Jefra heißt Palästina - Margret Greiner

  • Piper, 233 Seiten, Erscheinungsjahr 2005


    Klappentext
    Der Frieden ist in diesem Roman.
    Sehnsucht nach Frieden und Erwachsenwerden im Krieg. Die authentische Geschichte einer jungen Palästinenserin, hin- und hergerissen zwischen den Traditionen einer arabischen Familie und dem Traum von Freiheit.


    Inhalt und Meinung


    "Ich hoffe, daß wir eines Tages sagen können: Wir haben nur kleine Schritte getan, hin zu mehr Verständigung und Aussöhnung, aber wir haben diese Schritte gewagt. Und alle kleinen Schritte, die heute überall vollbracht werden, von Juden und Christen und Muslimen, von Israelis und Palästinensern, werden den Weg zum Frieden verkürzen."

    [1]


    Jefra ist eine 16-jährige Palästinenserin, die mit mit ihren fünf Geschwistern in einer recht liberal funktionierenden Familie in Ost-Jerusalem aufwächst. Ihre älteste Schwester Maryam arbeitet als Volontärin bei einer arabischen Tageszeitung. Laut Jefras Mutter ist Jefra “für ihre sechzehn Jahre ungewöhnlich erwachsen” und von allen Kindern “am ehesten in die Verantwortung zu nehmen”. Trotz allem ist Jefra ein normales Mädchen mit Schulalltag und Pflichten im Haus. Einzig ihre Umgebung unterscheidet sie von anderen “normalen” Mädchen dieser Welt: sie erlebt tagtäglich den brutalen und erbarmungslosen Kampf der Bevölkerungsgruppen zur Zeit der zweiten Intifada[2] in Israel und Palästina.


    Jefras Vater war als palästinensischer Widerstandskämpfer jahrelang in israelischer Haft. Ihre beiden Zwillingsbrüder wachsen im Hass gegen ihre Nachbarn auf. Arabische Medien sparen nicht an Bildern über getötete, verletzte, verwaiste Kinder und Eltern. Mediale Aufklärung erfolgt meist sehr einseitig.


    Jefra selbst entwickelt sich trotz dessen zur Widerstandskämpferin in der eigenen Familie. Sie nimmt Kontakt zu einem jüdischen Mädchen auf, der jedoch zu einem jähen Ende kommt als die beste Freundin dieses Mädchens durch ein Selbstmordattentat in einem israelischen Café getötet wird. Während Onkeln, Tanten, Eltern und Geschwister den Tod israelischer Kinder nach einem Attentat “feiern”, flüchtet sie angewidert angesichts des Anlasses nach Hause. Trotz der erniedrigenden Dinge, die sie täglich durch israelische Besatzung erfahren muss und die sie miterlebt, ist sie nicht bereit den Hass gegen die Juden in sich herauf zu beschwören.


    "Aber die Tatsache, daß Hunderte unschuldiger Zivilisten getötet worden waren, daß Häuser willkürlich von israelischen Soldaten demoliert wurden, daß palästinensische Bauern von jüdischen Siedlern daran gehindert wurden, ihre Olivenfelder abzuernten, daß schwangere Frauen an den Grenzübergängen ihre Kinder zu Welt brachten, weil man sie nicht ins Krankenhaus fahren ließ, das alles war doch keine Greulpropaganda, das war Alltag in Palästina.
    Jefra stiegen Zornestränen in die Augen, wenn sie solche Geschichten hörte. Aber dann wischte sie die Tränen ab und sagte: [SIZE=7]>>[/SIZE]Ich möchte wissen, warum diese Menschen so etwas tun.[SIZE=7]<<[/SIZE]”
    [3]


    Jefra nimmt in Folge an einem sogenannten Friedensprojekt teil. Dafür muss sie für zwei Wochen nach New York und dort mit isrealischen, gleichaltrigen Mädchen im Zimmer verbleiben. In dieser Zeit verändert sich ihre Sicht auf die Zustände zwischen Palästinensern und Juden immens. Jefra - und auch die anderen Teilnehmerinnen - begreifen, dass sie alle Opfer sind. Sie alle sind Opfer von Verfolgung und Hass.


    “Heute haben wir Palästinenserinnen erfahren, was den Juden vor fünzig Jahren in Europa angetan wurde. Wir wußten das nicht. Oder wir wollten das nicht wissen. Wir konnten uns nicht vorstellen, daß Juden so gelitten haben. Wir haben nicht gelernt, in Juden Opfer zu sehen. Für uns sind Juden Menschen, die uns leiden machen. Man hat uns nicht erzählt, was eure Großeltern und Urgroßeltern durchgemacht haben. Vielleicht können wir euch jetzt besser verstehen. Aber gleichzeitig fragen wir uns: Warum müssen wir für die Verbrechen bezahlen, die andere verübt haben?” [4]


    Die Mädchen lernen im Camp, dass sie ihre Werte und Vorstellungen von Leben und Freiheit nicht ändern oder aufgeben müssen um mit anderen in Frieden zu leben.
    Neben den Aspekten des Konflikts behandelt das Buch jedoch auch das Leben und Aufwachsen der arabischen Frauen in kritischer Weise. Es scheint keine einfache Aufgabe zu sein, sich zu selbstverantwortlichen jungen Frauen zu entwickeln, wenn es die Kultur eigentlich verbietet. Jefras Tante Nibal ist dafür ein gutes Beispiel:


    “In einem Umfeld, in dem Frauen nicht nur Steine, sondern ganze Geröllhalden in den Weg gelegt wurden, hatte sie sich durchgesetzt.[...] Sie hatte den Preis für ihre Karriere bezahlt, und der Preis war hoch gewesen, Eine gescheiterte Ehe mit einem amerikanischen Kollegen, der ihr immerhin die Vergünstigungen eines amerikanischen Passes hinterlassen hatte, Verzicht auf Kinder, Leben in einem arabischen Land, in dem bei einer klar patriarchalischen Gesellschaftsordnung wenig Platz war für eine intellektuelle Frau in einer Spitzenposition. Vielleicht noch nicht in dieser Generation.” [5]


    Jefra kehrt nach dem Camp “Bridges for Peace” nach Hause zurück und löst dort erst einmal Unbehagen aus. Sie hat sich verändert. Sie muss lernen ihre Einstellung diplomatisch zu äußern - ohne die einen zu verletzen aber auch ohne den Respekt der anderen zu verlieren. Wie sie diesen Weg geht sollte man selbst nachlesen.


    Margret Greiner hat einen wundervollen, hoffnungsvollen und großartigen Roman geschaffen. Dabei lässt sie ihre Erfahrungen aus ihrer eigenen Zeit als Lehrerin an einer palästinensischen Mädchenschule einfließen. Sie schafft eine realistische und unverklärte Sichtweise auf die Konfliktproblematik. Wie schwer es ist, Demütigungen und Leid ertragen zu müssen und dabei nicht zu pauschalisieren. Wie schwer es ist, als Jugendliche(r) in Palästina/Isreal aufzuwachsen und dabei den Frieden im Blick zu behalten. Sie lässt keine Schuldzuweisung unkommentiert stehen, sondern deutet in eine andere (Denk)Richtung. “Denken”, “Reflektieren” und “Differenzieren” sind Schlagwörter, die die Autorin unermüdlich herausarbeitet. Polarisierung, Polemisierung - davor warnt sie stets.


    Jefra heißt Palästina habe ich unserer örtlichen Bibliothek im Bereich "Maxi - Junge Erwachsene" vorgefunden. Auch wenn es sprachlich sicher genau dort anzusiedeln ist, verlangt die Thematik ein Mindestmaß an Kenntnissen um die Konfliktsituation im Nahen Osten. Leider fehlt es dem Buch an einem entsprechenden Glossar.


    Fazit
    Der Klappentext lobhudelt: “Der Frieden ist in diesem Roman”. Als ich diesen Satz das erste Mal gelesen habe, dachte ich, das wäre wohl ein bisschen hoch gegriffen. Nach dem Lesen allerdings bin ich mir sicher, dass Magret Greiners Ansatz den Frieden hochzuhalten sehr gut gelungen ist und dass das Buch an Aktualität nichts eingebüßt hat. Hier sind sicher jede Menge Zutaten für das Rezept Frieden zu finden. Sehr empfehlenswert - nicht nur für junge Erwachsene!


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    [1] Seite 212/213
    [2] Zweite Intifada - Wikipedia
    [3] Seite 16
    [4] Seite 136
    [5] Seite 114