute haben weder der Hamburger Senat noch die Bürgschaft noch die Polizeibehörde es für nötig gehalten , sich zu diesen Bluttaten zu bekennen.“ (Robert Brack: Blutsonntag. Edition Nautilus im Verlag Lutz Schulenberg, Hamburg 2010. S.250)
    [4] Gedenktafel im Innenhof des Amtsgerichts Altona
    [5] Robert Brack: Blutsonntag. Edition Nautilus im Verlag Lutz Schulenberg, Hamburg 2010. S.7
    [6] Tatsächlich gab es das erste Aufnahmegerät bzw. wurde das erste auf der Funkausstellung in Berlin 1935 vorgestellt.
    [7] Brack, S.143
    [8] ebenda, S.172/173
    [9] ebenda, S.7
    [10] ebenda, S.187
    [11] ebenda, S.172
    [12] ebenda, 16/17
    [13] ebenda, S.143

    Nicht nur der Mensch sollte manches Buch,
    auch Bücher sollten manchen Menschen öffnen.
    (Martin Gerhard Reisenberg, *1949)

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