Frank Schulz: Mehr Liebe

  • Meine Verehrung


    ... für diesen Schriftsteller begann mit "Morbus fonticuli oder Die Sehnsucht des Laien", dem zweiten Teil der "Hagener Trilogie", sie steigerte sich über "Kolks blonde Bräute", den ersten Teil, den ich leider erst nach "Morbus fonticuli" gelesen habe, und der den Literaturkritiker Gerhard Henschel zu der Äußerung veranlasste: "So hätte Arno Schmidt geschrieben, wenn er nicht bescheuert gewesen wäre". Den erst im Jahr 2006 erschienenen, abschließenden Roman "Das Ouzo-Orakel" erwartete ich offenbar zu vorfreudig, jedenfalls überzeugte mich das Buch nicht so recht, aber die Hochachtung blieb.


    Nun legt Schulz mit "Mehr Liebe" eine Anthologie vor, eine mit "heiklen Geschichten", wie der Subtitel verspricht, und tatsächlich genügt jeder der zweiundzwanzig Texte der einen oder anderen Deutung dieses Adjektivs.


    Es beginnt gemächlich, unschulzig quasi. "Seele mit Käse" und "Männertreu" sind unprätentiöse, lineare, ein wenig vorhersehbare Erzählungen. Dann folgt mit "Schorf" der erste Beitrag aus der "Trilogie der Gewalt". Schulz wechselt Perspektive und Duktus, ein Gefühl des Wiedererkennens stellt sich ein, und dann geht es Schlag auf Schlag. Neologismen, skurrile Figuren, absurde Pointen, Innen- und Außenansichten, Autobiografisches und Remineszöses, etwa in "Sehnsuchtsglühen", der Geschichte um Bodo Mortens (Hauptfigur der Hagener Trilogie) ersten Knutschfleck. Immer geht es um eine Fehldosierung der wichtigsten Emotion von allen, über zu viel oder zu wenig Liebe (also Mehrbedarf oder Mehrbesitz), und die Protagonisten sind tischtennisspielende Väter, Ehemänner auf Geschäftsreise (fantastisch: "Okay Blues" um den Mittfünfziger Kienast, der in Hamburg der Idee verfällt, eine Edelnutte zu bestellen), busfahrende Hopfenpflückerinnen, Penner, Ärzte, Griechenlandtouristen (zum Brüllen: "Am Ende wird geheiratet") und viele mehr. Schulz lässt keine Spielart aus, findet jede Facette, variiert und karikiert, aber nie auf Kosten seiner Figuren. Und immer meint man, der Autor säße hinter einem und sähe augenzwinkernd über die Schulter.


    "Mehr Liebe" ist ein schönes Buch, aber das Adjektiv ist eigentlich zu flach. Es ist eine ganz besondere Sammlung, von großer Wucht und Eindringlichkeit, sprachlich weit über jeder Norm, präzise und zugleich verschnörkelt, spannend, lehrreich, amüsant, erschreckend und enorm unterhaltsam - und übrigens wohltuenderweise in alter Rechtschreibung verfasst. Das kriegt heutzutage auch nur noch Schulz hin.


    Die Besprechung endet deshalb mit einer Begrüßungsformel:
    Meine Verehrung.

  • "Wir brauchen mehr Liebe, als wir verdienen."
    Mit diesem eindringlichen Satz wirbt der rückwärtige Klappentext dieser Anthologie, in der Frank Schulz die unterschiedlichsten Seiten von Zuneigung beleuchtet.
    Wer den Schriftsteller kennt und sich von seinen Texten angesprochen fühlt, der weiß, dass Schulz im wahrsten Sinne gut zu seinen Protagonisten ist, unabhängig von Ansehen, Stellung und Intellekt spazieren seine Figuren natürlich durch die Geschichten, immer glaubwürdig und nah an der Realität.
    Nicht anders ergeht es den Menschen in der vorliegenden Sammlung mit dem Untertitel "Heikle Geschichten". Heikel sind sie wirklich, diese Erzählungen, in denen sich eine Frau auf ihrer Hochzeitsreise in einen albanischen LKW-Fahrer verliebt oder eine ältere Dame auf den Spuren ihres Mannes über die Reeperbahn wandelt.
    Dicht am Klischee, teilweise lakonisch und vielleicht mit einem Stück eigener Lebensgeschichte versehen bezaubern die Figuren, die Stimmungen und die Plätze, an denen sich verliebt wird, auch wenn die Handlungen nicht immer konsequent zu Ende gedacht sind und den Leser unbefriedigt zurücklassen. Genau diese Erzählungen sind es auch, die mich diesen Kurzgeschichtenband unbeendet beiseite legen ließen, verbunden mit der Hoffnung, eines Tages zu verstehen, dass Schulz' Geschichten wie die Liebe selbst nicht immer den kürzesten Weg zwischen zwei Punkten vorsehen.
    Lesen!

  • Zitat

    Original von Salonlöwin
    Wer den Schriftsteller kennt und sich von seinen Texten angesprochen fühlt, der weiß, dass Schulz im wahrsten Sinne gut zu seinen Protagonisten ist...


    Ich habe erst ein Buch von Schulz gelesen, aber mit diesem Satz triffst du den Nagel auf den Kopf, danke!


    Zitat

    Original von Salonlöwin
    Lesen!


    Mach ich!

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)