Mit Blick aufs Meer - Elizabeth Strout

  • Titel: Mit Blick aufs Meer
    Originaltitel: Olive Kitteridge (2008 Random House)
    Autorin: Elizabeth Strout
    Verlag: Luchterhand, 2010
    Preis: € 19,95


    Kurzbeschreibung
    Ausgezeichnet mit dem Pulitzerpreis


    Crosby, eine kleine Stadt an der Küste von Maine. Hier ist nicht gerade sehr viel los. Doch sieht man einmal genauer hin, ist jeder Mensch eine Geschichte und Crosby die ganze Welt. Elizabeth Strout fügt diese Geschichten mit liebevoller Ironie und feinem Gespür für Zwischenmenschliches zu einem unvergesslichen Roman.


    Sie kann manchmal eine rechte Nervensäge sein: Olive Kitteridge, die pensionierte Lehrerin. Weil sie zu allem, was in dem Städtchen Crosby geschieht, eine dezidierte Meinung hat, halten sie einige für überkritisch. Dann wieder überrascht sie durch Selbstlosigkeit und Mitgefühl. Sie mischt sich ein und macht sich ihre Gedanken über ihre Mitmenschen: die schrille Barpianistin, die insgeheim einer verlorenen Liebe nachtrauert, einen ehemaligen Schüler, der keinen Sinn mehr im Leben sieht, ihren eigenen Sohn, der sich von ihren Empfindlichkeiten bevormundet fühlt, ihren Mann Henry, der die Ehe mit ihr nicht nur als Segen, sondern manchmal auch als Fluch empfindet. Und während sich die Menschen in Crosby mit ihrem ganz normalen Leben herumschlagen, den Problemen wie den Freuden, lernt Olive auf ihre alten Tage, das Leben zu lieben.


    Elizabeth Strouts Roman erzählt von Liebe und Kummer, von Toleranz und Aufbegehren. »Mit Blick aufs Meer« ist ein weises und anrührendes Buch über die Natur des Menschen in all seiner Verletzlichkeit und Stärke, erfrischend ehrlich und unglaublich schön.


    Autorenporträt:
    Elizabeth Strout wurde 1956 in Portland, Maine, geboren und wuchs in Kleinstädten in Maine und New Hampshire auf. Nach dem Jurastudium begann sie zu schreiben. Ihr erster Roman "Amy und Isabelle" wurde für die Shortlist des Orange Prize und den PEN/Faulkner Award nominiert und wurde ein Bestseller.
    Für "Mit Blick aufs Meer" bekam sie 2009 den Pulitzerpreis. Elizabeth Strout leben in New York City.



    Meine Meinung:
    Die Geschichten aus einer Kleinstadt die hier so detailiert und genau beobachtet widergegeben werden, handeln von Hoffnung, Liebe, Trauer, Treue und was sonst noch das gemeinsame Miteinander in einem kleinen Kosmos ausmacht. Schnittstelle all dieser Begebenheiten ist Olive Kitteridge, pensionierte Mathematiklehrerin, und allen im Ort bekannt (aber nicht bei allen beliebt). Olive würde ich im Umgang mit ihren Mitmenschen zunächst eine gewisse Grobmotorik unterstellen, aber bei näherem Hinsehen ist sie einfach nur pragmatisch, erkennt die Dinge meist auf den ersten Blick und fackelt nicht lange rum. (dk)


    Fazit:
    Volle Punktezahl


    ASIN/ISBN: 344274203X

    Herzlichst, FrauWilli
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    Ich habe mich entschieden glücklich zu sein, das ist besser für die Gesundheit. - Voltaire

  • Vielen Dank für deine schöne Rezension, FrauWilli!
    Dieses Buch ist schon auf dem Weg zu mir und wird bald in mein Regal einziehen. :-]


    :wave

    Jeder trägt die Vergangenheit in sich eingeschlossen wie die Seiten eines Buches, das er auswendig kennt und von dem seine Freunde nur den Titel lesen können.
    Virginia Woolf

  • Meinung



    Viele Jahre lang war Henry Kitteridge Apotheker in der nahegelegenen Stadt und fuhr die Strecke jeden Morgen, über verschneite Straßen oder regennasse Straßen oder sommerliche Straßen, deren Ränder bis zu den Ausläufern der Stadt zugewuchert waren von den neuen Trieben der wilden Himbeeren, ehe er in die breitere Straße zur Apotheke einbog. Jetzt, im Ruhestand, wachte er immer noch früh auf und erinnerte sich, wie lieb ihm diese Morgen waren, wenn die Welt sich anfühlte wie sein Geheimnis: Die Reifen schnurrten so sanft unter ihm, und das Licht brach durch den Frühnebel, und zu seiner Rechten blitzte kurz die Bucht auf, dann die Kiefern, hoch und schlank, und fast immer hatte er das Fenster einen Spalt offen, weil er den Kiefernduft liebte und die schwere Salzluft, und im Winter liebte er den Geruch der Kälte.


    Ein kleines Städtchen, seine Leute und deren Geschichten. Allen voran die Hauptfigur Olive Kitteridge (was für ein herrlich passender Name!), eine pensionierte Lehrerin, vor der früher die Kinder Angst hatten und die in alles ihre Nase steckt. In jeder Geschichte, die alle mit den Einwohner Crosbys zu tun haben, spielt Olive eine Rolle, wenn auch manchmal eine Nebenrolle. Nichts ist sicher vor Olive, sie weiß alles und sie hat auch zu allem eine recht bodenständige Meinung. Doch das macht sie keineswegs unsympathisch.
    Überhaupt hat die Autorin ein Händchen für sympathische Figuren, jeder einzelnen kommt man in seiner Geschichte näher, lernt sie kennen und liebt oder leidet mit ihr.
    Beeindruckt haben mich die bildhaften und zum Teil wunderschönen Beschreibungen der Gegend und der Stadt, die in mir Reiselust geweckt haben.

  • Dieses Buch habe ich im Urlaub gelesen und so hat es zum Glück immer die volle Aufmerksamkeit von mir bekommen, im Gegensatz zu so manchem Buch, das vielleicht schlechter wegkommt, als verdient, weil mein Geist eigentlich zu müde zum Lesen war.


    Die Autorin hat nicht ohne Grund den Pulitzer-Preis für dieses Buch erhalten. Sie hat ein scheinbar unerschöpfliches Repertoire an Geschichten in ihrem Roman untergebracht, die fast nur durch die Anwesenheit von Olive Kitteridge miteinander verbunden sind. Dass ich mit jedem Kapitel in eine neue Geschichte geworfen wurde, machte mir nichts aus.


    Ich bin immer wieder erstaunt, welch warmherzigen, menschenfreundlichen Blick manche Autoren auf ihre Figuren haben - Elizabeth Strout muss die Menschen lieben, und das steckt an, wenn man das Buch liest. So viele verschiedene Figuren begegnen einem, und fast jede einzelne hat mindestens irgendeine Unart, die man bei einem Mitmenschen, den man nicht gut kennt, vielleicht schnell als unerträglich einordnen würde. Aber Elizabeth Strout schafft es, dass man es nicht fertig bringt, über eine ihrer Figuren ein Urteil zu fällen oder sie abzulehnen. Eher schließt man sie, z.T. fast unfreiwillig, ins Herz.


    Ich wünschte, es gäbe mehr solcher Autorinnen. Anne Tyler fällt mir noch ein, wenn ich etwas ähnliches suche, aber das war es dann leider auch schon.


    10 Punkte vergebe ich für dieses wunderschöne, ehrliche Buch, das weh tut, aber auch tröstet.

  • @ Bell


    So ein Zufall! Heute treffe ich lesend schon das zweite Mal auf dich. Das Buch von Strout subt bei mir noch. Wir beide sind von Marie Hermanson begeistert, gute Vorzeichen für "Mit Blick aufs Meer". Vielleicht sollten wir mal unsere Leselieblinge abgleichen und bei größerer gemeinsamer Schnittmenge Lesetipps austauschen. ;-)


    Strout ist nach oben gewandert auf meinem SuB!

  • Mich hat bei diesem Buch vor allem die Realitätsnähe beeindruckt, mit der Strout ihre Figuren zeichnet und die verschiedenen Geschichten erzählt. Hier wird nicht schwarz-weiß gemalt, jede Person hat unter dem warmherzigen Blick der Autorin ihre Stärken und Schwächen und Marotten. Lose zusammengehalten wird die Fülle an menschlichen Schicksalen von der Figur Olive Kitteridge.
    "Mit Blick aufs Meer" handelt von den Menschen, von ihren Lebenswegen, von Trauer und Wut, von Angst und Liebe und von Schicksal.
    Gute 8 Punkte

  • Vom Altwerden der Rituale, der Gefühle, der Überzeugungen und Beziehungen


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    Über diesen einfach ungeheuer guten Roman lässt sich wenig sagen, das nicht bereits von jemandem gesagt wurde, nicht zuletzt von den Juroren der vielen Literaturpreise, die ihm – zu Recht – zuerkannt wurden. „Mit Blick aufs Meer“ erzählt vom Altwerden – nicht nur vom Altern der Menschen, die darin vorkommen, sondern auch vom Altwerden der Rituale, der Gefühle, der Überzeugungen und Beziehungen. Er macht das auf so vortreffliche Art, dass es ein Vergnügen ist, ihn zu lesen, obwohl die Grundstimmung einer eher depressive ist. Schließlich geht es ums Altwerden. Und das wiederum ist wahrlich kein Vergnügen, jedenfalls in aller Regel.


    Hauptfigur ist die im amerikanischen Original titelgebende Olive Kitteridge, eine etwas ruppige, aber kluge und lebenserfahrene Frau im Rentenalter, die im kleinen Ostküstenort Crosby, Maine, früher Lehrerin war. Olive trägt das Herz sprichwörtlich auf der Zunge, die sie allerdings sparsam einsetzt; sie pflegt eine Form von Ehrlichkeit, die bloße Unhöflichkeit locker in den Schatten stellt, und die es auch ihren beiden Familienmitgliedern schwermacht. Henry, der Ehemann, der Apotheker ist, trägt es mit stoischer Freundlichkeit, aber Christopher, der Sohn, der das College längst hinter sich hat und als Podologe praktiziert, distanziert sich, später auch physisch. Doch die Familienverhältnisse der Kitteridges sind nur ein Teil der Erzählung, in die einige Episoden mit anderen Figuren eingestreut sind, die das Leben der Kitteridges mal stärker und mal weniger stark tangieren. Aber auch in diesen Abschnitten geht es um dieselbe Thematik. Und um Kleinstädte an der amerikanischen Ostküste.


    Elisabeth Strout hat einen direkten, sehr genauen, aber keineswegs sterilen Stil; sie findet tatsächlich exakt die richtigen Worte, schafft also das, was Mark Twain seinerzeit als das Ideal für Schriftsteller skizziert hat: „Schreiben ist einfach, man muss nur die falschen Worte weglassen.“

    Angesiedelt in der Nähe des großen Stewart O’Nan, aber auch in der erzählerischen Tradition von Leuten wie Irving, Updike und Roth findet Elisabeth Strout mit ihrer zugleich empathischen und leicht distanzierten Erzählweise einen modernen Weg, um ohne jede Parteinahme große Nähe zu ihren Figuren aufzubauen. Man muss Olive Kitteridge nicht mögen, aber man versteht sie, und am Ende wünscht man sich, sie mal zu treffen.


    Ich habe diesen Roman gelesen, nachdem ich bereits die Fortsetzung „Die langen Abende“ gelesen hatte, in Unkenntnis davon, dass es sich um eine handelte, und ich hatte auch die großartige Miniserie mit Frances McDermond in der Titelrolle schon gesehen, aber all das machte nichts. „Mit Blick aufs Meer“ ist so große und so gute Literatur, die all das leicht wegsteckt. Ein Buch, mit dem man Freundschaft schließt. Ich habe es im Regal neben die Romane von Johan Harstad gestellt, was die größte Ehrenbezeugung ist, die mir auf diese Weise zur Verfügung steht.



  • Über Möglichkeiten und dem Scheitern, diese zu ergreifen

    Durch Tom aufmerksam gemacht auf dieses Buch hat mich die Leseprobe sofort begeistert: Unglaublich eloquent erzählt Elisabeth Strout, sie schafft es in wenigen Sätzen sehr realistische Figuren mit einer großen Tiefe vor dem inneren Auge entstehen zu lassen.


    Mit Blick aufs Meer ist eigentlich eine Sammlung von Kurzgeschichten, von der jede bereits eine Dichte und Eindringlichkeit erreicht, dass sie ohne weiteres für eine ausgedehnte Leserunde reichen könnte. Zusammengenommen bilden diese Kurzgeschichten ein Mosaik, das vor allem ein Bild von Olive Kitteridge entstehen lässt, auch wenn Olive längst nicht in jeder Geschichte Protagonistin ist, ich bin mir im Nachhinein nicht mal sicher, ob sie überhaupt in jeder Geschichte vorkommt. Dieses Mosaik, das Olive auch chronologisch über einen größeren Zeitraum abbildet, macht diese Sammlung von Kurzgeschichten zu einem Roman.


    Olive ist Lehrerin, entsprechend hat sie einen ausgedehnten Blick aufs Meer der Menschen, die in diesem Ort wohnen und der Möglichkeiten, die all diese Menschen haben, auch sie selbst. Olives analytischer Blick sieht dabei scharf, häufig geradezu prophetisch, wohin das alles führen wird, besitzt dabei aber nicht die Möglichkeit viel an dem zu ändern, was sie sieht, nicht bei den anderen, nicht bei sich selbst. Es bleibt eben nur bei diesem Blick aufs Meer. Dieser symbolisiert auch eines der beliebtesten materiellen Ziele, ein Haus mit Blick aufs Meer und Olive erschafft zwar sich und den Menschen, die sie liebt, ein materielles Zuhause, scheitert aber daran auch ein emotionales zu erschaffen.


    Strout schreibt realistisch, d.h. sie mildert das Scheitern ihrer Protagonisten nicht ab, schreibt wie es ist. Die Geschichten/Kapitel werden dabei aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt, so bekommt man unterschiedliche Eindrücke insbesondere zu Olive, erlebt zum Teil enorme Differenzen zwischen Aussensicht und Innensicht auf diese. Strout enthält sich dabei einer Wertung, nimmt vollumfänglich die Perspektive der jeweiligen Person ein.


    Mit Blick aufs Meer ist ein unglaublich gut geschriebenes Buch, aber in seiner schonungslosen Aufdeckung der vielen Fallen, in die Menschen tappen, der vielen Begrenzungen, die diese sich selbst auferlegen, durchaus auch ein Anstrengendes.