Historische Romane im Präsens

  • Hallo,


    in der Buchvorstellung von dem Buch: Der Maler Gottes von Ines Thorn im Forum Autobiographie/Biographie schrieb ich (und auch Delfin - ich hoffe, es ist okay, daß ich Dich zitiere, Delfin :-), daß wir beide historische Romane im Präsens nicht lesen oder nur sehr ungern lesen - bzw. auch solche Romane dann nicht kaufen würden.


    Ich hatte dazu geschrieben:


    Zitat

    ich mag generell nicht gerne Romane im Präsens - irgendwie kann ich nicht in die Geschichte versinken, weil ich das für mich als widersprüchlich sehe: etwas, was vergangen ist, im Präsens zu schreiben. Für mich jedoch ist die Atmosphäre beim Präsens nicht so dicht wie in der Vergangenheitsform. Ich tauche ganz anderes in einen Roman ein, der in der Vergangenheitsform geschrieben ist als wenn er im Präsens geschrieben wäre. Das Präsens hat für mich mehr Unmittelbarkeit, mehr Aktion - in der Vergangenheitsform verweben sich die Dinge für mich zu mehr Dichte und Bildlichkeit.


    Da das natürlich individuell sehr verschieden ist, würde mich Eure Meinung dazu interessieren. Ist es Euch egal, in welcher Zeitform ein historischer Roman geschrieben ist?


    Lest Ihr lieber historische Romane in der Präsens- oder Vergangenheitsform und würdet Ihr z.B. einen historischen Roman in der Präsensform nicht kaufen/lesen? Oder ist es Euch egal?


    :wave

  • Ich lese generell nicht gerne Romane, die im Präsens geschrieben wurden, das hat nichts damit zu tun, wann ein Roman spielt (also es ist weniger das Gefühl, dass ein Roman, der in der Vergangenheit spielt, auch im Präteritum geschrieben sein sollte), sondern ich lese es einfach lieber, wenn es in der Vergangenheitsform geschrieben wurde. Wobei mir immer noch nicht ganz klar ist, warum, aber es betrifft nicht nur historische Romane. :gruebel


    Aber ich schau da drauf, in welcher Zeitform das Buch geschrieben ist und hab auch schon mal Bücher nicht gekauft, weil sie im Präsens geschrieben waren.


    lg Iris

  • Also lieber lese ich auch Bücher in der Vergangenheitsform, wobei das mein Kaufverhalten nicht wirklich beeinflusst. Also es wäre für mich kein Grund ein Buch nicht zu kaufen, nur, weil es im Präsens geschrieben wurde...


    Als Teenager hatte ich eine Zeitlang mal einen Spleen, das ich keine Bücher in Ich-Form gekauft habe und da auch explizit nach geschaut habe, aber das hat sich wieder gelegt... :-)

    "Nicht wer Zeit hat, liest Bücher, sondern wer Lust hat, Bücher zu lesen, der liest, ob er viel Zeit hat oder wenig."

    - Ernst Reinhold Hauschka

    Zitat

  • Ich zögere immer zuerst, wenn ich sehe, dass ein Buch im Präsens geschrieben ist - mit "historisch oder nicht" hat das aber nichts zu tun.


    Ich denke, die "traditionelle" Zeitform für Romane ist die Vergangenheit.


    Darum ist es zum Teil Gewohnheitssache, bei Präsens-Büchern muss ich mich immer erst einlesen. Ist aber kein Problem, wenn das mal geschehen ist.


    Dass ich dennoch beim Auswählen zunächst zögere, liegt daran, dass die bewusste Entscheidung des Autors gegen die traditionelle Erzählzeit und fürs Präsens oft auch noch mit anderen Besonderheiten einhergeht - bezüglich Stil, Inhalt oder Form -, die mir das Buch schwerer zugänglich machen. Da schaue ich dann erst einmal genauer hin.

    Surround yourself with human beings, my dear James. They are easier to fight for than principles. (Ian Fleming, Casino Royale)

  • Zitat

    Darum ist es zum Teil Gewohnheitssache, bei Präsens-Büchern muss ich mich immer erst einlesen. Ist aber kein Problem, wenn das mal geschehen ist.


    Ja, kann ich bestätigen. Bei "Das karmesinrote Blütenblatt" hab ich mich eigentlich ziemlich schnell so eingelesen, dass es mir gar nicht mehr weiter aufgefallen ist. Bei "Die Go-Spielerin" hat's mich allerdings bis zum Ende gestört, was aber auch daran lag, dass das Buch in stakkato-artigen Dreiwort-Sätzen geschrieben ist. :rolleyes


    lg Iris

  • Zitat

    Original von Delfin
    was aber auch daran lag, dass das Buch in stakkato-artigen Dreiwort-Sätzen geschrieben ist. :rolleyes


    Das hätte mich irre gemacht!


    (Kennst du den Vorspann von Tom & Jerry? Wo Tom wütend das Buch zerreißt und drauf rumtrampelt? Ja? Genauso wär 's gewesen, genauso! :lache)

  • Ich habe vor einiger Zeit das Buch von Ursula Sachau: das letzte Geheimnis gelesen. Ein sehr gutes, interessantes Buch über Katharina von Bora - im Präsens geschrieben. Es hat mich bis zum Ende gestört, aber da das Thema und der Stil sehr interessant waren und die Frau wirklich gut schreiben kann, habe ich es zu Ende gelesen.


    Aber richtig eingelesen habe ich mich trotzdem nicht.


    :wave

  • Iris, jaaa *erinner* :lache


    Naja, ich hab vielleicht ein wenig uebertrieben, so kurz waren doch nicht alle Sätze... :rolleyes , aber trotzdem


    *beispielgeb*


    "Meine Rikscha hält abrupt an. Mitten auf der Straße verneigt sich ein Mann bis auf die Erde. Es ist der Unbekannte. Er bittet mich, ihn zu entschuldigen, und fleht mich an, die Partie morgen fortzusetzen. Ich nicke ihm undeutlich zu und befehle dem Kuli weiterzulaufen."


    lg Iris :wave

  • Da hat der Lektor aber nicht konsequent gearbeitet!


    Zitat

    Original von Delfin
    "Meine Rikscha hält abrupt an. Mitten auf der Straße verneigt sich ein Mann bis auf die Erde. Es ist der Unbekannte. Er bittet mich, ihn zu entschuldigen, und fleht mich an, die Partie morgen fortzusetzen. Ich nicke ihm undeutlich zu und befehle dem Kuli weiterzulaufen."


    Hätte heißen müssen:

    Zitat

    "Meine Rikscha hält abrupt an. Mitten auf der Straße verneigt sich ein Mann bis auf die Erde. Es ist der Unbekannte. Er bittet mich, ihn zu entschuldigen. Er fleht mich an, die Partie morgen fortzusetzen. Ich nicke ihm undeutlich zu. Ich befehle dem Kuli weiterzulaufen."


    Hmm, es sind immer noch überflüssige Wörter drin ... Also:

    Zitat

    "Meine Rikscha hält an. Auf der Straße verneigt sich ein Mann bis auf die Erde. Es ist der Unbekannte. Er bittet mich, ihn zu entschuldigen. Er fleht mich an, die Partie morgen fortzusetzen. Ich nicke ihm zu. Ich befehle dem Kuli weiterzulaufen."


    Oder?

  • Hi!


    Normalerweise ziehe ich, genreunabhängig, die Mitvergangenheit als Erzählzeit vor. Aber es hängt immer davon ab, wie es geschrieben und präsentiert ist. Ich hatte heuer ein Buch, das im Präsens und der zweiten Person Singular geschrieben war. Am Anfang war das zwar ein bißchen anstrengend, aber nach wenigen Seiten habe ich es überhaupt nicht mehr gemerkt.


    Bye,


    Grisel

  • Hallo, Murmelito.


    Ich frage mich, warum Du die Fragestellung auf historische Romane beschränkst. Interessant ist sie bezogen auf alle Gattungen und Genres. Ganz besonders interessant ist sie in Bezug auf SF-Romane, solche, die in der Zukunft spielen. Welche Zeitform wäre für die korrekt? :-)


    Wenn ein Autor das Gefühl des unmittelbaren Erlebens vermitteln will, die Zukunft (bezogen auf die Geschichte) für Protagonisten wie für Leser völlig offenlassen will, dann kann der Präsens als Zeitform für die Erzählung sinnvoll sein - auch im historischen Roman, der ja ohnehin zur Zeit seiner Handlung spielt, was nichts anderes bedeutet als: Für die Figuren ist es Gegenwart. Gleiches gilt aber für alle anderen erzählenden Formen. Wenn der Autor eher möchte, das man das Gefühl hat, auf Geschehenes zurückzublicken, etwas erzählt zu bekommen, wird er in der Vergangenheitsform erzählen. Beides kann spannend und richtig sein.


    Meine Kaufentscheidung beeinflußt es nur in sofern, als ein Autor einfach gut erzählen muß, und dazu gehört die gewählte Zeitform wie die Perspektive und vieles mehr. Und ich würde nicht behaupten, daß historische Romane in der Vergangenheitsform erzählt werden müssen, nur weil sie aus unserer Vergangenheit erzählen - oder das zumindest behaupten. Fiktiv sind nämlich fast alle Romane. Und es kann interessant sein, eine historische Figur unmittelbar erlebend erzählen zu lassen. Tatsächlich ist es jedoch die Ausnahme.


    Und, ganz richtig: Meistens merkt man nach einigen Seiten nicht mehr, in welcher Zeitform erzählt wird.

  • Hallo Tom,


    ich hatte meine Frage auf historische Romane bezogen - aber nicht begrenzt - da ich sehr viele historische Romane lese und es mir bei Ines's Buch auffiel.


    Auf andere Genre bezogen, wäre es wirklich interessiert, welche Gefühl der Leser bekommt - SF lese ich nicht, daher kann ich Dir dazu keine Antwort geben. Wenn ich mir jedoch vorstellen würde, ich wäre Autor, wollte eine Figur vielleicht in eine Zeit versetzen und aus der Ich-Perspektive der Person, die selbst nicht mehr weiß als der Leser, Situationen beschreiben, dann macht das Präsens Sinn. Schilderungen in der Vergangenheit setzen voraus, daß die Geschichte bekannt ist - dem Erzähler - ob Ich-Form oder nicht - es ist mehr der betrachtende Rückblick mit einer für mich dichteren Atmosphäre.


    Es ist einfach ein verstärktes Gefühl von Behaglichkeit, von genußvollem Versinken, das ich bei der Vergangenheitsform bekommen - Präsens ist mir zu unruhig.


    :wave

  • Zitat

    Original von Murmelito
    Es ist einfach ein verstärktes Gefühl von Behaglichkeit, von genußvollem Versinken, das ich bei der Vergangenheitsform bekommen - Präsens ist mir zu unruhig.


    Ohne das jetzt werten zu wollen, fürchte ich, daß diese "Behaglichkeit" überhaupt nichts mit einem "genußvollen Versinken" in der Handlung zu tun hat, eher mit einem "genußvollen Versinken" in der Verfolgung der Handlung der Handlung.
    "Präsens" bedeutet "gegenwärtig", und während die Verwendung des Präteritums quasi eine sichere Distanz zum Geschehen schaft (es ist Vergangenheit, abgeschlossen und vorbei!), bezieht das Präsens, sofern angemessen benutzt, den Leser direkt in die Geschichte ein und macht ihn quasi zum direkten Augenzeugen.
    Das ist vergleichbar mit den unterschiedlichen Vorlieben von Kinobesuchern: Die einen sitzen lieber weiter vorne, weil sie sich in die Geschichte hineinziehen lassen wollen, die anderen genießen es aus der sicheren Distanz der Logenplätze.


    Das sind allerdings schlicht und einfach grundsätzliche Vorlieben des Lesers. Es hat rein gar nichts mit der Frage zu tun, ob die Umsetzung von Geschichten grundsätzlich besser in der Vergangenheit gehalten sei als in der Gegenwart.

  • Ich mag überhaupt keine Bücher im Präsens, das nimmt für mich erheblich das Spannende und Fesselnde weg - egal, welche Art Buch es ist.


    Ca. drei Wochen vor meinem Eintritt bei den Eulen habe ich einen Krimi gelesen, der im Präsens geschrieben war. Ich habe das einfach als sperrig empfunden, was dann auch das Vergnügen etwas beeinträchtigt hat.


    Gruß


    Hundefreund

  • Der Historische Roman im Präsens gehört der Vergangenheit an.


    oder muss es nicht heißen


    Der Historische Roman im Präsens gehörte der Vergangenheit an.


    das aber hieße


    Der Historische Roman im Präsens gehört der Gegenwart an.


    also kurz:


    Karl May lebt!

  • Ich mag Partizipialkonstruktionen unglaublich gerne. Wenn ich aber meine Literaturauswahl daran orientieren würde, müßte ich mit einer enormen Einschränkung der Auswahl leben.


    Und warum soll ich mich in dieser Hinsicht limitieren?


    Fazit: Präsens oder Präteritum, wenn die Gesamtkomposition stimmt, d.h. es schlicht und ergreifend paßt, spielt es doch letztlich keine Rolle!


    Bye
    Pelican :wave