... die es werden wollen
Das Phänomen kennt man aus der Natur. Es heißt Mimikry. Grob gesprochen bedeutet es, daß sich etwas als etwas ausgibt, das es nicht ist, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Der Mensch ist Teil der Natur, daher ist dieses interessante Verhalten auch bei ihm zu finden. Da das menschliche Hirn etwas komplexer arbeitet, als die entsprechenden Einrichtungen etwa bei Mollusken oder beim Hahnenklee, sind die Ergebnisse menschlicher Mimikry allerdings vielschichtiger. Ein schlagendes Beispiel dafür ist das vorliegende kleine Druckwerk.
Es handelt sich um einen Ratgeber (1) für Autoren (2) und wurde vom Inhaber eines Verlags (3) geschrieben und, da dieser Verlag ihm gehört, dort auch gedruckt. 71 Seiten Spannung erwarten die KäuferInnen, zählt man eine Buchanzeige sowie die Bibliografie (Auswahl) des Verlagsinhabers und Autors mit, sind es 73!
Es beginnt gleich vorne, die Spannung, meine ich, und das Ratgeben auch. Auf der allerersten Seite informiert ein Kästchen im unteren Seitendrittel darüber, daß das, was man sieht, der Schmutztitel ist. Erklärt wird der Begriff auch. Erklärt wird gleichfalls, daß hier die Seitenzählung beginnt, aber keineswegs die Paginierung. Was dabei was ist, wird auch erklärt, und man sollte es sich merken, denn die Seitenzählung ist etwas, das mit dem Autor noch schwer umgehen wird.
Auf der Rückseite des Schmutztitels informiert ein Kästchen darüber, daß wir uns nun auf der Schmutztitelrückseite befinden. ‚Diese Seite bliebt meist leer.’ Gut, das haben wir verstanden.
Ausnahmen gibt es selbstverständlich, sie werden genannt. Ist ja auch erlaubt. Was nicht erlaubt ist, sind Seitenzahlen!
Darauf folgen der Haupttitel (‚Weg mit der Seitenzahl!’), die Rückseite des Haupttitels, die den Titel (oben und ohne Kästchen) ‚Impressum’ trägt, aber natürlich keine Seitenzahl, und dann eine Seite, die unten ein Kästchen hat, in dem ‚Inhaltsverzeichnis’ steht. Unter dem Kästchen steht auch eine Menge, kursiv gedruckt. Es scheint wichtig zu sein. Ein Satz fällt ins Auge: ‚Sorgen Sie für klare Ordnung.’
Ein Appell an die preußischen Sekundärtugenden ist immer angebracht. Wir setzen uns aufrecht hin und stellen fest - daß auf der Seite gar kein Inhaltsverzeichnis steht. Was dasteht, ist eine Seitenzahl. O, Schreck! Aber nein, zu früh gezittert. Ab hier sind sie erlaubt.
Ordnunghaltend schlagen wir mit klar gestrafften Schultern die Seite sechs auf. Endlich ein Bild! In verschwommenem Schwarz-Weiß erkennen wir Menschen vor Bücherregalen. LeserInnen? AutorInnen? HändlerInnen? Alles ist möglich, Tarnung oder noch giftiger?
Der Text über dem Foto klärt auf. Bei diesem Verlag ‚handelt es sich um einen Verlag (!). ‚Das heißt, es besteht bei uns kein Anspruch auf Veröffentlichung eines Werks. Die Chancen sind jedoch sehr hoch.’
Damit wissen wir, was wir wissen wollten.
Auf Seite 7 folgt unkommentiert, aber ausführlich, das bis dahin fehlende Inhaltsverzeichnis. Auf der Rückseite eine freundliche Botschaft des Verlags. Wer Fragen hat, darf sich ungehemmt an ihn wenden. Haben wir Fragen? Eigentlich nur noch eine, für die man, will man sie stellen, nicht einmal den Mund öffnen muß. Eine einschlägige Bewegung von Daumen und Zeigefinger in Kombination mit fragend hochgezogenen Augenbrauen reicht völlig aus.
Aber wir sind nicht so, sondern weiterhin neugierig. Also blättern wir weiter. Es folgt eine halbseitige Zusammenfassung des Buchs. Hier wird noch einmal, wenn auch nicht fett, vermerkt, daß der Verlag ein Verlag ist, und nicht etwa ein DKZV oder eine simple BoD-Druckerei. Wir doch nicht! Ich meine natürlich, DIE doch nicht.
Die Grundpauschale, die ‚wir meistens (!) bei der Veröffentlichung verlangen’, dient nur dazu, diejenigen abzuschrecken, die den Verlag doch tatsächlich dazu ausgenützt haben, sich kostenlos ein Musterexemplar ihres Manuskripts herzustellen zu lassen, ohne dann einen endgültigen Vertrag zu schließen.
Gottchen, aber auch, diese Schlechtigkeit unter den Menschen! Uns ist klar: kein Druckkostenzuschuß, sondern eine Schutzgebühr.
Dann geht es aufs Ganze: Einsendung von Daten. Ab hier wird eingehend beschrieben, wie das auszusehen hat, das man einzuschicken hat, wenn man vorhat, das eigene Werk bei diesem Verlag zu veröffentlichen. Es ist nur der erste und grobe Teil von Ausführungen, die vor allem eines klarmachen: die gesamte Arbeit hängt an den AutorInnen. Seite 19, Kapitel: Aufgaben des Autors sagt es deutlich: ‚Den Marktwert eines Buchs muss fast ausschließlich der Autor bestimmen. Ihn zu erhöhen erfordert es (!) viel Arbeit.'
Warum wir uns so anstrengen sollen, erfahren wir aber bereits auf Seite 14.
‚Neben Kinderbüchern’, so verrät uns der Firmeninhaber voll Schwung, ‚sind Lyrik und Prosa die schwer verkäuflichen Genres. Daher entscheiden sich immer mehr Verlage, solche Werke nicht zu veröffentlichen.’
Hätten Sie’s gewußt?
Von da an gibt es keine Atempause mehr. Ein Abenteuer jagt das andere, und das nicht nur stilistisch und grammatikalisch. Auf Seite 15 werden die Kosten für angehende you-know-whats aufgeführt. Es wird auch erklärt, wie sich das errechnet, was der Firmeninhaber den gesetzlich gebundenen Buchpreis nennt, aber den Preis für die Bücher aus seiner Firma meint. Der Posten, der mir dabei am meisten gefiel, war der in den beiden Rubriken (DIN A5 und Größer als DIN A5 bis DIN A 4) jeweils als letzter aufgeführte: die Klebebindung. 2 Euro bis 2,40 Euro pro Exemplar.
Eine Leimfabrik müßte man haben!
Auch auf Seite 30 geht es noch einmal um die Kosten, aber der Firmeninhaber ist des Trostes voll: ‚Spätestens beim Vergleich mit den Kosten anderer Firmen (sic!) werden Sie feststellen, wie gut Sie bei uns liegen.’ Eines ist sicher: beim nächsten Matratzenkauf wird mich dieses Büchlein begleiten.
Aus der liegenden Position schnellen wir auf Seite 31 in den vollen Lauf: Ab hier geht es um Korrekturen, ‚Korrekturlauf’ genannt. Aber der Teil ist kurz, damit hat der Verlag wenig zu tun. Hier müssen die you-know-whats die Ärmel aufkrempeln. Sie können sich auch an ein Lektorat wenden, das der Verlag empfiehlt, und sich einen Kostenplan erstellen lassen, wenn die eigene Verwandtschaft versagt.
Danach schreiten wir zum Vorvertrag und der Erstellung eines Musterbuchs. Der Muster-Vorvertrag ist abgedruckt. Hat man das Musterbuch bezahlt, schließt man einen Autorenvertrag. Der ist nicht abgedruckt. Braucht man auch nicht, die angehenden Bestseller-AutorInnen haben sich bereits zu Abnahme einer bestimmten Anzahl von Exemplaren verpflichtet. Die Kosten habe ich nicht ausgerechnet, mir war schon schwindelig.
Es folgen ca. 16 Seiten Zusammenstellung von Details zur Erstellung einer Datei. Ein wahrer Dschungel, aber das ist sicher Programm, warum sonst die Tarnung? Von Formatierung springt man zu Schriften und wieder zurück, dann zu Bildern, Bildprogrammen und ganz ausführlich zu CMYK-Farben.
Das ist der einzige Teil des Büchleins, das für den Firmeninhaber spricht. Nicht etwa, weil er, offensichtlich ein Fachmann für Digitaldruck, sein Wissen anschaulich darzubieten verstünde. Im Gegenteil sind seine Ausführungen ein klarer Beleg dafür, warum sich Verlage weigern, so manches Stück Prosa zu publizieren.
Der Grund ist ein anderer und erschließt sich vor allem KennerInnen des Grundproblems, nämlich der seltsamen Vorstellungen von Menschen, die ein Buch veröffentlichen möchten. Sie haben höchst merkwürdige Ansprüche an die äußere Ausgestaltung.
Wenn der Inhaber des Verlags immer wieder vor der Verwendung von farbigem Papier (dezent! ‚In der Lyrik steht immer die Sprache im Vordergrund.’) warnt, oder von wilden Farbschattierungen bei Grafiken und Fotos oder allzu verwegenen Schriften abrät, steht dahinter wahrscheinlich wirklich die krude Alltagserfahrung im Umgang mit Laien.
Verdienen kann man jedoch an ihnen und das ist es, was zählt.
Ganz zum Schluß wird es aber einfach nur noch köstlich. Die Ausführungen zur Preisbindung oder zur Bestellung, Lagerhaltung und Remittierung an den Verlag muß man selbst lesen. Herzig. Allerdings muß man streckenweise starke Nerven haben, man wird ja knallhart darüber aufgeklärt, daß immer wieder mal ein Exemplar ‚rausfliegt’. Wenn es nun das eigene trifft?
Aber das wird es schon nicht, schließlich zählt beim Verlag der Slogan ‚Von nichts kommt nichts.’ (S.21) Und was you-know-whats zu tun haben, wissen wir ja schon.
Überdies braucht der Erfolg Zeit, sagt der Firmeninhaber. Wo er recht hat, hat er recht. Ich lege angehenden KundInnen des Verlags dazu noch den schönen vierten Vers des 90. Psalms ans Herz.
1. Ist das Buch ein Ratgeber?
Kommt darauf an, auf welcher Seite man steht. Kennt man sich aus, ist es ein Schlick von Halbwissen, Absurditäten und komplettem Unsinn mit einigen Informationsbrocken, die Laien wenig nützen, sondern sie nur dorthin führen, wo sie sowieso schon sind, wenn sie dieses Büchlein bestellt haben.
2. Sind Menschen, die auf diese Art ein Buch veröffentlichen, Autoren?
Kommt darauf an, wie man das Wort ‚Autor’ definiert. SchöpferInnen eines Texts sind sie.
3. Ist dieser Verlag ein Verlag?
Diese Frage muß ich jetzt nicht noch einmal beantworten, oder?
Fazit: eine Perle deutschen Jungunternehmer-Humors. Vorsicht beim Kauf, dahinter steckt Leim für 2 Euro pro Exemplar.
edits: Formatierungen und ISBN-Probleme